Interview mit dem Finanzminister:Steinbrück kritisiert "Steuerflüchtling" Schumacher

Nach Ansicht von Finanzminister Steinbrück sollen Sport-Prominente wie Beckenbauer und Schumacher ihre Vorbidlfunktion wahrnehmen und in Deutschland Steuern zahlen.

Kurt Röttgen und Ludger Schulze

SZ: Herr Steinbrück, freuen Sie sich auch wie die Kanzlerin darüber, dass Jürgen Klinsmann ab Juli wieder Trainer in Deutschland ist?

Sport Politiker Peer Steinbrück

Peer Steinbrück, damals noch als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, mit einem Schal von Alemannia Aachen - dabei symphatisiert der Bundesfinanzminister doch mit Borussia Mönchengladbach.

(Foto: Foto: dpa)

Peer Steinbrück: Vor dem Hintergrund seines Erfolges bei der Fußball-Weltmeisterschaft sage ich uneingeschränkt ja. Ob dies angesichts seiner Vorgeschichte in München so nahegelegen hat, da mache ich mal ein Fragezeichen.

SZ: Das macht Udo Lattek auch. Er meint, dass der FC Bayern wegen Klinsmanns Berufung die Tapferkeitsmedaille verdient hätte. Der frühere Bundestrainer gilt als rücksichtslos beim Durchsetzen seiner Interessen, Konflikte mit den Alphatieren Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge kämen kaum überraschend.

Steinbrück: Wenn, dann verdienen beide die Tapferkeitsmedaille. Denn so glücklich ist Klinsmann seinerzeit als Spieler da ja auch nicht gewesen. Aber unterm Strich gilt: Das sind Profis auf beiden Seiten. Für sie zählt, was die Zusammenarbeit ihrem Verein an sportlichem Erfolg und damit an wirtschaftlicher Basis bringt.

SZ: In der Bundesliga rollt der Ball wieder, die Bayern sind Meisterschaftsfavorit. Ottmar Hitzfeld wirkt erleichtert, seit sein Abschied zum Saisonende feststeht. Sehen Sie die Gefahr von nachlassender Spannung in einer Truppe, die straffe Führung gewohnt ist und wohl auch braucht?

Steinbrück: Nach meinem Geschmack ja. Ein Politiker, der in naher Zukunft aus dem Amt scheidet, gilt oft als lame duck. Er verliert an Durchsetzungskraft und Respekt. Und dieser Gefahr unterliegt natürlich auch Ottmar Hitzfeld. Wenn es für die Bayern nicht erwartungsgemäß läuft, könnte es jetzt eher zu einem vorzeitigen Trainerwechsel kommen.

SZ: Was glauben Sie, wer wird Meister? Und wem drücken Sie die Daumen?

Steinbrück: Also, mein Titelfavorit ist schon Bayern München. Am meisten sympathisiere ich mit Borussia Mönchengladbach.

SZ: Die spielen allerdings in der Zweiten Liga.

Steinbrück: Aber nur noch wenige Wochen, dann sind sie wieder in der Ersten. Meine Verbundenheit stammt aus den siebziger Jahren, als Hacki Wimmer, Simonsen, Netzer, Heynckes und all die anderen diese riesige Begeisterung entfachten. Da hat die Borussia den offensivsten, phantastischsten Fußball gezeigt, der je von einer Vereinsmannschaft in Deutschland gespielt worden ist.

SZ: Ein ungewöhnliches Bekenntnis. Man sollte meinen, ein Hamburger Jung' wäre HSV-Fan oder wenigstens Anhänger vom FC St. Pauli.

Steinbrück: Ich bin mit einem Onkel schon zum HSV gegangen, da spielte er noch am Rothenbaum. Mit 16 habe ich dann am Volksparkstadion in den ersten Bundesligajahren die steilste Karriere meines Lebens gemacht, weil ich als Parkwächter rasch von den Fahrrädern über die Motorräder zu den Autos aufgestiegen bin.

Steinbrück kritisiert "Steuerflüchtling" Schumacher

SZ: Mehr Geld gab's sicher auch.

Sport Politiker Peer Steinbrück

Peer Steinbrück kennt immerhin noch neun der elf Namen der Hamburger Meistermannschaft von 1960.

(Foto: Foto: dpa)

Steinbrück: Und nicht zu knapp. Bei den Fahrrädern zahlten sie 20 Pfennig, bei den Motorrädern 50 und bei den Autos, glaube ich, eine Mark. Vor allem durften wir zehn Minuten nach Spielbeginn umsonst rein, mussten zwar auch zehn Minuten früher wieder raus, aber das habe ich nie gemacht. Dann hätte ich ja den Schlusspfiff nicht mitbekommen. Auf diese Weise habe ich viele Spiele gesehen. Ich kriege auch die Mannschaft noch ganz gut zusammen, mit der Hamburg 1960 nach 32 Jahren erstmals wieder Deutscher Meister wurde.

