Russland und Olympia:Gefecht der Gelehrten

Russland und Olympia: En garde: Gefechte auf der Planche wie 2016 in Rio zwischen der Französin Lauren Rembi (rechts) und der Russin Wioletta Kolobowa könnte es bald wieder geben - auch bei den Sommerspielen 2024.

En garde: Gefechte auf der Planche wie 2016 in Rio zwischen der Französin Lauren Rembi (rechts) und der Russin Wioletta Kolobowa könnte es bald wieder geben - auch bei den Sommerspielen 2024.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Ist es diskriminierend, wenn man russische Athleten von Sportevents aussperrt? Nein, findet der Deutsche Olympische Sportbund und begründet dies nun mit einem Gutachten - doch auch diese Position hat ihre Tücken.

Von Johannes Knuth

Die Nachricht, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) am Wochenende in die Welt setzte, musste man erst etwas durchforsten, ehe man auf die darin verpackte Brisanz stieß.

Man habe die vergangenen Wochen "intensiv" diskutiert, ob Athleten aus Russland und Belarus wieder für internationale Wettkämpfe zugelassen werden sollen, hieß es. Man habe dazu Athletenvertreter und Mitgliedsverbände gehört, Experten aus Wirtschaft, Politik und Recht und festgestellt: Man wolle sich weiter gegen eine Teilhabe besagter Athleten stemmen - sich aber keinem Boykott anschließen. So gut, so bekannt, so inkonsequent. Auch bekannt ist, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) das Gegenteil will, der Fecht-Weltverband sogar vorgeprescht ist. Neu ist das Rechtsgutachten, das der DOSB jetzt auf seiner Homepage ausreicht, um seine Position zu stärken - was die Debatte befeuern dürfte.

Das IOC suggeriert, es habe gar keine andere Wahl, als Athleten aus Russland und Belarus wieder zuzulassen

Die Haltung das IOC geht seit einer Weile sinngemäß so: Man habe den Fachverbänden bis zuletzt nahegelegt, Athleten aus Russland und Belarus zu suspendieren - "schweren Herzens", aus Gründen der Sicherheit und Integrität. Schuld daran, so schimmert es in manchen Aufsätzen des IOC durch, sind aber anscheinend weniger die Kriegstreiber, sondern etwa jene Regierungen, die russischen Athleten die Einreise zu Wettkämpfen verwehren. IOC-Präsident Thomas Bach hatte zuletzt nun immer wieder auf die Sondergesandten des UN-Menschenrechtrats verwiesen: Diese würden ernsthaft zu bedenken geben, ein Ausschluss "wegen eines Passes oder des Geburtsorts" verstoße gegen das Diskriminierungsverbot. Als habe das IOC da keine Wahl, leider, leider.

Das Gutachten, das die Professorin Patricia Wiater nun für den DOSB angefertigt hat, führt zu einem anderen Fazit. Wiater hat an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Menschenrechte inne (und wurde zuletzt vom DOSB in dessen Menschenrechtsrat berufen); sie erkennt mehrere "legitime Zwecke", die einem Ausschluss innewohnen könnten: Sicherheitsbedenken etwa, auch "friedenspolitische Gründe", wenn eine Verbannung bezwecke, "einer kriegspropagandistischen Instrumentalisierung von Sportereignissen entgegenzutreten und dadurch einen Beitrag zur Deeskalation des Angriffskriegs zu leisten".

Das dürfte in juristischen Kreisen weitere Widersprüche provozieren. Das IOC, sagt etwa der Münchner Sportrechtsexperte Mark-E. Orth, verpflichte sich zwar ausdauernd dazu, allerhand Menschenrechtstandards einzuhalten. Als Sportverband gelte es aber als privater Akteur, und als solcher unterliege es nicht unmittelbar jenen Sanktionsmechanismen, die bei einem Staat greifen. Das sei ein wenig so, sagt Orth, als baue man sich auf seinem privaten Grund eine Straße und rufe darauf die Straßenverkehrsordnung aus. Trotzdem könne kein Polizist dort ein Knöllchen verhängen, wenn zu schnell gefahren wird.

Diskriminierungen können statthaft sein - wenn sie einem klar formulierten Ziel dienen

Das Urteil des DOSB-Gutachtens beurteilt Orth als ähnlich wackelig. Wiater selbst hält in ihrer Conclusio fest, dass das IOC "weder an internationale Menschenrechtsabkommen gebunden" sei, noch "danach unmittelbar zur Rechenschaft gezogen werden" kann. Sie folgert zwar, dass sich das IOC trotzdem an diesen Standards messen lassen müsse, weil es sich dazu verpflichtet und eine "staatsähnliche Regelungsgewalt und Organisationsstruktur" habe. Orth hält derartige Selbstverpflichtungen aber für wenig stichhaltig - zumindest um daraus abzuleiten, ob ein Ausschluss russischer Athleten von Olympischen Spielen rechtens ist oder nicht.

Ein passenderes Spielfeld sieht der Kartellrechtexperte - wenig überraschend - im Kartellrecht. Schon weil das IOC diesem unmittelbar unterworfen ist und es nicht bestimmen kann, wie weit es durchgesetzt wird. Russische Athleten könnten etwa im Falle eines Ausschlusses darauf verweisen, dass das IOC eine marktbeherrschende Stellung ausübt, indem es (mit nationalen Olympia-Komitees und Fachverbänden) exklusiv über den Zugang zu Großveranstaltungen wacht. Wird ein Athlet dabei ungleich behandelt, könnte auch dies bedeuten: Missbrauch der Marktbeherrschung!

Dem gegenüber kann sich das IOC darauf berufen, dass es selbstgesetzte und niedergeschriebene Ziele verfolgt - zum Beispiel die Friedensförderung, die es (wohl etwas zu schwammig) in seiner Charta verankert hat. Lässt sich jedenfalls ein klar formuliertes, von der IOC-Charta als hochrangig formuliertes Ziel ausmachen, sagt Orth, müsse das IOC kein nationales Olympia-Komitee zu seinen Spielen durchwinken, dessen Land zum Beispiel dieses Ziel verletzt. Das NOK müsste nicht mal zwingend Schuld daran tragen, dass sein Staat einen Angriffskrieg losgebrochen hat - das Ziel des IOC und dessen Verbandsautonomie wiege dann schwerer als die Frage, ob man russische Athleten für die Verbrechen ihres Staatspräsident verantwortlich machen kann.

Wenn das IOC denn an überhaupt an solcher Rechtssicherheit interessiert sein sollte- womit man wieder aufs politische Spielfeld wechselt.

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