Süddeutsche Zeitung

IOC-Präsident Bach:Wie ein wirrer Aufruf zum Staatsdoping

In der größten Vertrauenskrise agiert IOC-Präsident Bach wie früher als Fechter: täuschen, fintieren, jäh zustechen. Trotzdem verheddert er sich.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Es wurde öfter Mal vernehmlich gegluckst im Raum Samba des Medienzentrums. Thomas Bach hatte bei der ersten Pressekonferenz in Rio bohrende Fragen zu beantworten, zu manchen riefen die Berichterstatter einander vorab die Antwort zu: "No!" Nein sagt der Chef des Internationalen Olympischen Komitees verlässlich - zur Frage, ob die saloppe Abhandlung der Staatsdoping-Affäre in Russland das IOC beschädige, ebenso wie zu der Kernfrage, die ja längst über der Angelegenheit schwebt: Wie eng ist die Freundschaft zu Wladimir Putin, "werden Sie von russischer Seite beeinflusst?"

"No!", rief Bach in den Saal. Dazu breitete der Deutsche seine Sicht auf die Problematik aus, die auf den Spielen lastet.

Niemals, sagt dazu der Alterspräsident des IOC, Dick Pound, habe er den Ringe-Zirkel in größerer Erklärungsnot erlebt zu dem Thema schlechthin: Integrität. Der Kanadier, Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, ist seit 1978 dabei. Ein paar Krisen hat es seither durchaus gegeben. Aber keine wie diese.

"Wir können keinen Staatschef bestrafen", doziert Bach

Bach war Fechter. Er hat stets hinter der Maske gekämpft; täuschen, fintieren, zustechen gehört zum Repertoire. Aber selbst der Wirtschaftsadvokat, dessen Spezialität es ist, entschlossen für eine Sache zu sein und zugleich strikt dagegen, verheddert sich nun in den eigenen Argumentationssträngen. Am Ende klingen seine Ausflüchte zur Behandlung der Staatsdoping-Causa Russland wie ein wirrer Aufruf pro Staatsdoping.

Einerseits ist Bach für den sanftmütigen Umgang, den sein IOC mit russischen Dopingathleten pflegt: "Wie weit darf man gehen, um Athleten für die Fehler ihrer Regierung zu bestrafen?" Nicht weit, die Antwort schwingt mit. Andererseits, die Regierung - auch ein Problem. "Wir können keinen Staatschef oder Minister bestrafen", doziert der IOC-Boss. Summe dieser Pharma-Logik: Es braucht nur ein Staat seine Athleten dopen, und alle sind fein raus! Die Sportler werden zu schützenswerten Opfern, und die Täter: Nun, die kann der Sport ja nicht bestrafen.

Bach ist nicht zu fassen. Er sitzt auf dem Podium und versucht zu lächeln; der offene Hemdkragen dort, wo die Vorgänger teure Krawatten trugen, signalisiert Nähe und formlosen Umgang. Tatsächlich fällt das IOC unter dem Deutschen in die starre Autokratie zurück, die Jacques Rogge in seiner Amtszeit bis 2013 just ein wenig aufgelockert hatte. Der Belgier übernahm den Thron 2001 von Juan Antonio Samaranch.

Der spanische Franco-Verehrer hatte den Laden eisern im Griff, nach 21 Herrschaftsjahren musste er abtreten, weil der Korruptionsskandal um Salt Lake City sein IOC an den Rand des Untergangs getrieben hatte. Samaranch beugte sich auch dem Druck der Amerikaner, die ihn zum Bußgang nach Washington beordert hatten. So, wie Jahre später das FBI den ewigen Fifa-Patron Sepp Blatter zum Abgang zwang.

Samaranch, einst Botschafter in Moskau, musste gehen, vieles von ihm blieb. Darunter Bach, Samaranchs Musterzögling, der 1991 ins IOC eingerückt und schon 1996 in den Vorstand geklettert war. 2001, als Samaranch den Stab bei einer im geliebten Moskau veranstalteten Session an Rogge abgab, wurde auch die Zukunft für die Zeit nach dem Intermezzo des belgischen Arztes aufgestellt. Bach sollte es werden. So hat es jedenfalls 2013 einer in die ARD-Kamera gesagt, der es wissen müsste; einer, der Bach als wichtigster Wahlhelfer auf den Thron half: Ahmad Al-Sabah. Der Scheich aus Kuwait, der beste Drähte nach Moskau hat, beschrieb Bachs Aufstieg als eine Art Masterplan - in dem der Deutsche, wenn er Präsident sei, auch seinen Teil der Abmachung zu erfüllen habe.

