IOC:"Olympia ist bei Autokraten bestens aufgehoben"

Mitgliederversammlung des DOSB

Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbund in Hannover.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

Sportphilosoph Gunter Gebauer über die Fehler der Hamburger Bewerbung, die olympische Idee und wie auch der Fußball in Bedrängnis geraten könnte.

Interview von Matthias Schmid

Gunter Gebauer ist der Vordenker der deutschen Sportphilosophie. Der 71-Jährige lehrt an der Freien Universität Berlin. Nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung Hamburgs spricht er darüber, welche Werte der Sport vertreten muss, um bei der Bevölkerung wieder mehr Akzeptanz zu finden. Und welche Gefahren auch der Sportart Nummer eins, dem Fußball, drohen.

SZ: Herr Gebauer, die deutschen Bürger scheinen genug von Olympischen Spielen zu haben. Hat Sie das Votum in Hamburg gegen die Bewerbung überrascht?

Gunter Gebauer: Etwas überrascht, aber nicht aus dem Sitz geworfen, es war vorauszusehen, dass der Olympiabewerbung in Hamburg der Wind ins Gesicht bläst. Durch die vielen Ereignisse im Weltsport, die alle ungünstig waren. Ich hatte damit gerechnet, dass es mit einem Unentschieden ausgehen würde oder mit einer knappen Mehrheit für die Befürworter. Aber dass das Ergebnis relativ klar sein würde, hätte ich nicht erwartet. Auch nicht, dass es sich durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurchzieht.

München, Stockholm, Graubünden, Oslo, Hamburg - hat Europa kein Interesse mehr an Olympia? Werden die Spiele künftig nur noch an Diktaturen vergeben?

Die Spiele sind aus Sicht des IOC in autokratischen Regimen bestens aufgehoben und die IOC-Oberen verstehen sich ja auch ausgezeichnet mit ihnen. Da gibt es einen Schulterschluss. Das ist sehr praktisch für den Sport: Er wird verwöhnt, es gibt keine Gegenwehr oder Opposition, die stören könnte. Europa hat sich dennoch nicht komplett abgewandt, Paris und Rom wollen sich nach wie vor für 2024 bewerben. Aber für Deutschland sieht es wirklich sehr schlecht aus, nachdem das Land viele negative Voten erlebt hat.

Woran liegt das?

Da kommt eine Menge zusammen; es ist schwer zu sagen, welches das ausschlaggebende Argument ist. Ob es an der allgemeinen Weltlage liegt, an den Flüchtlingen, am Terrorismus oder an bestimmten Einzelerscheinungen im Sport, wo der DFB jetzt auch mitten im Korruptionssumpf hängt.

Wie viele Skandale in den Verbänden kann der Sport aushalten?

Der Sport hält eine Menge aus. Das kann man auch daran erkennen, dass die Quoten im Fernsehen immer noch gut sind, dass die Fans in die Stadien strömen und das Publikum bereit ist, Seriensiegern weiter zuzujubeln, die des Dopings überführt sind. Das stört offenbar niemanden. Doping wird insgesamt schon negativ gesehen. Aber ich glaube nicht, dass es der entscheidende Faktor war, um Olympische Spiele abzulehnen.

Was müsste passieren, dass sich die Menschen auch von der Sportart Nummer eins, dem Fußball stärker abwenden?

Eine Erschütterung tritt dann ein, wenn auf höchster Ebene Spiele verschoben werden, wenn Korruption den Spielverlauf beeinflusst. Sobald der Verdacht entsteht, dass der Schiedsrichter nicht korrekt pfeift oder dass sich Spieler untereinander absprechen, welche Mannschaft gewinnen soll. Wenn sich so etwas erhärtet, dann gibt es schwere Einbußen. Wir hatten den Bundesligaskandal in den Siebzigerjahren, der dazu geführt hat, dass mindestens zwei Jahre lang das Interesse an der Bundesliga und die Zuschauerzahlen massiv sanken.

Doping im Fußball?

Welche Rolle spielt dabei Doping im Fußball?

In der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt keine. Dabei würde Doping gerade in der Regeneration natürlich auch im Fußball helfen, damit man mehr Belastungen ertragen und die letzten Spielminuten mit mehr Puste bewältigen kann, was letztlich spielentscheidend sein kann, weil viele Spiele in der Nachspielzeit entschieden werden. Deshalb macht mich auch das Schutzargument vieler Fußballer, Trainer und Funktionäre misstrauisch, die ständig betonen, dass Doping im Fußball nichts bringe, weil es eine koordinative Angelegenheit ist. Das stimmt ja nicht. Im Fußball geht es viel um Kraftausdauer und da hilft Epo ganz schön oder in der Regeneration eben Steroide. Ob das wirklich praktiziert wird, weiß ich nicht. Es wird ja viel Mühe darauf verwendet, die Sache im Dunkeln zu halten. Es ist manchmal nur sehr überraschend, dass eine Mannschaft wie Spanien, die vorher völlig fertig wirkte, bei der vergangenen EM plötzlich im Endspiel gespielt hat, als hätte sie vorher in einem Jungbrunnen gebadet.

Hätten die Verantwortlichen der Hamburger Bewerbung die Kraft des Sports mehr herausheben müssen, um die Bevölkerung zu überzeugen?

