Süddeutsche Zeitung

IOC-Präsident Bach in Sotschi:Schnee unter Sägespänen

Menschenrechtsverletzungen, Ausgebeutete Arbeiter, exorbitante Kosten, gigantische Sicherheitsvorkehrungen, unfertige Hotels: IOC-Präsident Thomas Bach muss in Sotschi viel erklären. Er findet jedoch: Alles kein Problem.

Von Thomas Kistner

Für Thomas Bach hat der olympische Wettstreit längst begonnen. Seit Herbst führt er das Internationale Olympische Komitee an, dessen Vizepräsident er viele Jahre lang war. Und nun lastet so viel Druck auf dem zentralverriegelten Sotschi, dass es opportun erscheint, auch innerhalb des Olymps Reformen auszurufen. Transparenz im IOC und eine Debatte über dessen "Rolle in der Gesellschaft" stellte Bach für die Session ab Mittwoch in Aussicht. Wie das ausschauen dürfte, führte er am Montag beim präsidialen Pressetreff gleich selbst vor: Da gerieten, beim engagierten Abwiegeln der Probleme, die Argumente schon mal durcheinander.

Zudem ist manches einfach dumm gelaufen. So wehrt sich Bach ja seit langem gegen das Etikett, Sotschi veranstalte die "Putin-Spiele". Sein frommes Bemühen torpedierte der russische Präsident jetzt selbst: Er höchstpersönlich habe den Badeort als Austragungsstätte erwählt, verriet Wladimir Putin im russischen TV. Und schilderte, wie er schon 2001/02 im Jeep durch die Gegend ratterte, "bis wir zu diesem Fluss kamen. Da habe ich gesagt, lasst uns hier anfangen!" Für ihn sei es also "besonders schön zu sehen, was hier geschieht, weil ich den Ort selbst ausgesucht habe".

Eine nette Ecke is t das: Putins Sommersitz, zwischen Palmen, Stränden und einem Fluss, der ebenfalls bald einen Spiele-gerechten Zuschnitt erfuhr. Allein: Die Frage, warum ausgerechnet hier, an Russlands wärmsten Flecken, das neue Wintersport-Zentrum des ja auch über reichlich Dauerfrost verfügenden Riesenlandes installiert werden musste, hat das IOC bei der Spielevergabe im Juli 2007 nicht irritiert.

Am Montag blieb Bach dabei, das IOC habe Russland damals unbedingt das benötigte Wintersportzentrum verschaffen wollen: "Sie hatten ja keines mehr nach dem Untergang der Sowjetunion." Aber der Untergang lag schon bei der Spielevergabe 16 Jahre zurück - eine lange Zeit, in der für Russlands Sport wenig vorwärts ging. In der es aber das ehrbare russische IOC-Mitglied Shamil Tarpischew schaffte, im Handumdrehen vom Tennistrainer Boris Jelzins über den Chefposten im nationalen Sportfonds zum Milliardär aufzusteigen. Unter Begleitumständen, die ihm notorische Visaprobleme für die USA bescherten.

Im IOC spielte das nie eine Rolle. So wird das auch bei der Debatte über die neue Rolle in der Gesellschaft bei der Session sein. Und Bachs Verbrämung der Sotschi-Wahl als sportive Entwicklungshilfe für Russland zerfasert ja auch an anderen Nahtstellen. Wie klug ist es, Russlands Wintersportzentrum in eine Region zu vergeben, die im Winter gern ein schneefreies Meeresklima bereithält - oder sollte das Bunkern von 450 000 Kubikmetern Ersatzschnee, den die Veranstalter seit Jahren unter Sägemehl für den meteorologischen Spiele-Notfall bereithalten, künftig fixer Bestandteil der Wintersportkultur à la Sotschi sein?

