Hoch hinauf in den Norden Islands hatte sich Asgeir Sigurvinsson vergangene Woche verabschiedet. Angeln, drei Tage lang. Mit der Ausbeute war er zufrieden, mit den gewonnenen Erkenntnissen ebenso. "Ein Geistesblitz war zwar nicht dabei, aber ich konnte mir viele Gedanken über die richtige Aufstellung machen", sagt der Teamchef der Nationalelf Islands.
Nun ist er zurück aus der Einsamkeit, auf ihn und seine Elf wartet am Samstag in Reykjavik das Spiel des Jahres. Gegen den WM-Zweiten, der als Verfolger anreist. "In Deutschland gibt es ja immer einige, die behaupten, dass die Erfolge der Nationalelf nur Glück seien", meint der einstige Profi des FC Bayern (1981 bis 1982) und des VfB Stuttgart (1982 bis 1990). "Das stimmt nicht. Die Deutschen haben mehrere Spieler, die ganz groß sind in Europa. Ich kann nicht erkennen, dass diese Mannschaft große Probleme hat."
Schwäbische Vergangenheit
Sigurvinsson, 48, scheint ein netter Zeitgenosse zu sein. Einer, der im Vier-Augen-Gespräch ganz anders daherkommt als sein düsteres Outfit vermuten lässt. Er trägt schwarz, bis auf das dunkelgraue Hemd. Er hat seinen Scheitel etwas ungeschickt über die wachsende Stirn gelegt, die rechteckige Brille komplettiert den leicht skurrilen Eindruck.
Der Mann aber weiß genau, was er will: die erstmalige EM-Qualifikation für Island und am besten die Sensation gegen Rudi Völlers Auswahl noch dazu. Wer konsequent nachhakt, bekommt von Sigurvinsson auch Antworten auf die Frage, wo der Favorit schwächelt: "Die Abwehr ist wohl nicht der stärkste Mannschaftsteil. Wörns, Ramelow und wie sie alle heißen, das sind robuste Typen, die 90 Minuten laufen können. Ein Beckenbauer, der auch das Spiel nach vorne machen kann, ist aber nicht dabei."
Bisweilen kann Sigurvinsson seine schwäbische Vergangenheit nicht leugnen, "a bissle" klingt sie durch. Ohnehin zieht es ihn zwei- bis dreimal pro Jahr zurück nach Deutschland. Dann trifft er sich mit früheren Mitspielern wie Guido Buchwald und Bernd Förster, mit denen er 1984 die deutsche Meisterschaft gewann. Zum Leidwesen des FC Bayern, der sein Talent verkannte und ihn nach nur 17 Einsätzen hatte ziehen lassen.
Hartnäckig hielt sich das Gerücht, Paul Breitner habe den Abschied beschleunigt, weil er in dem skandinavischen Edeltechniker einen Rivalen um die Chefrolle erkannt hatte. Eine sportliche Heimat fand Sigurvinsson erst in Schwaben, später auch eine berufliche. Den Getränkeabholmarkt in Denkendorf, der ihm gehört, hat er seit Jahren verpachtet.
Ein harter Job
Es war eine schöne Zeit damals, als er Regisseur genannt und dieser Bezeichnung mit seiner eleganten Ballführung vollauf gerecht wurde. Spielertypen wie er es war, sind zu einem raren Gut geworden, eigentlich gibt es sie gar nicht mehr. Dass der VfB damals an einem gewissen Rudi Völler vom TSV 1860 München dran war, ihn aber doch nicht verpflichtete und zu Werder Bremen ziehen ließ, wurmt ihn noch heute: "Das war der größte Fehler, den der VfB je gemacht hat."
Er selbst hatte auch mal daneben gegriffen, als er Anfang der neunziger Jahre einen Sommer lang Klubtrainer bei Fram Reykjavik war. "Coach zu sein ist hier ein harter Job. Die Plätze sind nicht gut, das Wetter ist schlecht."
Umso überraschender kam es bei dieser Skepsis, dass er im April zum Nachfolger von Atli Edvaldsson berufen wurde. Der brachte ebenfalls Erfahrung als Bundesliga-Spieler mit, hatte sich aber als Island-Chefcoach mehr und mehr Feinde gemacht. Sigurvinsson hingegen gilt als unantastbar, nach drei Siegen in Folge sowieso (2:1 gegen die Färöer, 3:0 gegen Litauen, 2:1 auf den Färöern). Er ist quasi ein Beckenbauer im Nordatlantik.
Beruflich hat sich der Experimentierfreudige bisher nicht nur mit Fußball und Getränken beschäftigt, sondern auch mit Versicherungen und dem Import von Schiffsteilen. Und dann ist da noch Stoke City, börsennotierter Klub der englischen First Division. Dort sitzt Sigurvinsson im Aufsichtsrat. Stoke-Aktien besitzt er auch. Nicht viele. Oder, wie er sagt: "Nur a bissle."
(sueddeutsche.de)