SZ: Wir sind gespannt.

Steinbrück: Also Schnoor im Tor, dann Krug...

SZ:...der gerade in den HSV-Aufsichtsrat gewählt worden ist...

Steinbrück:...den zweiten Verteidiger weiß ich im Moment nicht, da komme ich aber noch drauf. Mittelläufer war Meinke, rechter Läufer Jürgen Werner, links Dieter Seeler, Uwes älterer Bruder. Vorne natürlich Uwe, Linksaußen spielte Charly Dörfel, der so raffiniert flanken konnte, Rechtsaußen Neisner. Und Klaus Stürmer, ein begnadeter Techniker. Er ging später zum FC Zürich, verstarb leider schon mit 35 Jahren an Krebs. Das sind jetzt aber erst neun, zwei fehlen noch.

SZ: Wie wäre es mit Dehn und Piechowiak?

Steinbrück: Genau, Piechowiak war der zweite Verteidiger. 3:2 gewann der HSV das Endspiel gegen den 1. FC Köln. Dabei hatten sich die Rheinländer zu Saisonbeginn durch den legendären ,,Boss'' Rahn verstärkt, der 1954 Deutschland mit seinen Toren zum Weltmeister gemacht hatte und bei der WM 1958 in Schweden unser torgefährlichster Stürmer war.

SZ: In der Woche vor dem Finale war Zech- und Zockerfreund Rahn zum Entsetzen der Kölner einige Tage verschollen. Weil sie hofften, dass selbst ein verkaterter ,,Boss'' für das Siegtor gut wäre, ließen sie ihn trotzdem spielen.

Steinbrück: Ich sehe die Szene noch vor mir: Die Kölner gingen 1:0 in Führung, jubelten überschwänglich, und 15 Sekunden darauf hieß es 1:1. Im direkten Gegenzug kam der Ball nach einem irrsinnigen 40-Meter-Pass zu Uwe Seeler und - zack! - semmelte der ihn rein. Das Siegtor schoss er auch.

SZ: Sie haben sich als Bewunderer von Günter Netzer bekannt. Erstaunlicherweise jedoch nicht, weil er mit wehendem Blondhaar so eindrucksvoll aus der Tiefe des Raumes kam, sondern wegen seiner ,,intellektuellen Unabhängigkeit''. Das hat ihm sicher gefallen, nur: Wie war es gemeint?

Steinbrück: Er ist ein Charakter, der für sich selber steht, auch gegen den Strich bürstet und sich im Fernsehen erkennbar nicht abhängig macht von den Meinungen anderer. So hat er früher gespielt und so hat er wohl auch seine lieben Auseinandersetzungen mit Hennes Weisweiler gehabt. Ein Spieler mit genialen Zügen. Und auf den konnte der Trainer nicht verzichten.

SZ: Weisweiler war wie viele große Männer ganz auf sich bezogen. Einen anderen mit diesem Anspruch konnte er nicht gebrauchen. Es sei denn, er garantierte ihm, wie Netzer, den Erfolg. Reibereien zwischen dem autoritären Trainer und seinem selbstbewussten Spielmacher waren unvermeidbar. Welche Qualitäten sollten Führer eines Teams haben?

Steinbrück: Eine natürliche Autorität, die nicht nur eine abgeleitete Autorität aus der Funktion heraus sein darf, denn dann ist man schon mal verratzt. Ich denke, dass im Sport wie in anderen Bereichen zunehmend psychologisches Einfühlungsvermögen wichtig ist. Im Gegensatz zu den fünfziger und sechziger Jahren ist ein Team nicht mehr rein autoritär, sondern zunehmend über Kommunikation zu führen.

Steinbrück kritisiert "Steuerflüchtling" Schumacher

Sport Michael Schumacher Franz Beckenbauer

"Das gilt auch für Schumacher und Beckenbauer": Steinbrück zur Debatte, ob reiche Deutsche ins Land gehören.

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SZ: Welche Führungsqualitäten hat Angela Merkel?

Steinbrück: Kommunikationsfähigkeit, Einbindung, persönliche Ansprache. Persönliche Ansprache bedeutet ja auch immer, jemanden zu motivieren, vielleicht sogar zu verpflichten.

SZ: Und welche hat sie nicht?

Steinbrück: Darüber gebe ich nie öffentlich Auskunft.

