Irrwege eines Fußballers:Savio Nsereko: Was im Fußball alles schiefgehen kann

Czech Republic v Germany - UEFA European U19 Championship

Der ehemalige Junioren-Nationalspieler Savio Nsereko wechselte 2009 für elf Millionen zu West Ham United.

(Foto: Thomas Langer/Getty)
  • Savio Nsereko gehörte einst zu den größten Talenten des deutschen Fußballs. Jetzt spielt er beim FK Lietava in Litauen.
  • Seit seinem Wechsel zu West Ham United 2009 ging die Karriere des ehemaligen Spielers vom TSV 1860 München steil bergab.
  • Zudem geriet er neben dem Platz in die Schlagzeilen.

Von Sebastian Fischer

Die Stutzen hatte er immer noch über die Knie gezogen, wie früher. Er trug gelbe Schuhe, ein weißes Tapeband zierte sein linkes Handgelenk. Er trabte auf den Platz, und seine zweite Aktion war gleich ein Übersteiger, geschmeidig ließ er seinen rechten Fuß um den Ball kreisen. Der Spieler mit der Nummer neun wollte auffallen, das zeigten die Livebilder vom vergangenen Donnerstagabend, an dem in einem kleinen Stadion in Kaunas 300 Menschen dabei zuschauten, wie der FK Lietava Jonava, Aufsteiger in die erste litauische Fußballliga, 2:2 gegen Kauno Zalgiris spielte.

Die Begegnung ist keine, von der noch lange gesprochen werden wird. Eine besondere war sie trotzdem, wegen der Nummer neun. Savio stand in weißem Flock darüber. Savio, das klingt noch immer nach Kunst, nach einem Versprechen.

Savio Nsereko, 26, aus München war das einmal: ein Versprechen des deutschen Fußballs. Elf Millionen soll der Premier-League-Klub West Ham United 2009 für ihn bezahlt haben. Doch der Name Nsereko ist inzwischen ein Synonym dafür, was alles schief gehen kann im Leben eines talentierten Sportlers, der plötzlich mit Ruhm und Geld und Druck klar kommen muss. Nsereko, sagt Jonavas Sportdirektor Aironas Morkunas, sei ein großartiger Fußballer. Und seine Verpflichtung, sagt er am Freitag - drei Tage nach Nserekos Unterschrift und einen Tag nach Nserekos erstem Spiel - immer wieder ins Telefon, "ist eine Chance".

Nsereko soll aus Geldnot seine Entführung vorgetäuscht haben

Natürlich habe er all die Geschichten im Internet gelesen, sagt Morkunas. Von verprasstem Reichtum, Privatjetflügen nach Florida zum Geburtstag und ständigen Vereinswechseln, die Nsereko im Sommer 2010 zu 1860 München führten und von da immer weiter abwärts. Ja, auch die Geschichte vom Verschwinden 2012 beim Drittligisten SpVgg Unterhaching kenne er. Damals soll Nsereko aus Geldnot seine Entführung vorgetäuscht haben. Er hatte sich nach Thailand abgesetzt. Eine SMS sei falsch verstanden worden, erklärte er.

Junioren-Nationaltrainer Horst Hrubesch hat über seinen einstigen Auswahlspieler Nsereko mal gesagt: "Der Junge hat alles, eine ausgefeilte Technik und Schnelligkeit. Er ist ein kompletter Spieler, wie früher Kevin Keegan." Doch Nsereko ist nie ein Keegan geworden, sondern immer das Versprechen geblieben. Stutzen hoch, bunte Schuhe an, Übersteiger, wie ein Tänzer in seinem eigenen Traum, taub für jeden Ratschlag. Sein Talent glänzte in jeder seiner Bewegungen, doch immer nur für einen Moment.

Sportdirektor Morkunas sagt, Nsereko mache einen glücklichen Eindruck

"Seine Technik ist wunderschön", sagt Aironas Morkunas, der Sportdirektor in Litauen. Er schwärmt von Nserekos erstem Spiel am Donnerstag, zur Halbzeit war er eingewechselt worden, ins zentrale Mittelfeld, bald soll er Stürmer spielen. Es sei eine Chance für seinen Verein, so einen Spieler unter Vertrag zu haben, sagt er, ja: für ganz Jonava, eine Kleinstadt östlich von Kaunas. Und es sei eine Chance für Nsereko. Er brauche nur noch ein paar Wochen, sagt Morkunas. Seit Juli 2015 war Nsereko ohne Verein und nicht im Training.

"Mir ist damals alles zu Kopf gestiegen. Ich war jung, hatte viel Geld und gleichzeitig viel Druck", hat Nsereko zu den Geschichten aus der Zeit bei West Ham United - Autos, Klamotten, Frauen - bei einem Treffen in Köln 2013 gesagt, wo er sich beim Viertligisten Viktoria versuchte. Damals beteuerte er, aus seinen Fehlern gelernt zu haben, und wirkte gar nicht wie der Großkotz aus den Schlagzeilen, sondern eher wie ein schüchterner junger Mann, der wie ferngesteuert durchs Leben geht. Ein paar Wochen später soll er einem Mitspieler eine Uhr gestohlen haben, wieder war von Schulden die Rede.

Der Vertrag in Litauen läuft für ein Jahr, plus ein Jahr Option

Er musste den Verein verlassen. Gesagt hat Nsereko seitdem öffentlich nichts mehr, aus dem Kreis seiner früheren Berater hieß es, man wisse nicht so genau, wo er sei. Im Herbst 2014 spielte er für ein halbes Jahr in Kasachstan und schoss nach langer Zeit mal wieder ein Tor. Im Frühjahr 2015 lief er für vier Monate beim bulgarischen Erstligisten PFC Beroe auf, zehn Spiele und kein Tor. Dazwischen war er immer wieder vereinslos. Der Vertrag in Jonava läuft für ein Jahr, plus ein Jahr Option. Nsereko selbst geht nicht ans Telefon, doch Morkunas sagt, er mache einen glücklichen Eindruck.

Nsereko sei zuletzt in München gewesen, sie hätten viel telefoniert, sagt der Sportdirektor. Nun hat Nsereko ein Appartement zur Miete in Kaunas. Hier trägt der Klub im Winter seine Heimspiele aus, auf Kunstrasen. Ein paar Fans jubelten bei seiner Einwechslung am Donnerstag. Er zupfte sein Trikot zurecht, berührte den Rasen mit den Fingerspitzen, malte ein Kreuz auf seine Brust. Dann lief er los, voller Hoffnung, wie früher.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: