Süddeutsche Zeitung

IOC:Brisante Mails an Thomas Bach

Was konnte der IOC-Chef wissen von den Schwarzticket-Deals seines Vertrauten Patrick Hickey? Ein Mailverkehr bringt Bach in Erklärungsnot. Die Paralympics schwänzt er überraschend.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Es ist äußerst ungewöhnlich, wenn der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei der Eröffnungsfeier der Paralympischen Spiele nicht auf der Tribüne sitzt. Aber am Mittwochabend in Rio de Janeiro war es so. Kurzfristig hatte Thomas Bach seine Reise zum zweitwichtigsten Sportevent der Olympia-Familie abgesagt, stattdessen nahm er in Berlin am Staatsbegräbnis für den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel teil.

Diese erst am Dienstag mitgeteilte Prioritätensetzung Bachs lässt nicht nur die Sportwelt raunen. Sie hat auch die brasilianischen Behörden überrascht. Denn das Betrugsdezernat der Polizei in Rio würde gerne ein Gespräch mit Bach führen. "Ja, wir wollen seine Zeugenaussage haben", erklärte Sprecher Aloysio Falcão der SZ. Er fügte an, dass die Behörde bis kurz vor der Eröffnungsfeier vom Erscheinen des IOC-Chefs ausgegangen sei: "Wir wussten nicht, dass Thomas Bach seine Reise nach Rio gecancelt hat."

Hintergrund ist die Ticket-Affäre, die seit Ende der Spiele von Rio de Janeiro um den einflussreichen olympischen Multifunktionär Patrick Hickey schwelt. Der wurde in Rio vor einer Woche aus dem Hochsicherheitsgefängnis Bangu in den Hausarrest überstellt. Und im Sog dieser Affäre häufen sich nun auch Fragen an Bach - aufgrund eines Mailverkehrs zwischen den beiden, und eingedenk der Reaktion des IOC auf Anfragen zum Thema. Brasiliens Behörden wie die Öffentlichkeit interessiert: Was hat der Wirtschaftsanwalt aus Tauberbischofsheim wissen oder ahnen können von den ominösen Geschäften seines alten irischen Buddys?

Es ist eine Geschichte, die in eines der trübsten Schattenreiche der Sportpolitik führt: in das Geschäft mit den Eintrittskarten. In kaum einem anderen Segment lässt sich für Funktionäre so ungestört und reichhaltig Geld scheffeln wie hier; Jack Warner und andere Skandalfiguren im Fußball-Weltverband Fifa haben das über Jahrzehnte vorgeführt. Und auch Hickey soll das angeblich getan haben. Am Dienstag erhob Staatsanwalt Marcos Kac in Rio Anklage gegen den Iren sowie gegen dessen Landsmann Kevin Mallon von der Firma THG und acht andere Personen. Die Vorwürfe: Schwarzmarkthandel mit Tickets, Betrug, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Organisation.

Bemerkenswerte Nachrichten an Bach

Das Ticketgeschäft vor Olympia läuft so ab: Jedes Nationale Olympische Komitee (NOK) der Welt kann sich einen offiziell autorisierten Ticketverkäufer (ATR) aussuchen. Das Organisationskomitee (OK), diesmal Rio 2016, und das IOC müssen den Vertrag absegnen. Dann bestellen die Länder ihre Kontingente. Wenn - wie vor allem bei den Top-Veranstaltungen üblich - mehr Kartenwünsche vorliegen als erfüllbar sind, werde ein vom OK entwickelter Kriterienkatalog zurate gezogen, teilt das IOC mit. Dazu zähle unter anderem der aktuelle sportliche Erfolg eines Landes in einer Sportart; die exakten Kriterien will das IOC nicht nennen. Der IOC-Chef habe mit dem Ticket-Vorgang formal nichts zu schaffen - betont das IOC. Und auch verschiedene von der SZ befragte NOKs stellen klar, dass sie in Ticketfragen niemals Kontakt mit dem IOC-Präsidenten hatten.

Nur bei einem sieht das völlig anders aus: beim Olympic Council of Ireland (OCI) von Pat Hickey, dem Hardliner im IOC-Vorstand, der Bach in eigentlich allen sportpolitischen Fragen mit eherner Treue zur Seite stand. Auch das lässt die Sache für Bach nun recht heikel erscheinen. Die brasilianische Polizei hatte bei Hickeys Verhaftung dessen Laptop und Mobiltelefon sichergestellt. Hier fanden sich auch die Konversationen Hickeys mit Bach. Sie liefern keine Hinweise auf ein Vergehen, offenbaren aber einen vertraulichen Umgang mit dem Ticketthema. Insgesamt 65 Nachrichten sind dokumentiert - und mindestens drei von ihnen, die der SZ vorliegen, erscheinen den Ermittlern als sehr bemerkenswert.

