Fußball-WM:Politik spielt mit bei Irans Triumph

FILE PHOTO: World Cup - Group B - Morocco vs Iran

Als Höhepunkt der Jubelarien warf die iranische Mannschaft ihren Trainer Carlos Queiroz in die Luft.

(Foto: Henry Romero/Reuters)
  • Irans Nationalteam sorgt mit einem 1:0 zum WM-Auftakt gegen Marokko für einen Ausnahmezustand in der Heimat.
  • Mehrere Fans nutzen die Aufmerksamkeit für Proteste.
  • Die Islamische Republik soll sich ihrer Meinung nach öffnen, und zum Beispiel Frauen im Stadion erlauben.

Von Sven Haist, Sankt Petersburg

Als der weitgereiste Carlos Queiroz auf die Knie ging, vergegenwärtigte sich die Dimension des Erfolgs für Iran. Vor mehr als drei Jahrzehnten begann der in Mosambik geborene Portugiese Queiroz, 65, seine Trainertätigkeit, die ihn abgesehen von Australien auf jeden Kontinent geführt hat, auf manche sogar mehrmals. Aber auf die Knie ist Queiroz bisher noch nicht gegangen. Zu Beginn des Jahrtausends stellte ihn Real Madrid für eine Saison ein, neben dem Supercup-Sieg mit den Madrilenen gewann er in seiner Karriere mit den portugiesischen Junioren zwei Weltmeistertitel. Der Erfolg über Marokko als Nationaltrainer des Iran übertrifft jedoch seine vorherigen Erlebnisse, so wie das Ergebnis vieles übertrifft, was die Islamische Republik am Persischen Golf im Fußball bisher erreicht hat.

Mit dem 1:0 gelang Iran bei der vierten Teilnahme der überhaupt erst zweite Sieg bei einer Weltmeisterschaft, nach dem 2:1 gegen die USA vor 20 Jahren. In der Euphorie rannten die Spieler am Freitag nach Abpfiff ziellos durcheinander, überall auf dem Platz bildeten sich kleine Gruppen mit iranischen Profis, die feierten wie die Weltmeister, weil sich der Husarenritt vor 62 548 Zuschauer in Sankt Petersburg für sie anfühlte wie der Gewinn des WM-Pokals. Selbst nach zwei Ehrenrunden wollte noch immer kein Iraner das Spielfeld verlassen, die Feierlichkeiten dauerten eine halbe Stunde an.

Trotz der freundlichen Bitte der Sicherheitskräfte, die Fans mögen doch so langsam die Arena verlassen, verließ zunächst niemand die Tribünen. Wer kann schon mit Gewissheit sagen, ob Iran sich jemals wieder für eine WM qualifizieren und dann auch ein Spiel gewinnen wird. Einige Profis wickelten sich in die Nationalflagge ein, auf den Schultern des Torwarts Ali Beiranvand ließ sich Mohammad Khanzadeh über den Rasen tragen. In diesem Trubel bewahrte nur Rechtsverteidiger Ramin Rezaeian die Ruhe, der sich mittendrin zum Gebet niederlegte. Als Höhepunkt der Jubelarien warf die Mannschaft den Trainer mehrmals in die Luft.

Mit einem weiteren Sieg wäre der Iran im Achtelfinale

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"Wir sind keine Supermänner. Ich bin kein Superman. In meinem Leben habe ich gelernt, dass es Superman nur in Karikaturen gibt", sagte Queiroz, "was gelegentlich mal passieren kann, ist, dass eine Gruppe von Menschen, wenn sie vereint sind, super Dinge schaffen können. Das ist exakt, was heute passiert ist. Unsere Einstellung ist, das Unmögliche wahr zu machen." Am Mittwoch trifft Iran im zweiten Spiel der Gruppe B auf Portugal. Durch das Unentschieden zwischen den Favoriten Portugal und Spanien könnte der krasse Außenseiter mit einem weiteren Sieg das Achtelfinale erreichen.

