Italien besiegt England im Elfmeterschießen:Stürmerisch und mit kessem Lupfer

Der freche Elfmeter von Andrea Pirlo beim italienischen Viertelfinalsieg gegen England war vielleicht die Szene des Abends - die Botschaft war jedoch eine andere: Der Fußball Italiens unter Cesare Prandelli hat wenig mit Catenaccio zu tun. Er erinnert im Ansatz an die deutsche Elf. Gegen die geht es nun im Halbfinale.

Maik Rosner

Cesare Prandelli war schon mehrfach unruhig auf seinem Stuhl herumgerutscht, jetzt legte er sein charmantestes Lächeln auf. "Bitte keine Frage mehr", bat er, "können wir jetzt gehen?" Es half nichts.

Der italienische Trainer musste noch etwas bleiben, über das 4:2 im Elfmeterschießen gegen England sprechen, über seine angeschlagenen Spieler, zu denen nun auch noch Ignazio Abate und Daniele De Rossi wegen muskulärer Beschwerden gehören. Und natürlich auch darüber, wie die deutsche Elf bezwungen werden soll, im Halbfinale am Donnerstag in Warschau. Ein Klassiker, wie das im Fußball heißt, und vor Klassikern gibt es besonders viel zu besprechen. Vor allem dann, wenn es nur noch drei Tage bis dahin sind, dem Gegner aber zwei Tage mehr zur Regeneration zur Verfügung stehen. "Das ist das Problem", sagte Prandelli, "wir müssen uns erholen."

Er hat sich dann sehr um Contenance bemüht, aber als es auf halb zwei zuging in Kiew, hatte er endgültig genug. Zwei Fragen noch, das war die offizielle Ansage gewesen, doch nun stockte der Dialog. Prandelli nutzte diese Gelegenheit prompt, ganz anders als seine Mannschaft zuvor in den 120 torlosen, wenngleich sehr unterhaltsamen Minuten. "Gracie e buonanotte", sagte er und erhob sich rasch von seinem Sitz. Ein kurzes Winken, dann war er entschwunden.

Italien also. Das war die Nachricht aus deutscher Sicht nach dem letzten Viertelfinale der EM, das manche gar als die beste Partie des Turniers bewerteten. Massenweise Chancen waren zu beobachten gewesen, besonders für Italien und vor allem Stürmer Mario Balotelli. Zudem: anfangs stürmische, später doch eher überforderte Engländer. Und ein Elfmeterschießen, in dem sie kurz führten, dann aber ihre traditionelle Kunst des Scheiterns pflegten.

Ashley Young und Ashley Cole verschossen, und ein Stürmer mit prächtigen Locken, vielen Tattoos und einem ebenso auffälligen Namen verschwand nach seinem finalen Schuss in einem wilden Knäuel blauer Trikots. Als Alessandro Diamanti wieder hervorgekommen war, sagte er: "Ich bin sehr glücklich. Deutschland ist eine gute Mannschaft, aber wir sind bereit, sie zu schlagen."

Das war tatsächlich die Botschaft dieses Abends. Denn Italien war aufgetreten, wie man das von den Erfindern des Catenaccio in dieser Intensität nicht unbedingt erwartet hatte. Ein bisschen gequält hatten sie sich ja in den Gruppenspielen, gegen Spanien, Kroatien und Irland. Doch nun war das neue Italien zu besichtigen, wie es Prandelli versprochen hatte. "Ab jetzt spielen wir schön", hatte er angekündigt.

"Wir wollen Fußball spielen“

Der 54-Jährige lehrt seine Mannschaft nicht mehr in erster Linie, wie man verteidigt. Sondern er vermittelt das kreative Spiel "mit vielen Ideen", wie Prandelli durchaus stolz dozierte und ebenso erfreut feststellte, dass man "viele schöne Dreiecke gebildet" habe. Zwei Jahre habe man dafür gebraucht, sagte er, und man brauche noch etwas Geduld bis zur Vollendung. "Aber das ist das Spiel der Zukunft. Wir wollen Fußball spielen." Den Fußball zu ersticken, die Ideen des Gegners zu unterbinden, das war einmal das Mittel ihrer Wahl, das wollte er damit sagen.

Andrea Pirlo

Unfasslich cool: Andrea Pirlo überlupft Joe Hart.

(Foto: AP)

Dieser Ansatz erinnert sehr an den der deutschen Mannschaft, und ein bisschen scheint es, als befinde sich Italien gerade auf einer Entwicklungsstufe, die Bundestrainer Joachim Löw mit seiner Elf vielleicht vor zwei Jahren erreicht hatte. Doch Prandelli hat für die neue Identität einen Spieler gefunden, der schon im alten Italien als Kreativdirektor wirkte, nun seine Stärken aber noch besser einsetzen kann. Andrea Pirlo, 33, ordnet das Spiel, und seine Ideen und Pässe sind es, die Italien gerade besonderen Glanz verleihen.

Sein kesser Lupfer im Elfmeterschießen stach natürlich hervor, doch wie der Mittelfeldspieler von Juventus Turin immer wieder aus dem Fußgelenk seine Mitspieler einsetzte, war Ausdruck seiner besonderen Klasse. Mit der Präzision eines Chirurgen lenkt er die Geschicke, und wenn das so weitergeht, dann kommt auf die deutsche Elf tatsächlich eine Mannschaft zu, die ihr ziemlich gefährlich werden kann.

"Wir sind alle hoffnungsfroh, bis zum Ende dabei zu sein", sagte Pirlo. "Er weiß genau, was er tun muss", lobte Prandelli, "und das hat er auch getan." Deutschland, das war noch seine Botschaft, sei "eine tolle Mannschaft" und zudem "neben Spanien der Favorit auf den Titel". Aber, auch das sagte Prandelli: "Wenn alle fit und frisch sind und wir wieder mit diesem Willen auftreten, wird es ein offenes Spiel."

Zurück blieben die traurigen Engländer, nach ihrem sechsten verlorenen Elfmeterschießen in sieben Versuchen. Ein neidvoller Blick auf Pirlo ließ sich danach erkennen. "Wie cool er den Elfmeter verwandelt hat, das kann man nicht trainieren", sagte Englands Trainer Roy Hodgson beeindruckt. Doch immerhin konnte er für seine junge Mannschaft beanspruchen, dass sie "ein fantastisches Turnier gespielt" habe und dieses "mit einem guten Gefühl" für die WM-Qualifikation verlassen könne. "Wir fahren ungeschlagen nach Hause", befand er, "wir müssen akzeptieren, dass wir nicht gut genug waren, um in 120 Minuten zu gewinnen".

Doch Hodgson, erst kurz vor der EM ins Amt gerutscht, hatte wohl auch gesehen, dass die Entwicklung der italienischen Mannschaft schon weiter vorangeschritten ist. Als er geduldig alle Fragen beantwortet hatte, wünschte er noch "eine gute Heimreise" und "viel Glück für Italien". Er hatte es nicht eilig.

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