Interview mit Lira Bajramaj:"Für Fußball musste ich lügen"

Die aus dem Kosovo stammende Nationalspielerin Lira Bajramaj spricht über heimliches Fußballspielen, Flüchtlingskinder in Deutschland und Schminken vor dem Waldlauf.

Andreas Thieme

Fatmire "Lira" Bajramaj wird am 1. April 1988 in Gjurakovc im früheren Jugoslawien geboren. Im Alter von fünf Jahren flieht sie mit ihrer Familie aus dem Kosovo nach Deutschland, wo sie eine Kindheit zwischen Armut und Rassismus erlebt. Heimlich und gegen den Willen ihres Vaters beginnt sie, Fußball zu spielen. Schnell erkennt der jedoch ihr Talent, und eine große Karriere beginnt. Mit 21 Jahren ist die erste Muslima der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft bereits Welt- und Europameisterin. Ihre Lebensgeschichte hat sie nun in einer Autobiografie aufgeschrieben.

sueddeutsche.de: Glückwunsch, Frau Bajramaj, Sie haben Ihr erstes Buch auf den Markt gebracht. Wie fühlt es sich an, mit 21 Jahren seine Memoiren zu verfassen?

Lira Bajramaj: Als ich das Buch vor kurzem zum ersten Mal in der Hand hatte, konnte ich es gar nicht glauben. Wow, ich habe wirklich ein Buch geschrieben. Natürlich habe ich anfangs gedacht, ich bin viel zu jung. Aber die Leute sollen wissen, was ich als Flüchtlingskind erlebt habe und wie schwer es war, sich in Deutschland zu integrieren. Ich weiß, dass ganz viele Leute den Krieg noch schlimmer erlebt haben als ich. Ihnen will ich Mut machen.

sueddeutsche.de: Sie sind Muslima und als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Mittlerweile sind Sie Welt- und Europameisterin. Ihr Buch heißt "Mein Tor ins Leben". War der Fußball Ihr Tor?

Bajramaj: Fußball hat mir geholfen, viele Freunde zu finden, und zu verstehen, wie die Leute hier leben und ticken. Das hat mich sehr weit gebracht. Deshalb ist es so wichtig, dass ausländische Kinder Sportvereinen beitreten. Oft hört man in den Nachrichten, dass sie straffällig geworden sind. Da muss man sich auch mal fragen, warum das so ist. Sport bezieht alle mit ein. Da bleibt keiner zurück.

sueddeutsche.de: Ist man durch den Sport auch akzeptierter?

Bajramaj: Ja, das habe ich selbst erlebt. Durch gute Leistungen im Sport verschafft man sich Respekt.

sueddeutsche.de: Mit welchen Vorurteilen und Problemen hatten Sie zu kämpfen?

Bajramaj: Vor allem damit, dass Fußball kein Frauensport ist. Besonders mein Vater war anfangs sehr dagegen. Ich konnte nur heimlich spielen, musste Ausreden erfinden, wenn ich zum Bolzplatz ging. Ich hatte große Angst, weil ich für den Fußball lügen musste. Irgendwann kam alles raus, das war ein richtiges "Outing". Nachdem er mein Talent entdeckt hatte, fuhr er mich dann zu jedem Training und ist seitdem mein größter Fan. Das war wie eine Erlösung.

sueddeutsche.de: Was braucht Frauenfußball, um bei Mädchen als "cool" zu gelten?

Bajramaj: Vor allem viel Fernsehpräsenz. Damit die Leute auch sehen können, wie es im Frauenfußball zugeht, wie gut wir inzwischen sind. Dann ist es logisch, dass junge Mädels das cool finden, einem Verein beitreten und vielleicht auch zu talentierten Spielerinnen werden. So wie ihre Vorbilder, die sie ja aus dem Fernsehen kennen.

sueddeutsche.de: Wollen Sie selbst auch Vorbild sein?

Bajramaj: Ja, auf jeden Fall. Es ist total süß, wenn Mädels zu mir kommen und sagen, dass ich ihr Vorbild bin. Ich bin ja selbst noch jung. Das ist eine große Ehre für mich.

Lesen Sie auf der 2. Seite: Lira Bajramaj über Make-up im Training, Schlägereien und schnelle Beine

Lira Bajramaj über Integration in der Schule

sueddeutsche.de: In Ihrer Kindheit wurden Sie manchmal als "Zigeunerin" beschimpft, ihr Bruder Fatos als "Scheiß-Ausländer". Begegnet Ihnen so etwas heute auch noch?

Bajramaj: Eigentlich nicht. Vielleicht, weil ich durch den Sport anerkannt bin. Ich versuche aber auch, solchen Konflikten aus dem Weg zu gehen, bin eine liebe Person. Von daher passiert mir so etwas nicht. Es gab allerdings Zeiten, in denen das schon schlimm war. Einmal sind ein paar Jungs auf meinen Bruder Fatos losgegangen. Da wollte ich ihm helfen und bin dazwischen.

sueddeutsche.de: Und dann?

Bajramaj: Sind die relativ schnell abgezogen. Es kam auch vor, dass andere Jugendliche mir hinterhergerannt sind und an den Kragen wollten. Aber zum Glück war ich schon immer ziemlich schnell. Sie haben mich nie gekriegt. (lacht)

sueddeutsche.de: Sagen Sie uns: Wie können sich Flüchtlingskinder möglichst schnell in Deutschland integrieren?

Bajramaj: Das sollte schon in der Schule damit anfangen, dass ausländische Kinder nicht nur unter sich sind. Ich selber hatte zum Beispiel viele deutsche Freunde und so kam ich auch zum Sport. Da habe ich die Sprache besser gelernt und gesehen, wie die anderen Kinder sich verhalten - dadurch wurde das Zusammenleben leichter. Auch die Eltern spielen eine große Rolle. Sie sollten schnell Deutsch lernen und viel mit Deutschen unternehmen. Das geht sehr gut im Sportverein. Selbst, wenn sie nur ihre Kinder dorthin begleiten.

sueddeutsche.de: Als Fußballerin treten Sie eher extravagant auf, spielen auch mal mit pinken Schuhen und bewundern den Brasilianer Ronaldinho. Im Sportstudio haben Sie mit Pumps auf die Torwand geschossen. Wie wichtig ist Ihnen dieses Image?

Bajramaj: Ich weiß, dass es für die Leute interessant ist, dass ich etwas anders auftrete. Das Image ist mir aber egal; das ist etwas, was von außen kommt. Mein Aussehen ist mir dagegen schon sehr wichtig. Ich überlege jeden Tag lange, was ich anziehe und wie mein Outfit zusammenpasst. Kleidung, Make-up, Haare, alles muss passen. Auch auf dem Spielfeld will ich gut aussehen.

sueddeutsche.de: Man hört, Sie schminken sich vor dem Training?

Bajramaj: Ja, das stimmt (lacht). Selbst, wenn wir nur im Wald joggen gehen. Das ist Lira, die Leute kennen mich so. Weiblichkeit gehört zum Frauenfußball. Ich mache das aber für mich, nicht für andere.

sueddeutsche.de: Werden Sie irgendwann ins Kosovo zurückkehren?

Bajramaj: Ich werde das Kosovo immer in meinem Herzen tragen. Aber zurückkehren - nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Meine Heimat ist jetzt Deutschand.

Interview: Andreas Thieme

Lira Bajramaj: "Mein Tor ins Leben: Vom Flüchtling zur Weltmeisterin" (Taschenbuch, 158 Seiten, 9,95 Euro). Erschienen im Südwest Verlag.

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