Süddeutsche Zeitung

Paderborns Martin Przondziono:"Der Tag kam einem vor wie im Thriller"

Paderborns Manager spricht über die Situation nach dem ersten Corona-Fall im Kader, seinen Standpunkt vor der DFL-Mitgliederversammlung und darüber, wie es nun weitergehen könnte.

Interview von Sebastian Fischer

Der SC Paderborn, nach dem 25. Spieltag Tabellenletzter der Bundesliga, ist derzeit unter allen Erstligisten am heftigsten von der Ausbreitung des Coronavirus betroffen. Als das Freitagabendspiel gegen Fortuna Düsseldorf noch stattfinden sollte, zeigten zunächst Verteidiger Uwe Hünemeier und Trainer Steffen Baumgart verdächtige Symptome, beide Tests fielen negativ aus. Nach der Absage des Spieltags wurde allerdings der derzeit wegen einer Oberschenkelverletzung ohnehin pausierende Verteidiger Luca Kilian positiv getestet. Inzwischen sind mehrere Spieler und Mitarbeiter in Quarantäne. Sportgeschäftsführer Martin Przondziono spricht im Interview über die vergangenen Tage - und darüber, wie es weitergehen soll.

Herr Przondziono, wo erreichen wir Sie gerade? Zu Hause, in Quarantäne?

Nein, ich sitze im Auto. Ich hatte keinen unmittelbaren Kontakt zu Luca Kilian, ich habe ihn nur einmal im Vorbeigehen gesehen, keine Gespräche geführt oder Zeit mit ihm in einem Raum verbracht.

Wie viele Spieler des SC Paderborn befinden sich in Quarantäne?

Es sind einige Spieler und Mitglieder des Funktionsteams. Haben Sie Verständnis dafür, dass wir auch mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte keine Angaben zur Anzahl sowie zu einzelnen Spielern und Mitarbeitern machen. Denen, die zu Hause bleiben müssen, geht es gut, wir haben also keine gesundheitlichen Probleme zu verzeichnen außer bei Luca. Ich hoffe, das bleibt auch so.

Wie geht es Luca Kilian, der am Freitag als erster Erstligaprofi positiv auf das Coronavirus getestet wurde?

Er hatte zwei Tage wirklich Probleme, mit Fieber und Schüttelfrost, aber inzwischen geht es ihm besser.

Am Donnerstag mussten Sie noch davon ausgehen, dass Sie am Freitagabend ein Bundesligaspiel vor leeren Rängen in Düsseldorf bestreiten. Können Sie beschreiben, was seitdem passiert ist?

Der gestrige Tag (Freitag, Anm. d. Red.) kam einem vor wie im Thriller. Wir sind am Donnerstag losgefahren nach Düsseldorf. Dem Trainer ging's am Abend schon schlecht, da kamen wir natürlich auf die Thematik: Corona. Wir dachten: Jetzt warten wir mal ab über Nacht. Er hat dann Fieber bekommen, dann nahm alles seinen Lauf.

Steffen Baumgart zeigte die typischen Symptome und wurde am Freitagvormittag getestet.

Es war eine Odyssee, ich habe bestimmt hundert Telefonate geführt. Wir haben einen Krisenstab eingerichtet. Die Spieler standen mit großen Augen vor uns. Sie hatten Angst, dass wir zwei Wochen in Düsseldorf im Hotel bleiben müssen. Das hat sich dann zum Glück mit dem negativen Test des Trainers ein bisschen beruhigt. Aber es war immer noch nicht klar, ob wir spielen oder nicht.

An der Entscheidungsfindung der DFL gab es große Kritik, weil der 26. Spieltag erst spät am Freitagnachmittag abgesagt wurde.

Die DFL hat eigentlich einen sehr guten Job gemacht. Sie wird jetzt verteufelt, nach dem Motto: Ihr wolltet nur Fußball spielen, ihr seht nur das Geld. Aber die DFL hat eine Fürsorgepflicht den Vereinen gegenüber. Wir sind auch von finanziellen Einbußen betroffen. Es ist nur Fußball, aber am Spielbetrieb hängen Arbeitsplätze. Aber der Druck wurde natürlich irgendwann zu groß.

Auch der Paderborner Verteidiger Uwe Hünemer twitterte am Freitagnachmittag in Richtung DFL: "Es ist nicht der Zeitpunkt, um noch Zeit zu verlieren!! Priorität hat einzig und allein die Gesundheit aller." Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Natürlich. Doch so eine Situation hat es noch nie gegeben, und so weitreichende Entscheidungen müssen wohlüberlegt sein. Ich heiße es gut, dass die DFL sich lange Zeit gelassen hat - und die richtige Entscheidung getroffen hat. Am Ende steht die Gesundheit immer vor finanziellen Themen. Die DFL hat richtigerweise entschieden, den Fußball erst mal ad acta zu legen.