In der Hauptstadt Teheran feierten Fans am Freitagabend in mehreren Bezirken spontane Straßenpartys mit Autokorsos und Hupkonzerten. Laut Augenzeugen sollen junge Frauen und Männer öffentlich getanzt haben, obwohl das im konservativ muslimischen Iran streng verboten ist. Kurz vor Spielbeginn sagte die Regierung das gemeinsame Fußballschauen im Azadi-Stadion und einigen Parks offensichtlich ohne Angaben von Gründen ab. Die Betreiber hatten angekündigt, auch Familien daran teilhaben zu lassen. Nach wie vor gibt es eine beachtliche Opposition im Iran gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter und damit der Teilnahme von Frauen an Sportveranstaltungen. Im Stadion in Sankt Petersburg gingen einige Menschen mit Protestaktionen dagegen vor.

Auf einem weißen Plakat, das rot umrandet war, stand unter dem Hashtag 'Keine Sperre für Frauen' in schwarzer Schrift: "Unterstützt iranische Frauen, Stadien besuchen zu dürfen". Nach dem Hochhalten des Schriftzugs während der ersten Halbzeit in den unteren Sitzreihen in Tornähe gab es einen kleinen Zwischenfall mit drei Sicherheitskräften, der Grund dafür war jedoch nicht ersichtlich. Für kurze Zeit verschwand die Botschaft, bevor sie wieder ausgerollt wurde. Im zweiten Durchgang tauchte das Plakat dann weiter oben im Block auf. Ein Ehepaar, das extra für das Spiel aus dem Iran anreiste, veröffentlichte das Spruchband "4127 km, um als Familie im Stadion zu sein", auf einem anderen Aushang las sich die Botschaft: "Lasst die iranischen Frauen ihre Stadien betreten".

Frauen dürfen nicht ins Stadion

Bei der WM in Russland ist der Gottesstaat das einzige Teilnehmerland, in dem es Frauen verboten ist, bei international wichtigen Sportereignissen im Stadion zu erscheinen. Lediglich im Juni 2015 gab es eine unvollkommene Ausnahme, bei der ein kleiner Teil an Frauen in Teheran zum Volleyball durfte. Seit der iranischen Revolution 1979 gilt das Verbot, zudem wurde den Frauen damals vorgeschrieben, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu kleiden haben.

Vor dem Spiel hatte ein anderer Vorfall im iranischen Quartier in Moskau für Aufsehen gesorgt. Der amerikanische Sportartikelhersteller Nike stellte überraschend die Lieferung der Fußballschuhe ein und begründete das mit den von Präsident Donald Trump verhängten politischen Sanktionen gegen den Iran. Die Amerikaner kündigten im Mai einseitig das Atomabkommen mit dem Staat in Vorderasien auf. Das führte dazu, dass mehrere Spieler sich ihre Schuhe ausleihen oder selbst kaufen mussten, sofern sie den Ausrüster nicht kurzfristig wechseln wollten. "Wir trainieren und spielen unter schlechten Bedingungen. Keine Plätze, kein Trainingslager, keine Freundschaftsspiele wegen den Sanktionen. Es ist meine Pflicht, zu sagen: Lasst uns Fußball spielen", sagte Queiroz.

Ein Eigentor hilft dem Iran

In der fünften Minute der Nachspielzeit verhalf Iran ein Eigentor des marokkanischen Stürmers Aziz Bouhaddouz, der bei Zweitligist St. Pauli angestellt ist, zum Siegtreffer. Dabei hatte sich die Mannschaft eigentlich mit einem Unentschieden bereits abgefunden. Nach einem unansehnlichen Abnutzungsduell waren die Iraner in der Schlussphase völlig entkräftet, die Spieler schleppten sich von einer Unterbrechung zur nächsten. In der Hoffnung, dass irgendwann mal abgepfiffen wird.

Aus einem Konter resultierte schließlich der entscheidende Freistoß, der für Iran zum Traum geriet - und für Bouhaddouz zum Alptraum. "Ich kenne dich nicht persönlich, aber im Leben gewinnt man manchmal und manchmal verliert man. Lass dich durch dieses Eigentor nicht unterkriegen. Ich wünsche Dir nur das Beste für deine Karriere", schrieb der Iraner Reza Ghoochannejhad auf Instagram an Bouhaddouz.

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