Interview mit Per Mertesacker:"Die Russen haben runtergeschaut"

Per Mertesacker über Christoph Metzelder, den deutschen Mythos und den Entwicklungsstand der DFB-Elf am Ende der WM-Qualifikation.

C. Kneer und J. Marwedel

SZ: Herr Mertesacker, Sie gelten als moderner Abwehrspieler, aber beim 1:0 in Moskau hat man Sie in der zweiten Halbzeit in einer anderen Rolle erlebt: Da wirkten Sie wie ein altdeutscher Turm in der Schlacht, zum Teil haben Sie die Bälle wie ein Bezirksliga-Libero aus der Gefahrenzone gebolzt. Und es sah aus, als hätten Sie auch noch Spaß an dieser Abwehrschlacht.

Interview mit Per Mertesacker: Zusammenhalten wenn´s drauf ankommt: Per Mertesacker (Mitte) und Michael Ballack bejubeln den Sieg über Russland.

Zusammenhalten wenn´s drauf ankommt: Per Mertesacker (Mitte) und Michael Ballack bejubeln den Sieg über Russland.

(Foto: Foto: AP)

Mertesacker: Ich hatte tatsächlich Spaß, das stimmt. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass wir es da hinten richtig gut machen, dass wir uns gut absichern, dass uns nichts durchrutscht. Das klingt vielleicht seltsam, weil einige Szenen ja wirklich brenzlig aussahen, aber ich hatte komischerweise nie das Gefühl, dass wir kippen können. Es hat einfach Spaß gemacht, sich gemeinsam reinzuhängen - und wenn man in Unterzahl so eine Phase übersteht, dann bringt einen das als Mannschaft weiter.

SZ: Was nimmt ein Abwehrspieler mit aus so einem Spiel?

Mertesacker: Wir haben ja schon oft die Erfahrung gemacht, dass wir zum entscheidenden Zeitpunkt entscheidende Dinge machen können. . .

SZ: ... der deutsche Mythos...

Mertesacker: ... ja, und aus so einem Spiel nimmt man mit, dass wir in solchen Momenten eben nicht nur das eine, entscheidende Tor schießen können, sondern dass wir auch defensiv und unter Druck im Endeffekt immer Herr der Lage bleiben.

SZ: Welche Rolle spielt dieser deutsche Mythos denn wirklich? Keiner von Ihnen hat die Zeit des guten, alten Tugendfußballs erlebt, und dennoch lebt er auch in dieser Mannschaft weiter.

Mertesacker: Ja, dieser Mythos wird ja immer wieder bestätigt, und dann ist er eben auch in unseren Köpfen drin. Und vor allen Dingen: Er ist in den Köpfen des Gegners drin. Das ist der entscheidende Faktor.

SZ: Das heißt, Sie versuchen, diesen Mythos auch ganz gezielt einzusetzen?

Mertesacker: Richtig. Wir haben uns vor dem Russland-Spiel zum Beispiel fest vorgenommen, dass wir von der ersten Spielminute an eine gewisse Selbstsicherheit ausstrahlen - dass wir defensiv gut stehen und eine offensive Körpersprache zeigen.

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SZ: Sie wollten die Russen einschüchtern?

Mertesacker: Michael Ballack hat uns vor der Partie gesagt, wir sollen den Russen ins Gesicht schauen. Aber das ging nicht, die haben die ganze Zeit runtergeschaut.

SZ: Vielleicht kam Ihnen das nur so vor, Sie sind 1,98 Meter groß.

Mertesacker: Nein, nein, man hat richtig gemerkt, wie die Russen unter Druck standen. Sie haben nicht so attackiert wie wir das erwartet hatten, sie waren sehr, sehr angespannt, diese Situation ging ihnen sehr nahe. Sie wussten ja, dass sie eine einmalige Chance, aber auch eine einmalige Versagenschance haben. Das sind eben diese Alles-oder-Nichts-Situationen im Fußball - und mit denen können wir offenbar besonders gut umgehen. Selbst mit dieser jungen Mannschaft, die wir zweifellos haben.

SZ: Wie soll das denn erst werden, wenn die Generation der Mertesackers, Lahms, Schweinsteigers und Podolskis erst mal 30 ist?

Mertesacker: Das ist eben das große Plus unseres Teams, dass wir viele junge Spieler haben, die aber auf diesem Niveau schon sehr erfahren sind.

SZ: Beschreiben Sie doch mal die Perspektiven dieser Mannschaft, jetzt, vor dem Abschluss der WM-Qualifikation.

