Interview: Felix Magath:"Es wird schwer, Ausreden zu finden"

Felix Magath über seinen Ruf als Diktator, seine Ziele auf Schalke und die steilen Treppen des Parkstadions.

Philipp Selldorf

SZ: Herr Magath, vom Trainingsplatz bis zum Hotel sind es zwar nur 50 Meter, trotzdem haben Sie eine knappe halbe Stunde benötigt - weil sich Hunderte Fans im Trainingslager Ihres neuen Vereins aufhalten und besonders Ihnen dort nachstellen. Wissen Sie nun, worauf Sie sich in Schalke eingelassen haben?

Interview: Felix Magath: "Blau und Weiß, wie lieb' ich dich": Trainer Felix Magath beherrscht inzwischen schon das Schalker Lied - auswendig.

"Blau und Weiß, wie lieb' ich dich": Trainer Felix Magath beherrscht inzwischen schon das Schalker Lied - auswendig.

(Foto: Foto: Getty)

Felix Magath: Ich war damals bei vollem Bewusstsein, als ich zusagte, und ich bin mir auch jetzt klar darüber, was ich getan habe. Diese Fangemeinde, die in ihren Emotionen nicht zu überbieten ist, wartet seit mehr als 50 Jahren auf die Meisterschaft. Das ist das Thema in Schalke. Ich habe die Herausforderung angenommen, einen großen Traditionsverein - vielleicht den größten, den es in Deutschland gibt - wieder nach oben zu führen. Es war natürlich auch für die Wolfsburger Fans sehr schön, deutscher Meister zu werden, aber ich glaube, dass die Bedeutung einer Meisterschaft für Schalke ein ganzes Stück größer ist - und dass ich damit noch mehr Fans Freude machen kann.

SZ: Sie streben in Schalke nach Unsterblichkeit?

Magath: Davon kann man sich nicht ganz lösen, dass so ein Aspekt mitspielt, aber dennoch ist das nicht meine Triebfeder. In meinem Alter kommen solche Anwandlungen, dass ich sage: Es geht mir gut - wo kann ich jetzt den Leuten etwas zurückgeben? Ich werde für meine Arbeit gut bezahlt, und wenn ich durch diese Arbeit vielen Leuten eine Freude machen kann, dann gibt es doch gar nichts Besseres auf der Welt. Die Aufgabe ist es jetzt, den Schalker Fans die Meisterschaft zu geben.

SZ: Schalkes Aufsichtsratschef Clemens Tönnies hat gesagt, er habe Sie "emotional aufgeladen", um Sie aus Wolfsburg nach Schalke zu locken. Wirkt dieser emotionale Antrieb noch?

Magath: Das ist heute nicht anders als vor einem halben Jahr. Vor kurzem war ich bei Schalkes Jahreshauptversammlung, da war ich wirklich sehr positiv überrascht über das Niveau der Beiträge der Mitglieder. Diese Leute sind mit vollem Herzen dabei und machen sich Sorgen um ihren Klub. Das hat mich in meiner Entscheidung bestätigt - ohne dass ich vorher daran gezweifelt hätte.

SZ: Bei der Mitgliederversammlung wurden Sie auch genötigt, das Vereinslied zu singen - so wie ein SPD-Delegierter beim Parteitag die Internationale schmettern muss.

Magath: Danach habe ich ja auch gesucht nach zwei Jahren in Wolfsburg. Der Traditionsklub Schalke bietet zum VfL als Tochtergesellschaft von VW den größten Kontrast, der innerhalb der Liga möglich ist. Dazu gehört dann auch, bei der Mitgliederversammlung das Vereinslied zu singen. Und ich finde, ich habe das gar nicht schlecht gemacht.

SZ: Sie haben es auswendig gelernt? "Blau und Weiß, wie lieb' ich dich"?

Magath: Musste ich ja.

SZ: Sie haben schon eine ganze Reihe von Vereinen trainiert. Schalke ist der erste Klub im Westen. Erfüllen Sie sich so Ihren Wunsch nach einem Auslandsjob?

Magath: Das Ruhrgebiet ist für mich Neuland, insofern könnte ich zu mir guten Gewissens sagen: Du hast alles gesehen und kannst demnächst abtreten. Nein, ich freue mich, dass ich jetzt im Ruhrpott arbeite, und ich bin neugierig, wie das Zusammenleben funktioniert.

"Der Eindruck von Schalke aus der Ferne war natürlich schlecht."

