Wer seine Kandidatur für ein wichtiges Amt verkündet, muss allerlei Fallstricke umschiffen. Er muss angriffslustig, aber auch schon irgendwie präsidial auftreten, und was die Symbolik betrifft, da muss er damit rechnen, dass jedes Augenzwinkern in irgendeiner Art gegen ihn verwendet wird (Hallo, Armin Laschet!). Ein Lehrbeispiel, wie man dabei auf jegliche Logik pfeift, hat einst Donald Trump vorgeführt. Der lancierte vor neun Jahren seine erfolgreiche erste Präsidentschaftskampagne, indem er auf einer goldenen Rolltreppe hinab fuhr, und anschließend gegen angebliche Vergewaltiger aus Mexiko wetterte, die in die USA einfallen würden. Mit Trumps Umfragewerten ging es trotzdem bergauf.
Im Vergleich dazu ist das Internationale Olympische Komitee (IOC) um einiges verschlossener. Das ist einerseits schade, weil viel Potenzial verloren geht – wer hätte nicht gerne erlebt, wie Thomas Bach im Heiligen Hain von Olympia seine IOC-Präsidentschaftskandidatur verkündet, auf einer Marmortreppe hinabgleitend? Andererseits lässt sich da nichts machen. Das natürliche Habitat des IOC ist das Hinterzimmer, es untersagt Kandidaten jeglichen Wahlkampf, etwa Videos und Debatten. Die sieben Bewerber, die seit Montag offiziell um die Nachfolge Bachs buhlen, dürfen sich im kommenden Januar bloß hinter verschlossenen Türen dem Wahlvolk der mehr als 100 IOC-Mitglieder präsentieren. Im März 2025 steht dann in Athen die Kür an. So ist es auch gar nicht so leicht, die Aussichten des Feldes zu dechiffrieren.
Ein Dreikampf an der Spitze, mit Bachs mutmaßlicher Favoritin Kirsty Coventry sowie Sebastian Coe und Juan Antonio Samaranch junior, zeichnet sich bereits ab. Aber was ist eigentlich mit dem Klub der verbliebenen vier Männer?
Radsport-Präsident David Lappartient ist seit 2022 IOC-Mitglied – nach alter Sitte viel zu kurz
In gut einem halben Jahr bis zur Wahl kann sich vieles verschieben, und so ist auch das restliche Feld längst noch nicht geschlagen. Zwar gilt Coventry derzeit als jene, die am ehesten in Bachs Gunst steht (und die ihm womöglich einen diskreten Nebeneingang zur Macht sichern könnte). Allerdings genießt die Sportministerin aus Simbabwe unter den IOC-Mitgliedern längst nicht die größten Sympathiewerte. Nicht ausgeschlossen, dass noch ein Ersatzkandidat an ihre Stelle rückt: etwa Radsport-Weltverbandspräsident David Lappartient.
Der Regionalpolitiker aus der Bretagne hat, seit er 2017 ins höchste Amt des Radsports gerückt ist, die Gipfel der Sportpolitik fast so rasch erklommen wie die besten Kletterer bei der Tour de France die schwersten Berge. Er ist 51 Jahre alt, hat also zumindest keine Probleme mit etwaigen Altersgrenzen, und erst seit 2022 IOC-Mitglied – nach alter Sitte viel zu kurz, um drei Jahre später ins höchste Amt zu rutschen. Er ist allerdings erstaunlich rasch ins Zentrum der Macht gerückt: als Verbindungsmann zwischen dem IOC und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Der hat zuletzt eifrig im Weltsport gewerkelt, als Gastgeber der Pariser Sommerspiele gewirkt und die Winterspiele 2030 nach Frankreich geholt. Lappartient wiederum leitet im IOC jene Kommission, die den Deal einfädelte, dass Saudi-Arabien ab 2025 für zwölf Jahre die neu eingeführten olympischen E-Sport-Spiele ausrichten darf. Allein mit Zockerspielen wird sich das Königreich freilich kaum zufriedengeben. Ein IOC-Nachfolger mit Drähten zu einer der kommenden Großmächte im Weltsport wäre jedenfalls auch in Bachs Sinne.
In diesem Lichte wäre auch Jordaniens Prinz Feisal Al Hussein eine Alternative. Der einstige Rallye-Sportler und Ringer leitet seit 2007 das Olympia-Komitee seines Landes; die Adelsfamilie ist, wie üblich, im Sport verdrahtet. Sein Halbbruder Prinz Ali forderte etwa 2015 den damaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter heraus, wenn auch erfolglos. Allerdings ist der Einfluss der arabischen Welt ohnehin groß, Saudi-Arabien hat sich bereits die Fußball-WM 2034 gesichert und buhlt intensiv um die Olympischen Sommerspiele. Ein arabischer IOC-Präsident wäre da womöglich ein wenig zu viel des Guten. Zumal Thomas Bach schon vor seiner IOC-Präsidialzeit eng mit der Region vernetzt war, etwa als Präsident der deutsch-arabischen Handelsvereinigung Ghorfa.
Bleiben zwei augenscheinliche Außenseiter: der Japaner Morinari Watanabe, 65, seit 2017 Präsident des Turn-Weltverbandes FIG – und Johan Eliasch, 62, ein britisch-schwedischer Milliardär, der seit 2021 den Wintersportverband Fis lenkt. Da bleibt abzuwarten, ob solchen Kandidaturen ein taktisches Kalkül innewohnt. Die Erfahrung zeigt: Mancher Bewerber zieht sich gerne mal vorzeitig zurück, unterstützt fortan einen anderen – womöglich nicht aus gänzlich altruistischen Motiven.
Vor allem Eliaschs Kandidatur ist in diesem Kontext, nun ja, spannend. Der langjährige Eigentümer des Sportartikelherstellers Head hat binnen seiner dreijährigen Zeit an der Fis-Spitze allerlei Debatten, Rechtsstreitigkeiten und Affären losgetreten, in zentralen Projekten wie der TV-Vermarktung aber bis zuletzt keine Einigung erzielt. Sucht da einer spontan einen Ausweg in andere, olympische Gefilde, in welcher Funktion auch immer? Viele hochrangige Fis-Vertreter wurden dem Vernehmen nach jedenfalls völlig von Eliaschs IOC-Kandidatur überrascht.
Zugleich sind die Turbulenzen in der Fis auch dem IOC nicht verborgen geblieben. Als Eliasch im vergangenen Juli in Paris zum IOC-Mitglied ernannt wurde, erhielt er nur rund zwei Drittel der Stimmen – für den Präsidenten des weltweit wichtigsten Wintersportverbandes eine Ohrfeige. Immerhin: Ein wenig Unterhaltung ist garantiert in dieser sonst so verschlossenen Welt.