IOC-Präsident Thomas Bach:Uneins nur beim Schokokuchen

IOC-Präsident Thomas Bach: IOC-Präsident Thomas Bach am ersten Tag der 137. Session.

IOC-Präsident Thomas Bach am ersten Tag der 137. Session.

(Foto: Greg Martin/AFP)

Die IOC-Session zur Wiederwahl von Thomas Bach belegt, welcher Personenkult im Ringe-Konzern inzwischen herrscht. Kritische Stimmen gibt es nicht mehr - dafür bemerkenswerte Einlassungen zu den anstehenden Großereignissen in Tokio und Peking.

Von Johannes Aumüller, Lausanne/Frankfurt

Es ist eine wirklich schwere Aufgabe, die sich die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gegeben haben. Aber sie haben die Latte nun mal selbst sehr hochgelegt. Als im vergangenen Sommer Thomas Bach ankündigte, für eine zweite Amtszeit an der Spitze des Ringe-Konzerns zu kandidieren, erging sich die Runde in einer ziemlich peinlichen Huldigungsarie für den deutschen Wirtschaftsanwalt. An diesem Mittwoch schalteten sich die IOC-Mitglieder nun zur 137. Session zusammen, um Bach, 67, auch tatsächlich zu, nun ja, wählen - und das IOC hat sich offenkundig vorgenommen, das Ausmaß an Unterwürfigkeit und Personenkult noch einmal zu erhöhen.

Ausgiebig rühmen die Mitglieder Bachs "Führung" und "Vision" und "Inspiration". Seine Rede sei "prächtiger als je zuvor" gewesen, preist das altgediente IOC-Mitglied Gunilla Lindberg, und das jüngste IOC-Mitglied, Samira Asghari aus Afghanistan, teilt mit, dass der Herr Präsident "frisch" und "ausgeruht" aussehe. Da kommt es ja schon fast blasphemisch daher, dass das neue IOC-Mitglied Gianni Infantino, im Hauptjob bekanntlich Präsident des Fußball-Weltverbandes, Bach lediglich zum "Kapitän" des Teams Olympia-Sport ausruft. Aber dafür bildet den Schluss der Lobpreisung Anita DeFrantz, die so rührend über ihren alten Weggefährten Thomas spricht, dass dem sogar die Tränen kommen.

93 Ja-Stimmen, vier Enthaltungen, eine Nein-Stimme, das ist schließlich das Ergebnis der Abstimmung. Überwältigend sei das, erklärt Bach nach dieser Wahl, die gemäß der gültigen Olympischen Charta auch seine letzte Amtszeit einleitet. 2025 müsste er das Präsidentenamt eigentlich abgeben. Aber in seiner jetzigen Verfasstheit ist beim IOC vieles vorstellbar.

Bachs vorderster, tja, Erfolg in seinen acht Jahren an der IOC-Spitze ist es, das IOC ganz auf sich zugeschnitten zu haben - und das zeigt sich am Tag seiner Wiederwahl wieder bestens. Kritische Stimmen gibt es offenkundig nicht mehr, zumindest keine, die sich öffentlich äußern. Uneinigkeit muss im IOC nur der arme Schokokuchen ertragen, der als Testfrage fürs elektronische Abstimmungssystem herhalten muss und nur mit dem knappen Ergebnis von 55 zu 37 zum besten Dessert gekürt wird.

Eigentlich war es geplant gewesen, dass dieses Event in Athen stattfinde würde, dem Geburtsort des olympischen Spiritismus. Nun ist es Pandemie-bedingt eine virtuelle Session, in der die knapp 100 teilnehmenden Mitglieder nur in kleinen Bildchen auf der Leinwand vor Bach zu sehen sind, aber immerhin eine Schalte nach Athen gibt es, wo der Chef des griechischen olympischen Komitees steht und den olympischen Geist beschwört. Und in der Session sieht es angemessen demütig aus, wie viele IOC-Mitglieder eifrig mit dem Kopf schütteln, als Bach nach Ergänzungen zum Protokoll der vergangenen Zusammenkunft fragt - oder wie ein grinsender Infantino und manch anderer den Daumen in die Kameras recken, als es darum geht, die Aussprache zu seinen Reden zu einem Tagesordnungspunkt zusammenzulegen.