SZ: Sie wünschen sich von den Deutschen, mit mehr Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Viele haben jedoch Angst: Um ihren Job, vor steigenden Energiepreisen und sinkender Kaufkraft, vor unsicheren Renten und Altersarmut.

Steinbrück: Ich kenne diese Ängste vieler Menschen. Angesichts einer schwierigen demographischen Entwicklung müssen sie für Alter, Pflege und Gesundheit sehr viel stärker vorsorgen als frühere Generationen. Es kann also sein, dass Gegenwartskonsum zugunsten der Zukunftsvorsorge eingeschränkt werden muss. Und das vor dem Hintergrund eines beschleunigten internationalen Wettbewerbes, in dem sich Deutschland befindet. Wobei kein anderes Land von der Globalisierung so stark profitiert wie wir. Aber ja, es gibt Verlust und Verliererängste, die sich politisch auswirken. Das Verständnis für die integrativen Aufgaben von Volksparteien ist bei Teilen der Eliten unterentwickelt.

SZ: Bundespräsident Horst Köhler warnt vor wachsender Ungleichheit. Manager kassieren Millionengehälter und dicke Abfindungen, selbst wenn sie ihren Betrieb oder ihre Bank an den Rand der Pleite gewirtschaftet haben. 80 Prozent der Bundesbürger hingegen haben das Gefühl, dass bei ihnen der Aufschwung nicht ankommt. Für viele ist Mindestlohn ein Thema oder Hartz IV.

Steinbrück: Die Frage nach dem Zusammenhalt, der sozialen Stabilität stellt sich in der Tat. Unsere Gesellschaft ist Fliehkräften ausgesetzt, die sehr ernst zu nehmen sind. Zwischen Arm und Reich, Alt und Jung. Zwischen Stadtvierteln, die sozial abstürzen, und besseren Gegenden. Zwischen denjenigen, die mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien spielen können, und denjenigen, die als die Analphabeten des Informationszeitalters angesehen werden. Und schließlich zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Man merkt, dass sich hier etwas auseinanderentwickelt. Ich erwarte von der Manager-Elite in Unternehmen und Finanzinstituten, Augenmaß zu bewahren und nicht durch Maßlosigkeit, Übertreibungen und auch Gier das Modell der sozialen Marktwirtschaft zu erschüttern.

SZ: Sie fordern Reiche auf, im Land zu bleiben und eine besondere Vorbildfunktion wahrzunehmen, anstatt in steuerlich günstigeren Nachbarländern zu residieren. Denken Sie dabei auch an Sportgrößen wie Franz Beckenbauer und Michael Schumacher?

Steinbrück: Ja. Es waren die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland, die sie in den Stand versetzt haben, weit überdurchschnittlich zu verdienen. Was ihnen von Herzen gegönnt ist. Das ist nicht die Neiddebatte, mit der viele versuchen, Diskussionen über Ungerechtigkeit und Ungleichheit abzubiegen. Ich finde, sie sind verpflichtet, dieser Gesellschaft etwas zurückzugeben.

SZ: In der Diskussion über zu hohe Managergehälter kritisierte Bundestagspräsident Norbert Lammert auch die Gagen im Fußball. Fünf Millionen Euro im Jahr kassieren angeblich die bestbezahlten Bundesliga-Stars. Michael Ballack soll in England sogar knapp neun Millionen Euro erhalten. Er ärgere sich ,,erheblich über die Gehaltsexzesse'', erklärte der CDU-Politiker.

Steinbrück: Ich kann mich dieser Meinung anschließen. Auf Dauer hält kein System Übertreibungen aus. Das gilt für Gehälter im Fußball genauso wie in der Politik und bei Managern. Im Sport wird einer Kommerzialisierung Vorschub geleistet, die schädlich ist und bei vielen Fans Abwehr und Abkehr auslösen wird.

SZ: DFB-Präsident Theo Zwanziger hat die Initiative der Europäischen Fußball-Union angekündigt, eine Gehaltsobergrenze für Fußballprofis einzuführen. Was halten Sie davon?

SZ: Ich kenne diese Initiative nicht, aber sie erscheint mir sehr vernünftig. Überhaupt möchte ich Herrn Zwanziger ein Kompliment für seine Anstrengungen machen, etwa bei der Förderung des Frauenfußballs oder der Bekämpfung von Gewalt und Rassismus. Er ist ein hervorragender Repräsentant des deutschen Fußballs.