Mertesacker: Das Entscheidende ist, dass es inzwischen selbstverständlich geworden ist, dass immer mehr junge Spieler nachkommen. Vor zehn Jahren hieß es ja noch: Unter 100 Bundesliga-Spielen geht gar nichts, aber da ist in den letzten Jahren ein neues Bewusstsein entstanden. Das ging unter Rudi Völler los, der Lahm, Schweinsteiger und Podolski zur Euro 2004 mitgenommen hat, dann kam der frische Wind mit Jürgen Klinsmann, und unter Joachim Löw hat sich diese Entwicklung konsequent fortgesetzt.

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Per Mertesacker über Westermann und Metzelder

SZ: Die Entwicklung hat unter anderem dazu geführt, dass Sie im kommenden Sommer schon das dritte Turnier bestreiten werden - im zarten Alter von 25.

Mertesacker: Ja, und diese Entwicklung geht ja immer weiter. Die 20-Jährigen, die heute zu uns in die A-Nationalmannschaft aufrücken, sind mental und vom Selbstbewusstsein her schon wieder weiter als wir das vor fünf Jahren waren. Der Sprung von der U21 zu uns ist nicht mehr so groß, die Jungs sind leistungsmäßig näher dran. Wir können auf eine goldene Zukunft hoffen.

SZ: Ein Wesensmerkmal dieser Elf hat sich in der Qualifikation deutlich herauskristallisiert: Die Elf überzeugt, wenn sie vor einem Spiel ein paar Tage Zeit hat, um die Automatismen zu üben und in Stimmung zu kommen. Bei kürzeren Zusammentreffen oder bei Freundschaftsspielen gelingt das oft nicht. Was sagt das über die Mannschaft aus?

Mertesacker: Zunächst mal muss man das Positive festhalten: Wir sind mit dieser Mannschaft schon viele Wege erfolgreich gegangen, wir haben Qualifikationen geschafft, sind bei Turnieren weit gekommen. Aber es gab auch Phasen, die alles andere als perfekt waren. Im Test gegen Norwegen zum Beispiel (0:1/d. Red.) haben wir uns, vorsichtig gesagt, nicht mit Ruhm bekleckert. Im Moment tun wir uns tatsächlich leichter, wenn wir Zeit und eine gewisse Fokussierung haben - auf ein schweres Spiel oder auf einen großen Gegner.

SZ: Ist das vielleicht der entscheidende Grund für die schwankenden Leistungen bei der EM 2008 - dass man die Spannung eben nicht über sechs Wochen halten kann und nach guten Spielen immer wieder in ein Konzentrationsloch fällt?

Mertesacker: Das kann sein. Bei einem langen Turnier ist es sicher schwierig, vom ersten bis zum letzten Tag fokussiert zu sein. Es muss für uns der nächste Entwicklungsschritt sein, dass wir auf diesem Niveau konstanter werden.

SZ: Dass die deutsche Mannschaft so sehr von Konzentration und Fokussierung lebt, heißt das im Umkehrschluss nicht auch, dass sie noch nicht gut genug ist, um die Dinge spielerisch zu lösen?

Mertesacker: Ich denke, dass das Russland-Spiel schon gezeigt hat, dass unsere Mannschaft mehrere Facetten hat. Da war nicht nur Kompaktheit, da waren auch spielerische Finessen dabei. Wir haben da schon viele Möglichkeiten, aber natürlich ist es erst mal entscheidend, dass wir stabil stehen.

SZ: Haben Sie mit Heiko Westermann jetzt Ihren Abwehrpartner gefunden? Immerhin stand er in beiden Russland-Spielen an Ihrer Seite.

Mertesacker: Es lief jedenfalls sehr gut mit ihm. Aber ich denke, dass wir bis zur Weltmeisterschaft auch noch andere Formationen ausprobieren werden.

SZ: Haben Sie noch Kontakt zu Christoph Metzelder?

Mertesacker: Ja. Wir telefonieren gelegentlich, und er hat jetzt auch eine SMS geschickt und mir zur WM-Qualifikation gratuliert.

SZ: Schließen Sie aus, dass er bei der WM wieder neben Ihnen verteidigt?

Mertesacker: Nein, überhaupt nicht, und ich glaube, er schließt das auch nicht aus. Ich wünsche ihm jedenfalls, dass er bei Real Madrid schnell wieder rein findet in die Mannschaft.

SZ: Ist Metzelder nicht ein mahnendes Beispiel für Sie? Nach dem Motto: Lieber in Deutschland spielen als im Ausland auf der Bank sitzen?

Mertesacker: Es ist sicher so, dass man im Ausland als Spieler und als Persönlichkeit reifen kann, aber ich habe mit Werder Bremen jetzt erst mal eine Mannschaft gefunden, die sich sehr gut entwickelt. Für mich ist wichtig, dass ich mich Jahr für Jahr mit den Besten messen, das heißt: in der Champions League spielen kann. Das ist dann auch gut für die Nationalmannschaft.

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