Süddeutsche Zeitung

Bernd Hoffmann:"Als ich kam, war unser Aushängeschild der Masseur"

Bernd Hoffmann, Vorstandschef des Hamburger SV, über die umstrittene Kooperation mit einem Finanz-Investor, die Kritiker an seiner Machtfülle und den strukturellen Abstand zum FC Bayern.

Jörg Marwedel

SZ: Herr Hoffmann, wie war die Atmosphäre neulich bei der jüngsten Informations-Veranstaltung für Mitglieder? Besser als im Juli, als Sie und der Aufsichtsratsvorsitzende Horst Becker mächtig um die Ohren bekamen?

Bernd Hoffmann: Die Situation hatte sich beruhigt. Es ist natürlich eine andere Situation, ob Sie auf der Basis großer sportlicher Enttäuschung ein kontroverses Thema wie den Kühne-Vertrag diskutieren oder auf der Basis von zwei Siegen zum Saisonauftakt. In der vergangenen Saison sind wir ja als Adler gestartet und als Suppenhuhn gelandet.

SZ: Wie werden Sie künftig mit einem Investorenmodell wie dem von Klaus-Michael Kühne umgehen?

Hoffmann: Sachlich bewertend. Das Modell ist weder eine geniale Idee noch ist es Teufelswerk. Für die Bedürfnisse des HSV und die Finanzierungsmöglichkeiten des HSV ist es aber ein pfiffiges Konzept, um eine Saison ohne Europacup-Einnahmen ohne sportlichen Substanzverlust zu überstehen. Wir haben die Qualität des Teams sogar erhöht...

SZ: ... was Herr Kühne aber nicht so sieht, wie er öffentlich mitteilte...

Hoffmann: ...ohne im Geringsten Unabhängigkeit abzugeben. Auch nicht bei den sportlichen Entscheidungen.

SZ: Haben Sie den Eindruck, dass die HSV-Mitglieder das Modell nun nicht mehr als Teufelswerk sehen?

Hoffmann: Ich nehme die Kritik sehr ernst, ich nehme aber auch ernst, dass die HSV-Anhänger von uns erwarten, dass wir im sportlichen Wettbewerb mit dem FC Bayern, Werder Bremen oder dem VfL Wolfsburg bestehen.

SZ: Kann es sein, dass Sie wie Felix Magath auf Schalke die Leute nicht genügend mitgenommen haben? Es gibt nicht wenige Menschen, die sich am extremen Kommerz im Fußball stören.

Hoffmann: Wir müssen abwägen zwischen dem gewünschten Maß an Transparenz und dem Risiko, dass durch die vorzeitige Veröffentlichung von Vertragsdetails eine solche Vereinbarung gefährdet wird. Dieser Vertrag ist nach intensiver Abwägung gut für den HSV.

SZ: Bei der Vorstellung von Anstoß³ haben Sie 2008 gesagt, dieses Konzept könne dem HSV genau jene Spitzenspieler bringen, die er sich sonst nicht leisten könne. Sie haben nun Westermann, Kacar oder Drobny geholt, aber bei van der Vaart, der Real verlassen musste, waren Sie nur halb im Boot.

Hoffmann: Der Investoren-Vertrag gibt uns die Handlungsfähigkeit, die wir ohne ihn in diesem Jahr nicht gehabt hätten. Etwa für die Verpflichtung von Spielern wie Heiko Westermann als Ersatz für Jerôme Boateng. Und wir mussten nicht nachgeben bei Angeboten, zum Beispiel für Eljero Elia.

SZ: Der ehemalige Präsident Wolfgang Klein sagt, das Geld aus dem Vertrag sei nur ein Kredit.

Hoffmann: Herr Klein vergisst dabei, dass es keine Bank gibt, die nicht auf die Rückzahlung des Geldes bestehen würde. Das ist in diesem Fall keineswegs gewährleistet. Die wirtschaftliche Bewertung des Modells wird man erst abschließend treffen können, wenn die Spieler, an denen Herr Kühne verdienen könnte, den Verein verlassen haben.

SZ: Herr Kühne hat dem Magazin Der Spiegel gesagt, er könne sich vorstellen, noch mehr Geld zu geben. Würden Sie nach diesen Diskussionen noch Geld von ihm nehmen?

Hoffmann: Wir sind offen dafür, wieder eine Vereinbarung mit Herrn Kühne oder anderen Investoren einzugehen. Aber wir werden das auf Basis der Erfahrung mit diesem Vertrag bewerten.

SZ: Hätte Herr Kühne denn für eine Rückholaktion seines Lieblingsspielers Rafael van der Vaart etwas getan?

Hoffmann: Diese Frage stellte sich doch bis zum vergangenen Sonntag gar nicht, als van der Vaart auf Mallorca nicht im Kader von Real Madrid stand. Es ist unrealistisch zu glauben, ein Verein wie der HSV könnte einen Transfer mit einem Volumen von über 40 Millionen Euro mit Gehalt und Ablöse innerhalb eines Werktages abwickeln.

