Irlands Trainer Trapattoni:Trap hat noch lange nicht fertig

Die Iren sind leidgeprüft, aber das 1:6 gegen Deutschland geht an den Stolz. Die Spieler sprechen von einer "Demütigung", Trainer Giovanni Trapattoni stellt sich der Kritik. Die Pressekonferenz gerät zu einem Theaterstück, in dem Misstrauen und Unverständnis in Ablehnung und Provokationen münden.

Thomas Hummel, Dublin

Giovanni Trapattoni

"Das sind die besten Spieler. Es gibt keine anderen." Irlands Nationaltrainer Giovanni Trapattoni gibt sich nach dem 1:6 gegen Deutschland überzeugt von seiner Arbeit.

(Foto: dpa)

Die Iren sind ein kleines, stolzes Volk. Ihre Geschichte ist geprägt vom Leid und der Unterdrückung durch die englische Krone und Auswanderungswellen. Seit der Finanzkrise 2008 haben schon wieder Zehntausende die Insel aufgrund der aktuellen Rezession verlassen. Doch sie alle tragen einen Teil des irischen Stolzes mit sich.

Auch John O'Shea verließ sein Land bereits mit 15 Jahren, er zog um nach Manchester, weil sich guten Fußballspielern drüben in England bessere Chancen bieten. Doch der inzwischen 31 Jahre alte Verteidiger wusste, was das 1:6 gegen Deutschland im Aviva-Stadion in Dublin für sein Land bedeutete. Es ging an den Stolz.

"Das war eine massive Demütigung", sagte O'Shea nach der Partie im irischen Fernsehen, "man kann ein Spiel verlieren, aber nicht so." Seine Augen versanken tief in ihren Höhlen, er beantwortete noch ein, zwei Fragen, dann brach der das Interview ohne Vorwarnung ab und verschwand.

1:6, das war die höchste Heimniederlage einer irischen Nationalmannschaft. Bei der Europameisterschaft verloren die Iren einmal gegen Spanien 0:4, etwa 20.000 Fans sangen in den letzten Minuten inbrünstig "Low lie the fields of Athenry". Alle, die den Gesang im Stadion oder am Fernseher miterleben durften, schwiegen vor Glück. Sogar der deutsche TV-Kommentator.

Dabei entstand der Eindruck, die Iren seien stets lustig und könnten feiern wie niemand sonst auf der Welt - selbst wenn ihre Fußballer vorgeführt werden wie Schulbuben. Das 1:6 von Dublin bewies nun das Gegenteil. Die Überlegenheit der deutschen Mannschaft war selbst für das irische Gemüt zu viel. Was auch an der EM liegt.

Die drei Niederlagen in der Vorrunde fanden zu Hause auf der Insel nämlich sehr viel weniger Menschen zum Singen als es im Stadion von Danzig den Anschein hatte. Der italienische Trainer Giovanni Trapattoni muss seitdem jede Maßnahme erklären, viele wünschen sich den Rücktritt des 73-jährigen Italieners. Dass am Ende der Partie gegen Deutschland die meisten der verbliebenen Zuschauer ihre eigene Mannschaft ausbuhten, stellt fast einen Tabubruch dar. Und verdeutlicht, wie tief der Graben zwischen dem Team des Italieners und dem stolzen Volk inzwischen ist.

Am Freitag nach dem Spiel geriet die Pressekonferenz zu einem Theaterstück, in dem Misstrauen und Unverständnis in Ablehnung und Provokationen mündeten. Auf der einen Seite des Saales saßen die irischen Sportjournalisten, die in ihrem Dialekt immer härtere Fragen stellten. Vorne auf dem Podium saß Trapattoni mit einer Übersetzerin und stellte sich dem Sturm.

Keine Freundlichkeiten mehr

Trapattoni sprach dabei wie gewohnt Englisch, weil der honorige Italiener das als Höflichkeit gegenüber seinen Gastgebern empfindet. Die Münchner können sich noch belustigt an das Deutsch Trapattonis erinnern, als er Trainer des FC Bayern war. Sein Englisch ist nicht viel besser. Und so verteidigte sich Trapattoni in einer Sprache, die kaum jemand verstand.

Er verwies auf die vielen guten Spieler, die diesmal fehlten. Sei es, weil sie nach der EM aus der Nationalmannschaft zurücktraten wie Shay Given und Damien Duff. Oder weil sie verletzt absagten wie Richard Dunne, Seán St Ledger, Robbie Keane und Glenn Whelan. "In den vergangenen vier Jahren haben wir ungefähr 15 Spieler gewechselt. Diejenigen, die heute spielten, sind die besten Spieler Irlands. Es gibt keine anderen", sagte Trapattoni und fragte die Reporter: "Oder kennen sie andere?"

Doch die Barriere der Freundlichkeiten war längst eingerissen. Ein Journalist fragte, warum er noch in Irland arbeiten wolle, wenn seine beste Mannschaft so einfach überrannt werden könne. Woraufhin der Italiener zurückfragte, warum der Journalist bei einer Zeitung arbeite, auch wenn sie nicht die beste sei. "Weil ich das Geld brauche", erklärte dieser und konterte den Trainer sogleich: "Brauchen Sie das Geld?"

Jetzt sah sich auch der Italiener in seinem Würde angegriffen. Er sei nicht wegen des Geldes irischer Nationaltrainer, sondern weil er stolz sei auf seine Mannschaft und seine Spieler. Die waren allerdings sehr viel weniger stolz auf ihre Darbietung. "Wir wurden deklassiert. Glauben sie uns, keiner nimmt das leicht", sagte Verteidiger Darren O'Dea, "wir werden einige Zeit brauchen, um das zu verarbeiten." Und Stürmer Jonathan Walters erklärte: "So ein Spiel habe ich noch nie erlebt und hoffentlich werde ich das nie wieder erleben."

Was die Iren am meisten irritierte: Ihre Mannschaft konnte nicht einmal ihren berühmten Kampfgeist zeigen, sondern ergab sich in der zweiten Halbzeit praktisch wehrlos in das Desaster. Zu viele Spieler erkannten offenbar ihre Unterlegenheit und verloren den Mut, sich den Deutschen zu widersetzen. Vielleicht waren Spieler wie O'Dea, der in Kanada beim FC Toronto spielt, auch körperlich nicht in der Lage, über 90 Minuten konzentriert dagegenzuhalten.

Noch deutet nichts auf eine Entlassung Trapattonis hin, der Italiener hat noch einen Vertrag bis zum kommenden Jahr und der irische Verband FAI kann es sich wohl schlicht nicht leisten, ihn zu feuern. Und Trapattoni führte aus, dass der Kampf um Platz zwei in der Gruppe hinter dem Favoriten Deutschland geführt wird gegen Österreich und Schweden. Beide hinterließen am Freitag einen ebenso mäßigen Eindruck, Österreich beim 0:0 in Kasachstan, Schweden beim 2:1 auf den Faröer-Inseln.

Dennoch hat sich die Stimmung am Freitagabend in Dublin für irische Verhältnisse dramatisch verschlechtert. Und könnte am Dienstagabend noch viel, viel schlechter werden. Dann tritt die gebückte irische Mannschaft in Torshavn an, auf den knapp 1000 Kilometer nördlich von Dublin gelegenen Faröer Inseln. Ob es da um seinen Job gehe, wurde Giovanni Trapattoni gefragt. "Nein", antwortete er, "die Qualifikation ist noch lang." Für die Iren im Saal klang das am Freitagabend wie eine Drohung.

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