Als die Triathletin Laura Philipp am Sonntag die letzten Meter auf der Promenade des Anglais lief, als kommende Siegerin der Ironman-Weltmeisterschaft, war alles neu und vertraut zugleich. Immer wieder hatte sie sich vor diesem Rennen im Kopf das Filmchen vorgespielt, wie sie als Erste auf die Zielgerade in Nizza einbiegen würde; das gehört zur Vorbereitung wie Tempoläufe und das Tüfteln an der richtigen Position des Sattels. Man müsse sich das nicht nur vorsagen, sondern zutrauen, hatte Philipp zuletzt der FAZ erzählt: 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer so mutig zu absolvieren, dass man als Schnellste der Welt im Ziel eintrifft. Erst wenn das fest genug im Kopf verankert ist, so das Kalkül, folgt der Körper dem Plan.
Wobei man ahnte, dass die Wirklichkeit den Traum noch mal überflügelte, als Philipp am Sonntag als leibhaftige Ironman-Weltmeisterin ins Ziel federte. Mehr als acht Minuten hatte sie zwischen sich und ihre erste Verfolgerin gelegt, die Britin Katrina Matthews. Da hatte die Siegerin sogar Zeit, sich mit einer noch größeren deutschen Fahne zu beflaggen als jene, die sie sich zuvor aus dem Publikum geschnappt hatte. Dann kullerten Freudentränen.
Weltrekord von Triathlet Deichmann:„Am Ende habe ich nur noch gegessen, weil ich musste“
21 600 Kilometer mit dem Rad, zwölf Paar Laufschuhe, 1,2 Millionen verbrannte Kalorien an 120 Tagen: Jonas Deichmann zieht nach seinem Triathlon-Weltrekord Bilanz. Seine medizinischen Untersuchungen fallen höchst erstaunlich aus.
Die deutschen Frauen haben im Vergleich zu den Männern schwer aufgeholt, was Ironman-Erfolge betrifft, Weltmeisterin, das wertvollste Siegel der Langdistanz, war bislang aber nur Anne Haug 2019 geworden (Nina Kraft war bei ihrem Sieg 2004 Epo-gedopt gewesen). Und nun also der Triumph der 37-Jährigen aus Heidelberg, die eine der beachtlichsten Triathlon-Biografien der vergangenen Jahre vorlegt.
Vom Volkssportler zum Profi, das kommt im Triathlon öfter vor
Philipp ist eines dieser Beispiele, die zeigen, dass man auch später in die Mühle des Hochleistungssports einsteigen kann, um Kopf und Körper nicht zu früh zu strapazieren. Als Jugendliche kletterte sie viel, Ausdauersport war ihr wenig vertraut, bis auf die 30 Kilometer des Schulweges, den sie täglich mit dem Fahrrad fuhr, weil die Fahrt im Nahverkehr noch länger dauerte. Dank eines Staffel-Events wurde sie als 24-Jährige auf Triathlon aufmerksam, zufällig – und war auf der Mitteldistanz rasch so gut, dass sie 2015 ihren Job als Physiotherapeutin aufgab.
Vom Volkssportler zum Profi, das ist keine seltene Verwandlung im Triathlon. Anders als beim Skispringen etwa tüfteln die Amateure so passioniert am Material wie die Profis, trainieren an denselben Orten, rennen dieselben Rennen – und schaffen es vereinzelt ins oberste Leistungssegment. 2018 absolvierte Philipp ihre erste Langdistanz in 8:34:57 Stunden, so schnell wie keine Debütantin vor ihr. Auf Hawaii wurde sie 2019 Vierte, trotz einer Knochenfissur kurz davor. Das ging nur etwas unter, weil ihre Landsleute um Haug, Patrick Lange und Jan Frodeno noch besser waren.
Als während der Pandemie die Wettkämpfe ausfielen, baute sich Philipp im Garten ein kleines Schwimmbecken, in dem sie, mit einem Gummiseil fixiert, auf der Stelle paddelte, um die Technik in ihrer schwächsten Disziplin zu verbessern. „Ich habe schon das Glück, dass ich versuche, Dinge schnell ins Positive umzudrehen“, hat sie im SZ-Interview mal erzählt. 2023 reichte es auf Hawaii zu Platz drei, obwohl Philipp wegen Windschattenfahrens eine Zeitstrafe kassiert und viel Zeit verloren hatte.
Für dieses Jahr half ihr dann eine Neuerung: Um den Trubel auf Hawaii zu entzerren, wo der Ironman seine Heimat hat, steigen die WM-Rennen nun auf Hawaii und in Nizza, wobei Frauen und Männer Jahr für Jahr die Orte wechseln. Die Frauen hatten diesmal in Nizza ihre WM-Premiere, und das bot Philipp einen großen Vorteil: Die Radstrecke ist, anders als in Kona, kein Zeitfahren, sondern eine Kletterei mit insgesamt 2400 Höhenmetern. Das hat sie oft trainiert, das liegt Philipp mehr als ihren Konkurrentinnen, Titelverteidigerin Lucy Charles-Barclay aus Großbritannien und Anne Haug etwa.
Charles-Barclay passte dann sogar schon vor dem Rennen wegen muskulärer Beschwerden. Und Haug, die die Weltbestzeit der Frauen im Juli in Roth noch auf 8:02:38 Stunden (!) verbessert hatte, erlitt kurz nach dem Wechsel aufs Rad einen so schweren Reifenschaden, dass sie das Rennen aufgab: „Ich hatte fünf Jahre hintereinander Glück bei der WM“, sagte die 41-Jährige, fünf Mal hatte sie stets das Podium erreicht. Irgendwann erwischt es auf der Langstrecke auch die Glücklichen.
Auch den Siegern geht nie alles glatt von der Hand. Philipp verlor beim Radfahren ihren Flaschenhalter, auf einer Abfahrt steuerte sie auf einen Bürgersteig, um einen Sturz zu vermeiden. Und in der Wechselzone vor dem Marathon rutschten ihr wichtige Utensilien aus der Hand. Na und? „Das zeigt mal wieder, dass man manchmal weniger braucht und trotzdem durchziehen kann“, sagte Philipp später. Es passierte, was viele vermutet hatten: Katrina Matthews, die letzte Verfolgerin, die Philipp in anderen Rennen im Marathon schon davongelaufen war, hatte die Plackerei auf dem Rad offenkundig zu sehr zugesetzt. So federte Philipp dem Ziel entgegen, das sie nach 8:45:15 Stunden erreichte, schöner als in allen Träumen.
Manchmal ist der Gedanke ein trügerischer, Siegern im Profisport weitere große Taten vorauszusagen, in Philipps Fall liegen die Dinge aber recht klar. Hochleistungskarrieren gleichen oft einer Kerze, wer so spät anfängt als „Quereinsteiger“ (Philipp), bei dem brennt das Feuer oft länger. Anne Haug und Jan Frodeno sind zwei prominente Beispiele aus der Ü40-Klasse. „Solange man gesund ist und Freude hat an dem, was man tut, vor allem im täglichen Training, ist das Alter sowieso erst mal egal. In der Hinsicht habe ich bei mir derzeit auch keinerlei Bedenken“, hat Laura Philipp einmal gesagt. Manchmal steht man selbst mit 37 Jahren noch am Anfang.