SZ: Unabhängig davon werden Sie sich wahnsinnig geärgert haben über Kühnes negative öffentliche Äußerungen zu den neuen HSV-Spielern.

Hoffmann: Es ist schade, dass er damit Gegnern einer solchen Vereinbarung Munition geliefert hat. Das waren Äußerungen eines Fans, die jedem Fan zustehen. In seiner Rolle als Investor ist da aber mehr Zurückhaltung geboten. Das sieht Herr Kühne mittlerweile auch so.

SZ: Neulich saßen Sie bei der "Hamburg Soiree" mit zwei Zurückgetreten in einer Diskussionsrunde: dem gerade ausgestiegenen Bürgermeister Ole von Beust und dem bisherigen Präsidenten des FC St. Pauli, Corny Littmann. Ist die Gefahr groß, dass Sie es bald auch so machen, also zurücktreten, weil es stets großen Gegenwind für Ihr Handeln gibt?

Hoffmann: Ich bin jemand, der mit seinem Optimismus ein halbgefülltes Glas immer als halbvoll betrachtet. Aber in öffentlichen Bereichen wie Politik und Fußball muss man sich ein dickes Fell zulegen und überzeugt davon sein, einen größeren Plan zu haben.

SZ: Viele Kritiker nennen den HSV schon Hoffmanns Sport-Verein, weil Sie angeblich zu viel Macht haben.

Hoffmann: Als Vorstandsvorsitzender muss ich dem Verein insgesamt eine Richtung geben. Der Kern des Ganzen ist der Sportbereich. Deswegen war immer mein Anspruch, dass wir den stärksten Sportdirektor haben, den es gibt, weil das nicht meine Kernkompetenz ist.

SZ: Jetzt haben Sie mit Bastian Reinhardt einen Anfänger, und viele Kritiker werfen Ihnen vor, gerade eben keinen starken Sportchef haben zu wollen.

Hoffmann: Bastian Reinhardt bringt alle Voraussetzungen mit und lernt den Job jetzt von der Pieke auf, genau wie einst Dietmar Beiersdorfer, wie Max Eberl in Gladbach, Christian Nerlinger beim FC Bayern, Horst Heldt oder jetzt Fredi Bobic in Stuttgart.

SZ: In Ihre Zeit als alleiniger Herrscher ohne Sportchef fallen Zugänge wie die zusammen 15 Millionen teuren Flops Marcus Berg und David Rozehnal.

Hoffmann: Wir haben Entscheidungen immer im Team getroffen. Aber es stimmt, Berg und Rozehnal haben die Erwartungen nicht erfüllt. Auch in den vorherigen Jahren gab es immer Treffer und Misserfolge bei den Einkäufen. Aber in der vergangenen Saison haben wir auch Ruud van Nistelrooy verpflichtet. Der hat sich nicht selber hier angemeldet.

SZ: Ihr Plan war, unter die zehn besten Klubs in Europa zu kommen. Wie stark hat die vergangene Saison den HSV zurückgeworfen?

Hoffmann: Der HSV befindet sich sportlich, wirtschaftlich und vom Image her hinter Bayern München im Wettbewerb mit einigen anderen um Platz zwei in Deutschland. Als ich 2003 kam, war unser sportliches Aushängeschild Hermann Rieger, der Masseur. Heute reden wir über ein Team mit Zé Roberto, van Nistelrooy, Elia, Petric und derzeit vier deutschen Nationalspielern. Europäisch sind wir Fünfzehnter, sportlich wie wirtschaftlich, wenn man die Umsatzzahlen nimmt. Die ersten zehn Klubs in Europa sind derzeit noch eine geschlossene Gesellschaft.

SZ: Wer wird denn jetzt der Philosoph, der Visionär, nachdem Urs Siegenthaler abgesprungen ist?

Hoffmann: Mit Bastian Reinhardt, den von Urs Siegenthaler empfohlenen neuen Leuten in den Bereichen Scouting und Nachwuchs und natürlich dem Trainer Armin Veh haben wir ein gutes Team.

SZ: Siegenthaler hatte ganz bestimmte Vorstellungen.

Hoffmann: Die Ideen dürfen nicht an einen Mann gebunden sein. Die Idee muss einmal verabschiedet werden, und dann muss sie durch den Verein leben. Dazu gehört auch die Anstellung eines Nachwuchsleiters, der schon in der E-Jugend versucht, diese Idee zu verwirklichen. Wir wollten mit Urs Siegenthaler den Abstand zum FC Bayern und im Nachwuchsbereich auch zu Stuttgart oder Leverkusen verringern.

