Süddeutsche Zeitung

Spitzensportler in Iran:"Wir sind nur Werkzeuge"

  • Von Schachspieler Firouzja bis Taekwondo-Kämpferin Alizadeh: Immer mehr iranische Spitzensportler verlassen ihr Land.
  • Die Machthaber in Teheran verfolgen diese Entwicklung mit großer Sorge; der Sport ist für sie gemeinhin eine willkommene Gelegenheit für eine erfolgreiche internationale Selbstdarstellung.
  • Zugleich setzt auch die Protestbewegung auf Unterstützung durch die Spitzensportler.

Von Johannes Aumüller

Erst 16 Jahre alt ist Alireza Firouzja, aber die Schachszene versetzt er im Moment in große Aufregung. Kontinuierlich schiebt sich der Teenager aus der nordiranischen Stadt Babol in der Weltrangliste nach vorne, bei der Schnellschach-WM im Dezember holte er den zweiten Platz hinter Magnus Carlsen, und aktuell weiß er beim prestigeträchtigen Jahresauftakt-Turnier in Wijk aan Zee zu überzeugen: Zwei Siege gelangen ihm in den ersten vier Partien.

Aber es ist nicht nur die sportliche Komponente, deretwegen Firouzja gerade so in den Fokus gerät - sondern auch die politische. Denn der Mann aus Iran tritt nicht mehr für Iran an. Im Dezember sagte er sich vom nationalen Verband los, seitdem startet er unter der neutralen Flagge des Schach-Weltverbandes Fide. Mit seinem Vater wohnt er inzwischen in Frankreich. Der Grund: Firouzja wollte sich nicht mehr damit abfinden, dass ihm die Staatsräson des Mullah-Regimes Aufeinandertreffen mit israelischen Spielern untersagt.

Alireza Firouzja ist dabei kein Einzelfall. Diverse Akteure des iranischen Spitzensports verlassen derzeit das Land, weil sie sich von der Politik des Regimes distanzieren wollen, weil sie nicht genügend Unterstützung bekommen oder weil sie Restriktionen befürchten. Diese Entwicklung begann schon vor geraumer Zeit, intensiviert sich nun aber noch einmal angesichts der zugespitzten politischen Lage, der Eskalation des Konflikts mit den USA und des Wiederaufkeimens der Protestbewegung.

Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh hinterlässt eine bittere Anklage

Der Judo-Weltmeister Saeid Mollaei etwa beantragte im Herbst in Deutschland Asyl und besitzt inzwischen einen mongolischen Pass. Der Fußballschiedsrichter Alireza Faghani, der schon mehrfach als bester Unparteiischer Asiens ausgezeichnet wurde, migrierte nach Australien. Seine Schach-Kollegin Shohreh Bayat traut sich nach ihrem Einsatz als Chefoffizielle bei der Frauen-WM in China nicht mehr, nach Iran zurückzukehren: Sie trug dabei die für iranische Vertreterinnen vorgeschriebene Kopfbedeckung erst zu lässig und dann gar nicht mehr - und erhielt Drohungen. Und zu Wochenbeginn setzte sich die Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh in die Niederlande ab.

Die 21-Jährige genießt in Iran einen besonderen Status, weil sie bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 als erste Sportlerin in der Geschichte Irans eine olympische Medaille gewinnen konnte: Bronze in der Gewichtsklasse bis 57 Kilogramm. Das Regime schmückte sich danach gerne mit ihr. Aber nun floh Alizadeh und hinterließ eine bittere Anklage.

"Es geht nicht um mich, nicht um uns. Wir sind nur Werkzeuge", schrieb sie bei Instagram in Richtung der politischen und sportpolitischen Führung und warf ihnen Lügen, Korruption und Unterdrückung vor. Sie wünsche sich nichts mehr als "ein Leben mit Taekwondo, in Sicherheit und Gesundheit". Die Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen, sei schwieriger "als ein Kampf um die olympische Goldmedaille. (...) Ich bleibe eine Tochter Irans, wo auch immer ich bin".

Die Machthaber in Teheran verfolgen diese Entwicklung mit großer Sorge; der Sport ist für sie gemeinhin eine willkommene Gelegenheit für eine erfolgreiche internationale Selbstdarstellung. Aber der Exodus der Spitzenathleten passt nur zu gut zur gesamten Entwicklung im Land. Viele junge und gebildete Iraner zieht es aufgrund der politischen Unterdrückung und der extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation ins Ausland; sie sehen für sich keine Perspektive mehr in Iran.

Aus den großen internationalen Sportverbänden wiederum gibt es nur sehr überschaubare Unterstützung für die iranischen Sportler. Und obwohl das Regime etwa mit seinem Verbot von iranisch-israelischen Duellen oder dem langjährigen Stadionverbot für Frauen zentrale Werte des Sports bricht, führte das bisher kaum zu nennenswerten Sanktionen. Nur der Welt-Judoverband hat Iran gerade suspendiert.

Der populäre Volleyballer Saeid Marouf veröffentlicht ein bemerkenswertes Statement

Zugleich setzt auch die Protestbewegung auf Unterstützung durch die Spitzensportler. Das zeigte sich schon vor einem Jahrzehnt, als sich die oppositionelle "grüne Bewegung" formierte. Damals trugen bei einem Länderspiel der iranischen Fußballnationalelf verschiedene Spieler grüne Bänder - bis ein Abgesandter des Regimes in der Halbzeitpause einschritt. In den vergangenen Monaten äußerte sich unter anderem Kapitän Masoud Schodschaei in der Debatte um das Stadionverbot für Frauen klar. Dieses entstamme einer "verfaulten und ekelhaften Denkweise".

Im Kontext der aktuellen Proteste, die nach dem Abschuss eines Passagierflugzeuges und dem Tod von 176 Menschen wieder anschwollen, veröffentlichte der populäre Volleyballer Saeid Marouf ein bemerkenswertes Statement. Als dem Nationalteam zu Wochenbeginn die Qualifikation für die Sommerspiele in Tokio gelang, schrieb der Kapitän: "Heute gibt es in unserer Trauer und Verzweiflung keinen Raum für Freude über unseren Erfolg, für den wir jahrelang gekämpft haben." Die Verzweiflung beziehe sich nicht nur auf das Leid und die Trauer, sondern auch auf die Zukunft, an die er nicht mehr glaube.

Es ist die Frage, ob er auch in Tokio noch der Kapitän der iranischen Mannschaft sein wird.

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SZ vom 16.01.2020/tbr
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