Interview mit Olympiasiegerin:Die Marke Lena

Goldgewinnerin Lena Schöneborn über Grenzen der Vermarktung, Verbandsversagen, einen Sommerbiathlon und warum Moderner Fünfkampf keine Allerweltssportart ist.

Interview: Thomas Hummel

Das Praktikum ist für heute beendet. Lena Schöneborn steht auf dem Kurfürstendamm, eine Olympiasiegerin aus Berlin, die niemand erkennt. Auch ein paar Schritte weiter im Café kann die 22-Jährige unbemerkt einen Latte macchiato trinken, niemand will ein Autogramm von ihr, keiner spricht sie an. Lena Schöneborn hat in Peking die erste Goldmedaille für den deutschen Modernen Fünfkampf seit 1936 gewonnen. Eine Sportart, die hierzulande fast vergessen ist. Ein Gespräch mit einer Heldin des Augenblicks.

Interview mit Olympiasiegerin: Der größte Erfolg für den Modernen Fünfkampf in Deutschland: Lena Schöneborn gewann Gold in Peking.

Der größte Erfolg für den Modernen Fünfkampf in Deutschland: Lena Schöneborn gewann Gold in Peking.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Wie lebt es sich als Olympiasiegerin?

Schöneborn: Vor allem hat sich mein Terminkalender verändert. Ich habe sehr viele Anfragen zu Interviews, zu öffentlichen Auftritten oder auch Wohltätigkeitsveranstaltungen. Bei einer habe ich zuletzt ein paar Fechtstunden mit mir versteigert.

sueddeutsche.de: Wie gut war der Gegner?

Schöneborn: Es hat noch nicht stattgefunden. Das passiert höchstwahrscheinlich im Dezember.

sueddeutsche.de: Peking ist nun drei Monate her. Lässt das Interesse langsam nach?

Schöneborn: Es hält an und das erstaunt mich auch. Ich hatte gedacht, das geht einen Monat oder zwei, aber ich habe schon Termine für die nächsten Wochen. Dabei ist es nicht ganz leicht, das unterzubringen. Ich studiere Business Administration und absolviere gerade ein Praktikum in Sportmarketing.

sueddeutsche.de: Wie wird die Olympiasiegerin Lena Schöneborn vermarktet? Vor Olympia hatten Sie keinen einzigen Sponsor.

Schöneborn: Ein bisschen Geld habe ich mit Kursen zu Mitarbeitermotivation etwa bei Banken verdient. Sonst gibt es Gespräche und auch Angebote. Wenngleich noch nichts sicher ist, sieht es deutlich besser aus als vorher.

sueddeutsche.de: Hat Sie der Verband bei der Sponsorensuche unterstützt?

Schöneborn: Nein, da kommt nichts.

sueddeutsche.de: Müssen Sie alles selbst machen?

Schöneborn: Ich tausche mich mit anderen Athleten aus, die Sporthilfe bietet eine Beratung an. Ich überlege momentan, mir einen Manager zu suchen, der sich mit den Abläufen und Verträgen auskennt. Es wäre schön, wenn ich jemanden hätte, um die Marke Lena besser verkaufen zu können.

sueddeutsche.de: Man würde meinen, der fast in Vergessenheit geratene Verband für Modernen Fünfkampf müsste Sie als eine Art Galionsfigur voranstellen.

Schöneborn: Das sollte der Verband tun, macht er aber nicht. Da müsste man sich intensiver darum kümmern. Sicher wäre die Sponsorensuche für den Modernen Fünfkampf jetzt am einfachsten, also einfacher wird es jedenfalls nicht. Ich habe gehört, dass die Vereine Zulauf verzeichnen seit Olympia. Das ist jetzt die Chance, die Sportart weiterzubringen.

sueddeutsche.de: Kümmert sich da niemand?

Schöneborn: Nein. Jetzt soll jemand ehrenamtlich für Kommunikation, Marketing oder Homepage-Verwaltung eingesetzt werden. Aber da hinken wir sehr weit hinterher.

sueddeutsche.de: Sie stünden als Vorkämpferin zur Verfügung?

Schöneborn: Klar. Aber da kommt einfach wenig.

Die Marke Lena

sueddeutsche.de: Ohne Sponsor, ohne Hilfe vom Verband. Wie finanzieren Sie Ihren Sport?