Wie ging es für Sie nach der Absage des Spieltags weiter?

Wir dachten okay, das Spiel ist abgesagt, der Trainer ist fit. Und dann kam im Auto auf der Heimfahrt kurz vor Paderborn der Anruf vom Arzt bei mir: Luca Kilian ist positiv getestet worden. Als die Mannschaft in Paderborn eintraf, hat sich die Maschinerie erst in Gang gesetzt: Einsetzung eines Krisenstabs, Anrufe bei allen Mitarbeitern, Telefonate mit dem Gesundheitsamt. Bis spät in die Nacht saßen wir im Büro und haben versucht herauszufinden, wer in den letzten zehn Tagen Kontakt zu Luca hatte.

Am Samstag wurden dann 45 Personen getestet.

Genau: Alle, von denen wir meinen, dass sie im engeren Umfeld mit der Profimannschaft zu tun haben, ob's der Koch ist, oder wer auch immer. Wir haben abgefragt, wer Luca die Hand gegeben hat, wer länger mit ihm gesprochen hat, wer mit ihm gegessen hat.

Wann bekommen Sie die Testergebnisse?

Im Laufe der Woche, das wissen wir auch nicht genau.

Wie geht es jetzt weiter, was sind die Anweisungen an die Spieler?

Jeder hat ein paar Hanteln mitgenommen und Fitnessgeräte. Am Montag werden die Spinning-Bikes zu den Jungs, die zu Hause sind, geliefert. Zwei Wochen sind auch vom Kopf her eine zähe Zeit. Aber zumindest haben sie die Möglichkeit, sich fit zu halten. Und in zwei Wochen werden sie wieder getestet.

Waren Sie auf das Szenario irgendwie vorbereitet?

Wir haben uns natürlich mal drüber unterhalten. Aber diese Wucht, die die letzten zwei bis drei Tage in die Sache reingekommen ist, damit konnte keiner rechnen. Ich glaube, jetzt haben wir erst mal alles Mögliche getan. Aber vielleicht sitzen wir in zwei Tagen wieder zusammen und sagen: Mit der Situation haben wir nicht gerechnet.

Am Montag sollen die 36 Erst- und Zweitligisten in einer außerordentlichen DFL-Mitgliederversammlung entscheiden, wie es mit der Saison im deutschen Profifußball weitergeht. Welchen Standpunkt wird dort der SC Paderborn vertreten?

Wir sind so offen wie die meisten, glaube ich. Ich plädiere nicht für sofortigen Abbruch. Aber ich bin sicher, dass wir in zwei Wochen noch nicht wieder über Fußball reden werden. Ich gehe auch nicht davon aus, dass wir in vier Wochen wieder spielen. Wir stehen erst am Anfang.

Wie könnte eine Lösung aussehen? Es kursieren verschiedene Szenarien, von der kompletten Annullierung der laufenden Saison bis zur Aufstockung der Bundesliga auf 20 Mannschaften in der nächsten Spielzeit.

Wir müssen gucken, dass wir eine ordentliche Lösung finden, mit der wahrscheinlich nicht alle zufrieden sein werden, aber mit die meisten. Der Dritte oder der Vierte der zweiten Liga haben natürlich andere Ansichten als wir, wie man mit der Situation umgehen soll. Aber ich glaube: Wir werden genauso aus der Sache rauskommen, wie wir reingekommen sind.

Gibt es ein Szenario, das Sie für sich ausschließen würden?

Wir beenden das jetzt und die letzten Zwei steigen ab, das wäre undenkbar für mich. Ich muss ja für den Verein denken.

Laut "Deutscher Presse-Agentur" müsste die Liga bei einer Absage der laufenden Saison mit einem Schaden von rund dreiviertel Milliarden Euro rechnen, und die Liga ist dagegen nicht versichert. Können Sie das bestätigen?

Ja, die Summe stimmt ungefähr, man rechnet mit rund 80 Millionen pro Spiel.

"Für Einige könnte es ganz knallhart um eine Insolvenz-Vermeidungsstrategie gehen", sagt Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Gilt das auch für den SC Paderborn?

Wir machen uns auch Gedanken, wir sind unmittelbar betroffen. Ich bin mir sicher, dass wir darunter leiden müssen. Aber wir werden das irgendwie überstehen. Wir haben gut gewirtschaftet im letzten halben Jahr seit dem Aufstieg, vielleicht haben wir einen Monat oder zwei mehr Luft. Es hängt auch daran, wie die Lage bei unseren Sponsoren ist: Müssen da Firmen schließen? Das sind ja alles Themen, die gerade erst auf uns zurollen. Jegliche Zeit, die wir gewinnen, bringt uns weiter. Weil wir immer wieder neue Erkenntnisse gewinnen.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2020/schm
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