SZ: Sind Sie nicht sauer auf Herrn Siegenthaler? Womöglich hat er nur mit dem HSV verhandelt, um für den Fall, dass Bundestrainer Joachim Löw aufgehört hätte, eine Alternative zu haben.

Hoffmann: Ich bin froh über eine ganze Reihe von Dingen, die Urs Siegenthaler angestoßen hat. Er hat eine Menge kritische Fragestellungen hinterlegt.

SZ: Sie haben im Frühjahr gesagt, Sie würden die Profis einer Art Charaktertest unterziehen. Es sollten nicht mehr so viele dabei sein, die den HSV nur als Karrieresprungbrett benutzen wollen. Sollte deshalb zuletzt auch Mladen Petric gehen?

Hoffmann: Nein. Wir versuchen, den Charakter der Mannschaft weiterzuentwickeln. Das ist allerdings ein fortwährender Prozess, und der beginnt mit der Entwicklung der eigenen Nachwuchsspieler. Dazu kommt, dass wir sehr solide Verpflichtungen gemacht haben, die sich auf Mentalität und Charakter des gesamten Teams auswirken werden. Und wir haben die Konkurrenzsituation auf einzelnen Positionen erhöht.

SZ: Was ja gerade bei Torhüter Frank Rost und zuletzt beim Stürmer Mladen Petric ein Thema war und eher Unfrieden gestiftet hat.

Hoffmann: Wir gehen davon aus, dass ein starker Kader überwiegend positive Effekte hat.

SZ: Was gibt der neue Trainer Armin Veh dem HSV?

Hoffmann: Aufgrund seiner zwanzigjährigen Trainererfahrung und seiner Persönlichkeitsstruktur bringt er eine klare Ansprache, enorme Souveränität, Gelassenheit und Humor ein. Er ist ein Teambuilder und hat eine Offenheit im Umgang, die allen Spaß macht.

SZ: Ist der aufgestiegene Hamburger Stadtrivale FC St. Pauli auch ein wirtschaftlicher Konkurrent?

Hoffmann: Der Aufstieg des FC St. Pauli ist ein Fakt, mit dem wir uns auch beim Verkauf von Logen oder Business Seats auseinandersetzen müssen. Ein HSV-Fan wechselt nicht die Farbe, aber Unternehmen denken darüber nach, ob sie ihren Kunden nicht auch mal ein anderes Angebot machen wollen. Auch die Sportseiten der Medien müssen wir jetzt teilen. Wir haben aber immer noch eine Auslastung bei den Logen von 92 Prozent in dieser Saison.

SZ: Wie gehen Sie das Derby an, nachdem kürzlich HSV-Hooligans Fans des FC St. Pauli überfallen haben? Auf die Einladung von Corny Littmann, am 4. September an der Demonstration "Laut gegen Nazis" auf der Reeperbahn teilzunehmen, haben Sie sehr zurückhaltend reagiert.

Hoffmann: Wir werden natürlich bei dieser Veranstaltung vertreten sein. Und wir werden auf allen Ebenen viel dafür tun, dass es ein friedliches Derby und ein Hamburger Fußball-Fest wird. Zum Beispiel wird es ein Public-Viewing in unserem Stadion geben. Wir werden nächste Woche auch ein Essen mit dem Präsidium St. Paulis haben, das hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben.

SZ: Können Sie sich vorstellen, dass das Stadion mal wieder Volksparkstadion heißt, nachdem es gerade den dritten Namen eines Sponsoren angenommen hat? Die Fans lehnen die Kommerz-Namen in großer Mehrheit ab.

Hoffmann: Das ist so, als ob Sie die TV-Zuschauer fragen, ob sie lieber ohne Werbung fernsehen wollen. Zur Finanzierung des Spielbetriebes in dieser wirtschaftlichen Konstellation ist das unabdingbar.

SZ: Es gibt die These, nach der eine Marke gerade dann stark wird, wenn man auf solche Mittel verzichtet. In Bremen heißt es noch immer Weserstadion, beim FC St. Pauli Millerntor-Stadion.

Hoffmann: Der HSV ist ohne Zweifel eine starke Marke, aber Sie müssen sehen: St. Pauli hat einen Personaletat von 15, wir einen von 45 Millionen Euro. Dazu leistet der Namensgeber des Stadions einen wünschenswerten Beitrag.

SZ: Kann das nicht mal ins Gegenteil umschlagen, so dass die Fans dieses Kommerzes überdrüssig werden?

Hoffmann: Dass wir einen Vertrag mit Herrn Kühne haben oder dass das Stadion heißt, wie es heißt, stört Teile der Mitgliedschaft. Die 57.000 Fans im Stadion aber ärgern sich mehr, wenn wir gegen Schalke 1:2 verlieren statt 2:1 zu gewinnen. Das ist eine Grundsatzfrage.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.995917
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04./05.09.2010/dop
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.