Schöneborn: Ich bekomme Sporthilfe, und weil ich für Bonn starte, bin ich auch in der Sportförderung des Landes Nordrhein-Westfalen. Das reicht, um die Sportart ausüben zu können.

sueddeutsche.de: Der Moderne Fünfkampf befindet sich wie kaum eine andere Sportart im Vierjahres-Zyklus. Zwischen den Olympischen Spielen wird sie kaum wahrgenommen. Müssen Sie fürchten, dass Lena Schöneborn bald wieder vergessen ist?

Schöneborn: Wir haben nächstes Jahr die EM in Leipzig. Da erwarte ich noch einmal Aufmerksamkeit für uns. Danach müssen wir uns von Event zu Event hangeln und sehen.

sueddeutsche.de: Gibt es Gedanken, mit Auftritten in den Einzeldisziplinen sich im Gespräch zu halten?

Schöneborn: Ich mache das, aber nur zum Spaß. Beim Fechten bin ich bei der Deutschen Meisterschaft gestartet. Das erregt aber kein großes Aufsehen.

sueddeutsche.de: Ist der Unterschied zur Elite der Einzeldisziplinen zu groß?

Schöneborn: Beim Fechten und Schießen geht es noch, aber beim Laufen, Reiten und Schwimmen ist er schon sehr groß.

sueddeutsche.de: Zurück zu Olympia: Eine Moderne Fünfkämpferin ist kein hohes Medieninteresse gewohnt. Ist da viel auf Sie hereingebrochen?

Schöneborn: Das Schlimmste war der Wettkampftag selbst. Die Leute wollten nach dem Rennen zehn Sachen gleichzeitig von mir. Die einen, dass ich zur Dopingkontrolle komme, die anderen zerrten mich zur Siegerehrung, ich sollte zur Pressekonferenz und in diese Pressemeile. Da musste ich direkt nach dem Lauf rein, noch bevor ich meine Freunde und Trainer gesehen hatte. Da durfte ich nur 30 Sekunden pro Reporter sprechen. Ich konnte keinen Satz zu Ende bringen, schon hieß es: so, jetzt weiter, next, next, next. Und alle mit zehn Fragen gleichzeitig, und ich war gerade erst ins Ziel gelaufen. Da war ich echt fertig.

sueddeutsche.de: Wie lange hat das angehalten?

Schöneborn: Am nächsten Tag war ich bis halb vier Uhr nachts im Deutschen Haus. Pressekonferenz, Fernsehinterview und so weiter. Danach war es machbar.

sueddeutsche.de: Und dann kam viel Schlaf?

Schöneborn: Nein. In den zwei Wochen danach habe ich sehr wenig geschlafen.

sueddeutsche.de: Hat es so lange gedauert, um alles zu verarbeiten?

Schöneborn: Wir haben zu Hause auch viel gefeiert. Dann begann das Praktikum.

sueddeutsche.de: Was denken Sie über andere Olympiasieger, die keine Praktika machen müssen, weil sie mit ihrem Sport genug Geld verdienen.

Schöneborn: Neidisch bin ich da nicht. Ich denke, selbst wenn ich eine andere Sportart betreiben würde, würde ich nebenher noch studieren. Vielleicht etwas langsamer.

sueddeutsche.de: So herrscht großer Zeitdruck?

Schöneborn: Ich habe meinen Zeitplan vor zwei Jahren festgelegt, da wusste ich noch nicht, dass ich zu Olympia fahre. Jetzt wäre es schwer, ihn zu verändern.

sueddeutsche.de: Im Modernen Fünfkampf kommt es ab 1. Januar 2009 zu einer Änderung des Wettkampf-Formats. Laufen und Schießen sollen als eine Art Sommerbiathlon zusammengelegt werden.

Schöneborn: Im letzten Testwettkampf wurde auf eine Scheibe geschossen, bis man fünf Treffer landen konnte und selbst bei Fehlschüssen durften die Athleten nach spätestens 1:10 Minuten weiterlaufen.

sueddeutsche.de: Hört sich interessant an.

Schöneborn: Aber da wird meiner Meinung nach das Schießen völlig unterbewertet, weil man nur eine Sieben schießen muss für einen Treffer.

sueddeutsche.de: Ist das Schießen aus dem vollen Lauf heraus nicht viel schwieriger?

Schöneborn: Natürlich ist es mit erhöhtem Puls, im Vergleich zum Schießen aus der Ruhe, schwerer, eine hohe Ringzahl zu erreichen. Ob man nun eine Sieben oder eine Zehn schießt, ist irrelevant. Und deshalb kommt es eher darauf an, wer am schnellsten Laden kann.

sueddeutsche.de: Sie haben vor Olympia gesagt: Wenn Ihnen das neue Format nicht liegt, hören Sie vielleicht auf.