Steinbrück kritisiert "Steuerflüchtling" Schumacher

Sport Politiker Peer Steinbrück

Peer Steinbrück wehrte sich gegen den ehemaligen Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik bei einer Demo-Partie stolze 37 Züge.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Nach der 50-plus-1-Regelung müssen die Vereine jeweils die Mehrheit an ihrer Kapitalgesellschaft halten. Oligarchen wie Roman Abramowitsch bei Chelsea London oder Alischer Usmanow beim FC Arsenal sind in der Bundesliga unerwünscht. Doch damit fehlt auch das Geld, um die weltbesten Spieler anzulocken. Sollte sich die Bundesliga für Investoren öffnen?

Steinbrück: Nein. Es wäre ein weiterer Schritt zu dieser völligen Durchkommerzialisierung. Die Gesellschafter, die man dann hat, geben ihr Geld ja nicht aus Altruismus. Die haben ein Rendite-Interesse und wollen Margen von oberhalb zehn Prozent. Aber das viel wichtigere Argument ist: Die Vereine leben auch von Identitätsstiftung und Identitätsbildungen. Warum sollen Zuschauer ihr Herz an einen Klub hängen, der sich nicht mehr von einem normalen Unternehmen unterscheidet. Wenn die emotionale Bindung der Mitglieder und Fans kaputtgeht, droht auch die ökonomische Gefährdung.

SZ: Würden Sie Aktien von Borussia Dortmund kaufen, Deutschlands einzigem börsennotierten Fußballklub?

Steinbrück: Würden Sie welche kaufen? Bei allem Respekt vor der Konsequenz und dem Erfolg, wie der Geschäftsführer Watzke den Verein saniert: Diejenigen, die solche Aktien kaufen, tun das doch eher aus Sympathiebekundung.

SZ: Der geschäftstüchtige Schwabe Uli Hoeneß hat Dortmunder Aktien gekauft, das heißt, genauer gesagt, seine Frau.

Steinbrück: Ich würde mir trotzdem keine kaufen.

SZ: Hoeneß gehört wie Schauspieler Hannes Jaenicke, Präses Nikolaus Schneider oder der Schriftsteller und Rechtsprofessor Bernhard Schlink zu einer Diskussionsrunde, die Sie mehrmals im Jahr um sich versammeln. Wie kommt's? Als SPD-Freund ist der Bayern-Manager bislang nicht unbedingt aufgefallen.

Steinbrück: Damit ich hier nicht unter einer Käseglocke lande, tausche ich Erfahrungen aus mit Menschen, die Erfahrungen unterschiedlichster Art einbringen können. Da sind parteipolitische Sympathien kein Thema. Es geht darum, einmal den Blick über tagesaktuelle Fragen hinaus zu werfen. Auch Uli Hoeneß hat mir schon geholfen, diese Käseglocke, unter der Politiker ersticken können, das ein oder andere Mal zu lüften.

SZ: Man weiß von Ihnen, dass Sie nach der Arbeit gern zum Buch greifen oder bei einem Fernsehfilm entspannen. Wie halten Sie es denn Samstags mit der Bundesliga? Schauen Sie Premiere, warten Sie auf die Sportschau oder sind Sie im Stadion?

Steinbrück: Ich gucke Sportschau. Premiere habe ich nicht, und im Stadion war ich zuletzt, als Borussia noch in der Bundesliga spielte. Aber das wird sich ja bald wieder ändern. Von meinem Haus in Bonn-Bad Godesberg ist es nicht weit bis Mönchengladbach.

SZ: ,,Peer wollte immer unbedingt gewinnen'', sagt Ihr jüngerer Bruder Birger über Sie. Nun sind Sie allerdings Sozialdemokrat und Schachspieler und an beiden Fronten siegt es sich bisweilen schwer. Wie gehen Sie mit Niederlagen um, zum Beispiel bei der NRW-Wahl 2005 gegen Jürgen Rüttgers, gegen die Parteilinke oder den Schachcomputer?

Steinbrück: Niemand verliert gerne. Aber nichts ist furchtbarer, als wenn einer nicht mit Anstand und Haltung verlieren kann. Weshalb ich nach einer verlorenen Landtagswahl sehr schnell deutlich machen wollte, dass es sich dabei um einen demokratischen Wettbewerb handelt. Beim Schach kann ich die eigenen Fehler exakt nachvollziehen. Wen soll ich beschimpfen?

SZ: Noch eines wüssten wir ganz gerne: Dass der Mensch Hund oder Katze als sein Lieblingstier bezeichnet, ist irgendwie normal. Aber wie kommen Sie auf Nashorn?

Steinbück: Es war ein wahnsinniges, geradezu archaisches Erlebnis, als ich zum ersten Mal Nashörner in freier Natur gesehen habe. Sie sind gefährdet, sind Einzelgänger, nicht so ein Streicheltier. Nashörner sind nicht an der Leine zu führen. Und sie haben keine Hundemarken.

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