IOC und Russland:Bachs Argumentation wird auseinandergenommen

Tennis: Die Ukrainerin Marta Kostjuk

Advantage Marta Kostjuk: Die ukrainische Tennisspielerin widerspricht IOC-Präsident Thomas Bach.

(Foto: Geoff Burke/USA Today Sports/Imago)

Nach der jüngsten Russland-Entscheidung regt sich auch im Tennis lauter Widerstand gegen IOC-Präsident Thomas Bach. Der Sportfunktionär wehrt sich, beklagt "Doppelmoral" - und gerät dabei ins Schlingern.

Von Johannes Knuth

Vor ein paar Tagen wunderte sich die Tennisspielerin Marta Kostjuk über die Aufmerksamkeit, die ihr auf einmal aus den höchsten olympischen Kreisen entgegengeschwappte. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hatte da gerade das Finale beim WTA-Turnier in Texas erwähnt, das die Ukrainerin Kostjuk gegen die Russin Warwara Gratschowa gewonnen hatte. Daran sehe man ja, sagte Bach sinngemäß, dass ukrainische und russische Athleten längst wieder friedlich miteinander sportelten - so, wie es laut dem Befehl, pardon, auf jüngste Empfehlung des IOC ab sofort auch wieder in allen olympischen Sportarten der Fall sein soll.

Kostjuk nahm dieses Argument in einer Presserunde mit diversen olympischen Athleten nun auseinander. Sie sagte, dass sie zunächst einmal keine echte Wahl habe, eine solche Partie zu verweigern. Das Weltranglistensystem im Tennis würde sie sonst bestrafen, "ich würde meine Position im Ranking verlieren", sagte sie, "meine Karriere wäre vorbei". Tatsächlich wirkte es kurios, dass Bach just Kostjuks Partie in Texas erwähnte. Die Ukrainerin hatte sich nach ihrem Sieg geweigert, Gratschowa die Hand zu schütteln, so wie es im Tennis-Knigge Usus ist. Der Fall war weltweit durch die Nachrichtenspalten gerauscht.

Kostjuk nahm ihren neuen Ruhm nun jedenfalls zum Anlass, um sich aus den Hinterzimmern der Diplomatie hinauszuwagen: "Wir haben dies bislang nicht öffentlich getan", sagte sie - sie meinte offenbar die ukrainischen Tennisspieler und den Verband - "aber wir versuchen seit einem Jahr, Athleten aus Russland und Belarus aus unserem Sport zu verbannen." Leider sei man als Tennisprofi abhängig, arbeite gewissermaßen für die Profivereinigungen WTA und ATP: "Wir haben nicht viel Kraft, um Wandel herbeizuführen."

Aber die "Qual", die jedes Match gegen einen Athleten aus Russland oder Belarus bereite, die könne man sehr wohl schildern. Diesen Part übernahm Kostjuks Landsfrau Lessja Zurenko, auch sie war zuletzt ungewollt ins Rampenlicht gerückt: Zurenko hatte sich vor ihrer Drittrundenpartie in Indian Wells zurückgezogen, weil ihr die Umstände (und eine angeblich unterkühlte Unterredung mit WTA-Boss Steve Simon) Panikattacken beschert hatten.

Innenministerin Nancy Faeser sprach von einem "Schlag ins Gesicht der Sportler"

Die deutsche Fechterin und Athletensprecherin Lea Krüger gab noch zu bedenken, dass schon die Symbolik vieler Sportwettkämpfe zutiefst jenem Friedensgedanken widerspreche, den das IOC für seine Eingliederung russischer und belarussischer Athleten jetzt reklamiert. "Wie könne etwa ein ukrainischer Fechter jetzt schon wieder gegen einen russischen fechten - jeweils mit Waffen in der Hand?", fragte Krüger.

Thomas Bach, der heftig gegrillte IOC-Präsident, hockte nun am Donnerstag in einer weiteren Presserunde, im olympischen Mutterschiff in Lausanne. Er sprach von einem angeblich gewaltigen Zuspruch für seine neuen IOC-Empfehlungen, russische Athleten unter angeblich strikten Auflagen zuzulassen, ohne Flagge, Hymne oder sonstige staatliche Abzeichen. Er sprach von "einigen negativen Reaktionen, vor allem von manchen europäischen Regierungen." Wer da wohl bloß gemeint war?

Bach dürfte es schon schmerzen, dass es wieder mal just die Politik seiner Heimat ist, die seinen Kurs massiv kritisiert; Innenministerin Nancy Faeser hatte von einem "Schlag ins Gesicht der Sportler" gesprochen. Der deutsche IOC-Präsident klagte nun jedenfalls, dass es "deplorable" sei - was man sowohl mit bedauerlich als auch erbärmlich übersetzen kann -, dass manche Regierungen sich in die Entscheidungen des autonomen Sports einmischen würden. Er sprach von "Doppelmoral" - ein besonders origineller Einwand, wenn man bedenkt, wie selbstverständlich das IOC und seine angeschlossenen Funkhäuser seit Jahrzehnten staatliche Zuwendungen einstecken. Dann sprach er von 70 weltweiten Konflikten, die diese Regierungen keinesfalls erwähnen würden. Bach nannte Sportler im Jemen, denen die Existenz weggebombt wurde, von allein elf Millionen hungergefährdeten Kindern dort - und warf so wahllos grundverschiedene Konflikte und Umstände in einen Topf.

Aber das sei ja schon ein interessanter Punkt, hakte ein Reporter nach: Sei es dann nicht auch doppelbödig vom IOC, bloß Russlands Athleten unter neutralem Banner auflaufen lassen zu wollen? Was sei mit den 69 anderen Aggressoren? Na ja, sagte Bach, Russland habe ja "unverhohlen" den olympischen Frieden gebrochen, als es im Februar 2022 die Ukraine überfiel, rund um die Peking-Winterspiele. Und alle anderen 69 Konflikte hatten in der Zeit etwa Feuerpause?

Bach fand jedenfalls, dass sein IOC alles in allem schon "einen gewissen Mittelweg" gefunden habe. Das könne man ja schon daran ablesen, dass das IOC-Verdikt auch aus Moskau als "absolute Farce" klassifiziert worden sei. Auf diesem Mittelweg könne man sich nun hoffentlich gemeinsam fortbewegen. Nicht nur die Tennisspielerin Marta Kostjuk dürfte das ein wenig anders sehen.

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