Am 12. Juli 2015 erbat Hickey ein "Gespräch unter vier Augen" wegen der Situation mit den ATR, die "in eine Sackgasse" steuere. Am 28. Juli 2015 beschwerte er sich bei Bach über die bisherige Ticketverteilung und forderte einen kräftigen Zuschlag für viele bedeutende Olympia-Veranstaltungen aus der sogenannten High-Demand-Kategorie. Allein 500 Karten für das Fußball-Finale der Männer, und insgesamt 1000 Karten zusätzlich, unter anderem für Eröffnungs- und Schlussfeier sowie für das 100-Meter-Finale der Männer in der Leichtathletik. Wie viele Tickets Irland tatsächlich bestellte und bekam, will das OCI mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht mitteilen. Aber Hickeys an Bach übermittelte Forderungen sprengen den Rahmen.

Am 16. Januar 2016 schließlich bat Hickey um ein Treffen zwecks "advise und guidance", das sich auf Deutsch von "Ratschlag" bis "Anordnung" übersetzen lässt. Es ging um eine Reihe sportpolitischer Karrierethemen; etwa um Hickeys internationale Posten, um die offenbar zu dem Zeitpunkt bereits ausgekartelte Vergabe der nächsten Europaspiele nach Sotschi - und um Hickeys Überlegung, wegen des im Zuge seiner "anderen Aktivitäten" steigenden Drucks auf ihn die OCI-Präsidentschaft abzugeben.

Diese Mails reihen sich in einen spannenden Ablauf ein. In Verdacht geriet Hickey erstmals 2012 durch eine Anschuldigung des früheren brasilianischen Fußballstars Romario, der damals Parlamentarier war und öffentlich behauptete, der IOC-Grande aus Irland wolle am Ticketgeschäft mitverdienen. Für London 2012 wie für Sotschi 2014 war die Firma THG Sports der Kartenpartner des irischen Komitees. Das erzeugte auch Aufmerksamkeit, weil Hickeys Sohn Stephen für die Agentur arbeitete. Im Dezember 2014 unterschrieben die meisten NOKs den Vertrag mit ihren erwählten ATR für Rio. Irlands OCI setzte wieder auf THG, aber am 31. März 2015 kam der Schock: Das Rio-OK lehnte THG als Ticketpartner des OCI ab. Der Firmenname war in Brasilien bereits ein Begriff, mehrere THG-Mitarbeiter waren bei der WM 2014 wegen illegaler Ticketgeschäfte verhaftet worden.

Kurz nach der Ablehnung gründeten in Dublin drei Herren eine Firma namens Pro 10 Sport. Offiziell haben Pro 10 und THG nichts miteinander zu tun. Als aber irische Journalisten eine Pro 10-Kontaktnummer anriefen, kam dort als Ansage auf der Mailbox: "Das ist die Nummer von Marcus Evans". Evans ist Gründer der THG, die Agentur gehört zur Marcus-Evans-Group.

Im Dezember 2015 annoncierte das OCI dann Pro 10 als neuen Ticketpartner. Und im August 2016 erwischte die Polizei während der Rio-Spiele den THG-Direktor Kevin Mallon und Mitarbeiter mit Hunderten Tickets aus dem irischen Kontingent.

Ein Ersuchen um ein Vieraugengespräch. Eine üppige Wunschliste. Und eine Bitte um Karriereberatung ob des wachsenden Druckes wegen seiner "anderen Aktivitäten". All das eingebettet in heikle Ticketgeschäfte, die den IOC-Präsidenten formal doch gar nichts angehen.

Thomas Bach wird auch sonst nicht bei den Paralympics auftauchen

Eine entscheidende Frage ist zweifellos, was Bach nach Erhalt der Nachrichten getan hat: Hat er sie kommentarlos gelöscht? Hat er Hickey geschrieben, es müsse ein Versehen vorliegen und der Ire möge sich an die zuständigen Stellen wenden? Oder hat er anders reagiert? Das IOC sucht auf diese Nachfragen volle Deckung. Auf konkrete Erkundigungen zu den Vorgängen teilte es mit, diese Fragen würden sich "erübrigen", weil der Präsident mit der Ticketfrage ja nichts zu tun habe. Doch das tun sie gerade deshalb nicht. Irgendwann lässt das IOC wissen: "Das IOC wird keine Nachrichten kommentieren, die angeblich einer internen, initiativen Kommunikation von Herrn Hickey entstammen."

Die Paralympics in Rio gehen Donnerstag erst los. Bach bliebe also noch genug Zeit, dem zweitwichtigsten Sportfest der olympischen Familie in den nächsten Tagen die Aufwartung zu machen - und den Behörden dabei zu helfen, Licht ins Ticket-Dickicht um den langjährigen IOC-Vertrauten Hickey zu bringen. Doch dazu wird es nicht kommen. Das IOC erklärt zwar generell, es werde in den Ermittlungen kooperieren. Aber zugleich teilt es mit, dass Thomas Bach keine Möglichkeit habe, die Paralympics zu einem späteren Zeitpunkt zu besuchen, "da er seit langem anderweitige Verpflichtungen hat" - und dass auch sonst kein Brasilien-Besuch geplant sei.

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Quelle:
SZ vom 08.09.2016
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