Man hatte in der Tat das Gefühl, die Menschen stimmen über ein Bauprojekt ab. Es ist kein Votum gegen den Spitzensport, wie es jetzt Alfons Hörmann (Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds; Anm. d. Red.) und andere Sportler hinstellen. Ich bin davon überzeugt, dass man in Deutschland nach wie vor gerne Spitzensport sieht, zwar mit einem skeptischen Blick und einem Grummeln in der Magengegend, aber man sieht es trotzdem noch gerne. Das Problem war und darauf habe ich im Übrigen während der Bewerbungsphase auch Hörmann hingewiesen, dass der Sport dabei kaum Thema war. Es wird mit keinem Wort erwähnt, was der Sport uns geben kann.

Von der Olympischen Idee war oft die Rede.

Und was ist der Olympische Gedanke oder die Olympische Idee? Ich habe das nie von einem Verantwortlichen des Sports ausgeführt bekommen. Und ich bin auch ziemlich sicher, dass das niemand von den Leuten weiß. Ich habe mich lange damit beschäftigt, darüber geschrieben und immer wieder hochrangige Funktionäre gefragt, was sie darunter verstehen.

Wie fiel die Antwort aus?

Da kommt dann Fairness und Völkerverständigung. Völkerverständigung gehört vielleicht noch dazu. Um zu erfahren, was die Olympische Idee ist, muss man sich mehr mit der Geschichte der Olympischen Spiele, mit der Vorgeschichte auseinandersetzen, sich mit den Schriften von Pierre de Coubertin beschäftigen. Es gibt auch moderne Aufsätze dazu, die sehr interessant sind.

"Franz Beckenbauer ist jetzt krachend in sich zusammengestürzt"

Wie sieht die moderne Olympische Idee der Gegenwart aus? Wie hätten die Hamburger sie in die Bewerbung einbeziehen müssen?

Das ist natürlich etwas umfangreich, aber ich versuche das mal in zwei, drei Grundzügen zu erläutern. Der Friedensgedanke ist sehr wichtig, die Verständigung der Athleten im Olympischen Dorf. Davon bekommt die Öffentlichkeit aber gar nichts mit, das halte ich für einen ziemlichen Fehler, weil das Zusammentreffen für viele Athleten genau die Faszination der Spiele ausmacht. Was mir besonders am Herzen liegt: Die Lebensweise der Sportler steht modellhaft für andere Bereiche. Ich kenne genügend Goldmedaillengewinner, die dafür werben könnten. Sie sind autonome Persönlichkeiten, die eine gewisse Selbstsicherheit ausstrahlen. Sie suchen sich ihre Projekte aus wie Künstler und investieren etliche Jahre dafür, obwohl ihnen das lebenslang nichts einbringen wird. Ihr Sport ist also ein zweckfreies Unternehmen, wie das Herstellen von Kunstwerken. Die Sportler haben trotzdem ein fantastisches Zeitmanagement, eine vorbildliche Lebensführung, eine Form der Askese und Zielgerichtetheit. Auch jedem anderen Beruf muss man sich hingeben und geregelt sein Leben führen. Das wird von den Sportlern exemplarisch vorgeführt. Dass man sich so etwas entgehen lässt als Modell für gesellschaftliches Handeln, das kann ich nicht verstehen.

In Ihren Augen taugen also die Sportler selbst nicht als Vorbilder, sondern ihre Lebensentwürfe?

Ja, weil ich es für grundfalsch halte, dass Spitzensportler immer Vorbilder für die Jugend sein sollten. Das ist mir zu platt, weil viele von ihnen charakterlich oder wegen ihres öffentlichen Auftretens keine Vorbilder sind. Ihre Lebensform, ihre Existenzweise hat Modellcharakter. Der Staat müsste deshalb dafür sorgen, dass sie nach ihrer Karriere noch einen anspruchsvollen Job bekommen, viele wollen neben dem Sport studieren. Sie wollen nach ihrem Karriereende nicht den Rest ihres Lebens in unteren Rängen bei der Bundeswehr verbringen. Man müsste diese Anschlusskarrieren viel besser fördern. Ich vertrete deshalb die These, dass der Spitzensport, der so gelebt wird, ein kulturelles Gut ist. Ob ihre Persönlichkeit den Ansprüchen standhält, das wissen wir nicht. Das haben wir jetzt bei den Fußballern gesehen, auch sie gehören zu den größten Betrügern. Franz Beckenbauer sollte das große Vorbild für alle sein, und ist jetzt krachend in sich zusammengestürzt.

Die Bundespolitik fördert keine Sportler, sondern Sportarten, die viele Medaillen versprechen.

Schauen Sie sich nur Innenminister Thomas de Maizière an. Entweder hat er es nicht begriffen oder aber er ist viel zu kurzsichtig. Er denkt nur daran, viele Medaillen zu gewinnen. De Maizière hat sein Modell ja vorgestellt, Konzentration auf wenige Sportarten mit dem Ziel auf viele Medaillen, ohne dabei mehr Geld auszugeben. Das ist genau das, was nicht passieren darf. Ich wundere mich darüber, dass ein Innenminister seines Schlages, den ich bisher für einen vernünftigen und nachdenklichen Menschen gehalten habe, solche primitive Vorschläge macht.

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