IOC-Gipfel in Monte Carlo:Alles hübsch inszeniert

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Zufrieden in Monaco: IOC-Präsident Thomas Bach. (Foto: Eric Gaillard/Reuters)

Das IOC will Olympia billiger machen. Aber wird es in Zukunft auch Ausrichterstädte wählen, die sich mit bescheidenen Konzepten bewerben? Die Selbstreform des olympischen Verbandes wirkt arg berechnend.

Von Thomas Kistner, Monte Carlo

Es war ein Moment der Schwäche, nach all der harten Reformarbeit. Die Messe war längst gelesen, es ging jetzt nur noch um die Verabschiedung der vorletzten von 40 Empfehlungen - dass der Sport "den Dialog mit der Gesellschaft stärken" solle -, da fuhr Rita Subovos Hand empor. Kurz und unkontrolliert. Thomas Bach aber, der Präsident auf dem Podium, der per Markerstift selbst Buch führte zu den immer selben Abstimmungen, registrierte das Zucken sofort. "Ist das ein Nein?", kam es neugierig von oben, und Rita Subovo erstarrte. "Oder haben Sie nur mit Ihrem Schreibgerät gefuchtelt?" Letzteres selbstverständlich, die angefasste Indonesierin wies jede Absicht weit von sich, den olympischen Einheitskonvent Sekunden vor dem Abpfiff noch mit einer Gegenstimme beflecken zu wollen.

Alles lief reibungslos bei der Selbstreform des Internationalen Olympischen Komitees in Monte Carlo, nicht eine Enthaltung gab es. Und das Schönste für Bach, den deutschen Präsidenten: Die ganze Abstimmungs-Show ging an einem einzigen Tag über die Bühne; geplant waren zwei. Als Inszenierung hatten auch viele Teilnehmer diese 127. IOC-Session empfunden. "Das war alles längst durchgekaut", sagte der Schweizer Ski-Weltverbandspräsident Gianfranco Kasper. Und Klaus Schormann, Weltverbandschef der Modernen Fünfkämpfer, war beeindruckt von den IOC-internen Vorarbeiten: "So läuft das - die Abstimmung ist nur Formsache."

Das IOC hat also eine "Agenda 2020" verabschiedet, mit 40 Maßnahmen zur Neuausrichtung, die allseits gelobt wurden. Nur weiß noch niemand, was damit nun alles anders werden soll.

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Das IOC streitet im Zuge seiner neuen Agenda sogar über Olympia-Vergaben: Verbandsmitglied Richard Pound spricht sich für eine Neuauflage des Auswahlverfahrens aus - das hätte auch für die Münchner Bewerbung Folgen.

"Die Arbeit beginnt jetzt erst", war der allgemeine Tenor. Bachs frühere Untergebene im Deutschen Olympischen Sportbund aber feierten das Werk bereits als Aufbruchssignal für ihre nächste Sommerspiel-Bewerbung mit Berlin oder Hamburg. DOSB-Chef Alfons Hörmann sieht die Chance für "nachhaltigere, flexiblere und bescheidenere Konzepte" - was durch Bachs Agenda tatsächlich gedeckt ist. Nur war Bescheidenheit schon bisher kein Problem - und trotzdem die Chance gleich Null, mit Sparkonzepten die milliardenschweren Reißbrettvisionen anderer Kandidaten auszustechen. Warum sich das ändern sollte, warum also die entscheidende Prozedur anders ausfallen sollte - die Kür der Olympiastadt -, das bleibt offen.

Die Städtewahl erfolgt auch weiter durch geheimes Votum im IOC. Ob das Gremium nun plötzlich Kandidaten mit gebrauchten Hallen und Stadien wählt, die Segeln, Bob und Schlitten im Ausland anbieten? Worin läge künftig der Reiz gegenüber nagelneuen, kompakten Olympiastätten in Regionen, die genug Mittel für Prunk und Pracht bereithalten?