Schöneborn: Erst mal werde ich schon weitermachen. Ich wäre ja dumm, wenn ich jetzt aufhören würde, bis London 2012 möchte ich schon dabei sein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das neue Format zum gewünschten Effekt führt.

sueddeutsche.de: Mehr Fernsehpräsenz, mehr Popularität.

Schöneborn: Genau. Da müsste in punkto Marketing noch einiges passieren.

Die Marke Lena

Interview mit Olympiasiegerin: Das Silberne Lorbeerblatt vom Bundespräsidenten: Lena Schöneborn und Horst Köhler.

Das Silberne Lorbeerblatt vom Bundespräsidenten: Lena Schöneborn und Horst Köhler.

(Foto: Foto: Getty)

sueddeutsche.de: Sind das nicht zwei verschiedene Dinge?

Schöneborn: Momentan steht diese Formatänderung im Vordergrund. Aber wichtiger wäre es, die Präsentation der Wettkämpfe zu verbessern. Zum Beispiel brauchen wir Kommentatoren, die den Besuchern Informationen geben.

sueddeutsche.de: Gibt es bei großen Wettkämpfen keinen Kommentator an der Strecke?

Schöneborn: Beim Weltcup selten. Zuschauer, die sich wenig im Modernen Fünfkampf auskennen, tun sich da schwer.

sueddeutsche.de: Moderner Fünfkampf gilt immer wieder als Streichkandidat bei einer Reform des olympischen Programms. Vor Peking hat das IOC angekündigt, die Sportarten nach Kriterien wie Medienpräsenz, Zuschaueraufkommen, Einschaltquoten zu prüfen. Müssen Sie Angst haben?

Schöneborn: Wir argumentieren ja immer damit, dass wir eine Art olympische Ursportart sind. Pierre de Coubertin hat sie 1912 selbst installiert. Ich habe in Peking einen IOC-Funktionär gefragt, wie es um die Sportart steht. Danach sei das Hauptkriterium die Olympia-Teilnahme von möglichst vielen Nationen und Kontinenten.

sueddeutsche.de: Und welche Position hatte da der Moderne Fünfkampf in Peking?

Schöneborn: Ich denke, da waren wir mit mehr als 25 Nationen bei insgesamt nur 72 möglichen Teilnehmern ganz gut aufgestellt.

sueddeutsche.de: Der Vorwurf lautet dennoch, dass vor allem Jugendliche andere, nicht olympische Sportarten viel häufiger betreiben.

Schöneborn: Der Moderne Fünfkampf kann nie eine Allerweltssportart sein. Dazu ist er einfach zu aufwändig. Man braucht die Ausrüstung und die Sportstätten. Das ist nicht überall möglich, aber überall gibt es einen Rasen und zwei Tore. Trotzdem ist es eine interessante Sportart, die Vielseitigkeit macht einfach Spaß.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie es geschafft, dabeizubleiben?

Schöneborn: Meine Eltern haben mich zu Beginn viel unterstützt. Man kann sich viel leihen, ich habe erst nach zweieinhalb Jahren meine eigene komplette Ausrüstung gehabt. Aber ein gewisser finanzieller Hintergrund ist schon nötig. Das ist sicher der Knackpunkt und lässt sich auch schwer ändern.

sueddeutsche.de: Bei allen Leistungen in Peking schwang auch immer das Thema Doping mit. Auch im Modernen Fünfkampf?

Schöneborn: Vielleicht bin ich da blauäugig. Aber ich glaube, es ist schwer, bei uns zu dopen. Was für die eine Sportart gut ist, ist vielleicht hinderlich für die nächste.

sueddeutsche.de: Sind Sie kontrolliert worden in diesem Jahr?

Schöneborn: Außerhalb der Wettkämpfe viermal. Ich bin wie alle Sportler im System der Nada integriert. Das ist ziemlich aufwändig, weil wir angeben müssen, wo wir uns in den kommenden drei Monaten aufhalten. Wir müssen ja immer für unangekündigte Kontrollen zur Verfügung stehen. Das ist fast ein zusätzlicher Job, den man da verrichten muss.

sueddeutsche.de: Haben Sie dafür Verständnis?

Schöneborn: Ich finde es prinzipiell ganz gut und fühle mich auch nicht in meinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt. Aber mir wäre es fast lieber, man würde mir einen Chip einpflanzen, um mich immer zu finden. So frisst das viel Zeit.

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