Bach trat der mysteriösen Andeutung des Getreuen nie klar entgegen. Al-Sabah verwaltet im IOC den Solidarfonds, die Fördermillionen. Als ANOC-Verbandschef präsidiert er allen Olympiakomitees der Welt. Jetzt, in der Bredouille von Rio, muss Bach erneut Al-Sabahs Bataillone bemühen, um seine Russland-Politik zu rechtfertigen: Er habe viel Support im Sport, alle 206 NOKs der Welt stünden geeint hinter dem IOC.

Hört man sich um im IOC-Stammhotel am Strand des Vororts Barra, klingt das anders. Das IOC funktioniert de facto nach Kommandostruktur, freie Rede war nie erwünscht. Die Mitglieder sehnen nur noch die Eröffnung am Freitag herbei. "Sobald die Fackel brennt, ist alles gut. Dann regieren nur die bunten Bilder", sagt einer, der die Abläufe seit Dekaden kennt.

Bis dahin muss das Thema Staatsdoping ausgeblendet werden. Es beherrscht die Welt - in Rio steht es nicht mal auf der Agenda der IOC-Session, die ab Dienstag tagt. Stattdessen rücken dort die Sommerspiele 2020 in Tokio in den Fokus. Kaum anzunehmen aber, dass dann über den Ermittlungsstand in Japan und Frankreich geredet wird, wo Staatsanwälte Millionen-Zahlungen im Kontext der Vergabe an Tokio nachgehen.

Bach will die Sache aussitzen

Immer mehr erinnert an die untergehende Samaranch-Ära. Distanzierung wird spürbar - es rumort in den Athletenvertretungen des IOC und in der Wada. Die Frage ist, ob sie vor der Eröffnung eine Positionierung wagen. Auch in Hinblick auf Whistleblowerin Julia Stepanowa, die olympischen Heldengeist bewies, als sie über das russische Doping auspackte und dafür aus ihrer Heimat fliehen musste. Und die jetzt nicht starten darf, weil ihr das Bach-Gremium die ethische Eignung abspricht.

Es rumort aber auch, weil die Athleten die IOC-Kriterien nicht mehr verstehen, während immer klarer wird, dass Mächte wie die Russen den Olymp regieren, oder die Sportsfreunde aus China. Geherin Liu Hong darf über 20 km starten, die Mitfavoritin war nach einem Dopingbefund bei der Team-WM im Mai nur einen Monat gesperrt worden. Die deutsche Mountainbike-Olympiasiegerin Sabine Spitz sagt, was viele denken: Mit kleinen Ländern würde anders verfahren als mit den großen.

Bach will die Sache aussitzen. Nach Rio werde weiter verhandelt. Nur eines sagt er noch öfter: Das IOC trage "keine Verantwortung", weder für dies noch für das. Keine Verantwortung - der Spruch hat ein Begriffspaar abgelöst, das Bach ins Schallarchiv der olympischen Rhetorik verbannen musste: null Toleranz gegen Doping.

Die Wada führt die Liste derjenigen an, denen Bach die Schuld am Russland-Debakel zuschiebt. Sie habe Informationen zu Russland zu spät verfolgt. Die Wada konterte am Montag: Man habe sofort eine unabhängige Ermittlung angesetzt, als im Mai der frühere Chef des Moskauer Labors, Gregori Rodschenko, öffentlich konkrete Betrugsvarianten vorgetragen hatte. Die Beweislage sei zu brisant, als dass man sie samt Bericht hätte verschieben können. Auch hier ist die spannende Frage: Würde das IOC lieber ein Heer von Sündern am Start in Rio sehen - um später haufenweise Medaillen umzuverteilen?

Heikle Kunde kam auch aus Bachs Heimatland: Eine Web-Initiative pro Julia Stepanowa hat die Grenze von 100 000 Unterstützern überschritten. Es wird eng. Hoffentlich brennt die verflixte Fackel bald.

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SZ vom 02.08.2016/fued
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