Die Absicht ist klar: Das IOC zielt mit dem Absenken der Bewerbungshürde auf die westliche Welt, wo die Spiele in Bürgerentscheiden immer öfter abgelehnt werden. Dort sitzt die Kernkundschaft von Sponsoren und TV-Anstalten, hier steckt viel olympischer Nachwuchs - der Westen muss also zurück ins Boot. Sonst droht im Sommer bald dasselbe Problem wie bei den Winterspielen: Für 2022 stehen nur Peking und die kasachische Stadt Almaty im Ring.

Eine Debatte, die in Monaco nicht geführt wurde. Vielmehr sah sich dort auch DOSB-Vorstandschef Michael Vesper gestärkt: Die Agenda werde den Stimmungswandel in Deutschland fördern, trug er der Presse vor. Ein solcher Stimmungswandel setzt aber ein Unwissen voraus, das offenbar auch im IOC noch herrscht: dass ein deutscher Sommerkandidat die praktisch sichere Fußball-EM 2024 als ein K.-o.-Kriterium mit sich herumschleppen würde. Wo immer dieser Hinweis fiel, setzte Skepsis ein. Das Gros der Einschätzungen spiegelte die Chancenlosigkeit einer Doppelbewerbung wider. Der Schweizer IOC-Mann und Eishockey-Weltpräsident René Fasel brachte es auf den Punkt: "Das wäre ein Verpuffen der Energien. Und ein tolles Werbemittel für die Mitbewerber, die argumentieren könnten: Gebt uns die Spiele, Deutschland hat doch eine Großveranstaltung im selben Sommer."

Noch ist sie kaum bekannt, die Sonderkonstellation im Land des IOC-Präsidenten - der offiziell selbst kein Problem in einer Doppel-Veranstaltung sieht. Wichtiger für Bach als ein großes Bewerberfeld für 2024 ist aber der Coup von Monte Carlo: Er stärkt das IOC enorm. War sein Amtsvorgänger Jacques Rogge in den Anfängen regelmäßig mit Veränderungswünschen an den IOC-Mitgliedern abgeprallt, wurde Bach nun per Stehovation verabschiedet. Rogge, analysierte Scheich Ahmed Al-Sabah, habe eben die Macht "unter Verbänden, Athleten und dem IOC aufteilen wollen, jetzt sind wir zurück auf unserem Weg: Das IOC braucht eine starke Führungsposition".

Der Kuwaiter war Bachs mächtiger Wahlhelfer 2013, auch in Monaco sprang er dem Präsidenten mit Wortmeldungen bei, wo immer sich etwas Skepsis regte. Al-Sabah, Chef des Weltverbands der nationalen Olympiakomitees (Anoc), hatte schon 2013 die These verbreitet, dass es eine Art Langzeitplan im IOC gebe, auch für die Zeit nach Rogge. Nun öffnet die als Reform etikettierte Neuorientierung vor allem jede Menge Flexibilität: Nichts muss, alles kann - und das IOC thront über den Entscheidungen. Billigere Bewerbungen? Gerne, doch ob es Sinn ergibt, als Kandidat auf eine Low-Budget-Bewerbung zu bauen, entscheidet das IOC.

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Machtgewinn steckt auch in der Empfehlung, dass Olympiastädte selbst Vorschläge für neue Sportarten machen dürfen, und das über die bisherige Obergrenze von 28 Sportarten hinaus. Das lässt manchen Weltverband zittern: Sie müssen sich nun schon in der Bewerbungsphase gegen Wettbewerbs- und Disziplinkürzungen rüsten, die das IOC verfügen könnte - unter Hinweis auf die Wünsche eines Ausrichters. Der sich seinerseits ganz an den Wünschen des IOC orientieren muss, wenn er gewählt werden will.

So zeigt sich ein neues IOC-Bollwerk: Gefestigt überdies durch einen eigenen Fernsehkanal, zu dessen Finanzierung bis 2021 die Verbände und Olympiakomitees jeweils 72 Millionen Euro beizutragen haben. Und repräsentiert durch einen neuen Prachtbau in Lausanne. Die Reform sorgt auch dafür, dass der Verwaltungsapparat stark ausgebaut werden muss; der neue Stammsitz soll 450 Mitarbeiter beherbergen - statt rund 150, wie bisher.

© SZ vom 10.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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