So unterwürfig die Mitglieder sind - das Image des IOC in der Öffentlichkeit ist schlecht

"Olympische Agenda 2020", das war der Begriff, den Bach seit Beginn seiner Amtszeit so ausgiebig verwandte, und als er am Mittwoch Bilanz zieht, da ist dieser Begriff die Chiffre dafür, wie viel sich unter ihm geändert habe und wie toll angeblich alles geworden sei: die ökonomische Situation des IOC und der Bewerbungsprozess um Olympische Spiele, die zunehmende Geschlechtergerechtigkeit in Kommissionen wie bei Olympia-Startern und die Gewährleistung des Weltfriedens, ach nein, das doch noch nicht.

Tatsächlich hat sich unter Bachs Führung nicht wirklich viel zum Besseren verändert. Das Gegenteil ist richtig: Seltsamkeiten wie der milde Umgang mit Russlands Staatsdoping-Skandal waren prägend für seine Amtszeit, das Image ist extrem schlecht. In Bürgervoten sind zahlreiche Olympia-Bewerbungen gescheitert, unter anderen für München 2022 und Hamburg 2024, auch in vielen anderen westlichen Ländern. Im Deutschland gab es vor etwas mehr als einem Jahr rund um eine mögliche neuerliche Olympia-Bewerbung eine Umfrage, in der das IOC auf einer Skala zwischen plus 5 und minus 5 bewertet werden sollte: In Nordrhein-Westfalen kam es auf einen Wert von minus 1,2, in Berlin auf minus 1,7. Mündige Athleten gehen längst auf Distanz zum IOC-Kosmos, dafür beschäftigen sich Staatsanwaltschaften rund um den Globus mit Verfehlungen im Olymp, bis hin zu Anrüchigkeiten bei Spiele-Vergaben.

Immerhin ist die "Agenda 2020" mit dieser Session nun Geschichte, denn Bach und sein IOC verordnen sich den nächsten Entwicklungsschritt. Der kreative Titel: Olympic Agenda 2020+5. Teil davon sind die olympischen Stehsätze, die gut klingen, aber eher selten gelebt werden, wie ein größerer Kampf für Nachhaltigkeit und gegen Doping. Nicht verdrängen kann Bach, dass ihm in seiner zweiten Amtszeit erst einmal zwei sehr schwere Olympische Spiele bevorstehen: die verlegten Sommerspiele in Tokio im Juli, dann die Winterspiele von Peking im Februar.

Bach zeigt sich am Mittwoch wegen der Tokio-Spiele zuversichtlich. "Die Frage ist nicht, ob die Olympischen Spiele stattfinden, sondern wie sie veranstaltet werden", gibt er als Parole aus, als sei es allein an ihm, dies zu verfügen. Dabei spricht sich die japanische Bevölkerung in Umfragen längst gegen eine Austragung der Spiele aus.

Noch viel schwieriger werden für das IOC die Spiele 2022 in Peking. Die Internierung von Hunderttausenden Uiguren in Zwangslagern ruft längst riesige Empörung und Boykott-Debatten hervor. Zugleich werden dort Landstriche zerfräst und gravierende Folgen für die Umwelt in Kauf genommen - Bach weist am Mittwoch lieber darauf hin, dass alle olympischen Sportstätten mit erneuerbarer Energie betrieben würden. Und sein Generaldirektor beschwört sogar die "Legacy", die man von Peking 2022 erwarten dürfte. Eher unwahrscheinlich, dass es eine "Legacy" wird, die dem IOC gut zu Gesicht steht.

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