Auch andere Argumentationslinien verheddern sich. Vehement bestreitet Bach, dass die Sotschi-Spiele außergewöhnliche Kosten verursachten; auch die Nachhaltigkeit sei gesichert. "Die Kosten für die Spiele sind ganz im Kostenrahmen früherer Spiele, nicht darüber", sagte er. Denn: "Sie können nicht über Kosten für Olympia reden, wenn eine ganze Region transformiert wird." Sotschi sei von einer "altmodischen Sommerfrische in einen modernen Winter- und Kongressort" umgebaut worden.

Kundigen Kritikern, Ex-Politikern und ermittelnden Behörden zufolge ist das Kernproblem der gigantischen Kosten von gut 50 Milliarden Dollar jedoch der verschwundene Teil des Geldsegens. Was den Verdacht nährt, dass das Projekt so gewaltig ausfallen musste, damit es genügend abwirft für die beteiligten Kräfte. Ein Vorwurf, den die Gemeinten zurückweisen.

Zudem ist es so, dass das Naturschnee-ferne russische Wintersportzentrum, dem das IOC aus dem Boden half, nach den Spielen großzügig umgebaut werden soll: In Einkaufszentren, Tagungshallen und anderes. Das könnte eine gewisse Nachhaltigkeit sichern - wo aber bleibt der Sport, um den es ja gehen soll? Überdies ist auch eine Nachnutzung nicht automatisch gesichert, weil man Tagungsstätten baut. Die Frage wird vor allem sein, ob so ein Angebot ausreichend angenommen wird.

Manche Fallstricke in Sotschis sportpolitischen Parcours hängen auch tiefer. So bemängeln erste Tausendschaften der Medien nicht nur unfertige Hotels, sie vermissen den olympischen Geist am waffenstarrenden Ort. Manche Teams verhängen Ausgehverbote. Solche Themen lächelt Bach weg; verweist auf die Zuständigkeit seines olympischen Quartiermeisters bzw. auf die Salt-Lake-City-Winterspiele - auch die seien 2002 ja unter "schweren Sicherheitsvorkehrungen" abgelaufen. Sind erst die Sicherheitschleusen zum olympischen Park überwunden, erklärt er, "dann kann dort die olympische Atmosphäre erglühen".

Und die Menschenrechte? Alles sauber geregelt, findet Bach; er verweist auf eine angebliche Lösung zum Themenkreis Ausbeutung von Fremdarbeitern. "Wir wurden darüber informiert, schauten uns die Belege an und erörterten die Dinge dann mit dem OK." Daraus sei ein Treffen des Vize-Premierministers mit dem zuständigen Ombudsmann erwachsen und bald "277 Millionen Rubel an Arbeiter in 13 Ländern" bezahlt worden. Im Schnitt käme da jeder auf rund 1000 Euro Nachzahlung.

Nur: Haben die russischen Auftraggeber Adressen und Bankdaten von 6000 Arbeitern aus Zentralasien aufbewahrt? Für Human Rights Watch (HRW) ist das Ganze ohnehin nur "ein Tropfen auf den heißen Stein". Mehr als 100 000 Menschen sollen all die Stadien, Straßen und Hotels gebaut haben, viele sollen längst zwangsausgewiesen worden sein. Laut Jane Buchanan, HRW-Vizedirektor für Europa/Zentralasien, ist ihrer Organisation nicht bekannt, an wen die Nachzahlungen geflossen seien.

So gab am Montag Amnesty International Präsident Bach einen heißen Tipp mit auf den Weg in die große Gesellschafts- debatte. "Es muss dringend mehr als bisher auf die Einhaltung der Menschenrechte geachtet werden", sagte Sprecher Emile Affolter dem sid. AI erwartet, dass vor künftigen Bewerbungen die Einhaltung der Grundrechte fixiert wird. Affolter: "Das halten wir für eine der wichtigsten Aufgaben, die Bach zu lösen hat. Wir erleben hier täglich, wie die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird." So unterschiedlich können die Wahrnehmungen bei Olympia sein.

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SZ vom 04.02.2014
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