SZ: Zuletzt hat sich landesweit der Eindruck verfestigt, dass Schalke als Verein unkontrollierbar und seine Mannschaft schwer erziehbar ist. Wie war Ihr Eindruck aus der Ferne, und wie ist er jetzt aus der Nähe?

Magath: Der Eindruck aus der Ferne war natürlich schlecht. In der letzten Saison ging es hoch her in Schalke, mit Entlassungen, Freistellungen und all dem, was dort passiert ist. Aber dass die Spieler und die Mannschaft nicht richtig funktionieren, wenn der Rahmen nicht mehr stimmt, das ist für mich völlig klar. Wenn es so drunter und drüber geht, muss das kein Spieler verantworten, dann liegen die Gründe im Verein.

SZ: Haben Sie deswegen so viele Spuren des alten Systems - man muss sagen: beseitigt? Langjährige Mitarbeiter und alte Helden wie Mulder und Reck mussten gehen, auch der Publikumsliebling Büskens nahm gekränkt Abschied. Das wirkte wie ein gewaltiges Aufräumen.

Magath: Es hatte sich halt etwas aufgestaut, weil zum Ende der Saison keiner in Schalke Entscheidungen treffen wollte - und ich dazu nicht in der Lage war, weil ich noch voll in Wolfsburg engagiert war. Deswegen musste ich das zu Beginn meiner Tätigkeit hier tun. Mir war klar, dass nicht nur in der Mannschaft einiges verändert werden muss.

SZ: Dazu nun eine harte Kritik aus dem Fachblatt kicker, wenngleich von der Leserbriefseite: "Auf so schäbige Art verdiente Schalker abzuservieren spricht Bände", schreibt ein Leser aus Kürnach und setzt fort: "Wie alle Diktatoren sammelt Magath Günstlinge um sich, die nach seiner Pfeife tanzen und von seiner Huld abhängig sind." Das ist drastisch kommentiert, gibt aber einen herrschenden Eindruck wieder.

Magath: Aber wenn in der Gesellschaft Verantwortung übertragen wird und etwas verändert werden soll, braucht man Mitstreiter und die Macht, etwas durchzusetzen. In einem Verein wie Schalke, der seit hundert Jahren existiert und uralte Strukturen hat, schafft man das allein nicht. Es ist wie mit dem Steuerrecht: Seit 30 Jahren höre ich mir an, dass das System ungerecht, zu kompliziert und verkehrt ist - aber es passiert nichts. Null. Genauso wäre es in Schalke auch gewesen, wenn man alles belassen hätte - obwohl man eigentlich nicht zufrieden ist. Und was mich betrifft: Ich hatte ja nicht die Not, irgendwo unterzukommen, als mich Schalke angesprochen hat. Ich hätte in meinem schönen Wolfsburg bleiben und mit VW im Hintergrund auch dieses Jahr wieder Millionen ausgeben können. Und meinen eigenen Hofstaat hätte ich auch gehabt. Ich hätte bloß sitzen bleiben müssen, das wäre ein schönes, bequemes Leben gewesen ...

SZ: ... das Sie aber nicht mehr haben wollten ...

Magath: ... ob ich dann noch mal Erfolg gehabt hätte, weiß ich allerdings nicht. Aber ich weiß, dass ich für den Erfolg Menschen um mich herum brauche, die mich kennen und verstehen, und die nicht jede Entscheidung hinterfragen oder kritisieren oder gar hintertreiben.

SZ: Mit der Hilfe ihres bewährten Teams - von den Co-Trainern Hollerbach und Eichkorn bis zum Konditionscoach Leuthard - kämpfen Sie nun um Sein oder Nicht-Sein. "Entweder ich schaff' Schalke oder Schalke schafft mich" - dieses alte Zitat von Rudi Assauer trifft auch auf Ihre Mission zu, oder?

Magath: Das trifft vollkommen zu. Mein Ziel ist die Meisterschaft mit Schalke, und mir ist klar, dass ich meine Arbeit nicht gut gemacht habe, wenn ich dieses Ziel in den nächsten vier Jahren nicht erreiche. Falls es so kommt: Dann hat mich Schalke geschafft.

SZ: Schalke hat sich aus finanziellen Gründen in diesem Sommer nur eine große Investition leisten können - nämlich in Sie und Ihren Stab. Reicht das? Können Sie als Trainer so viel bewegen?

Magath: Klar. Sonst würde ich es nicht machen. Dass wir nicht viel Geld ausgeben könnten, wusste ich. Das ist Teil der Herausforderung. Aus meiner Sicht war es immer eine der größten Leistungen von Uli Hoeneß und dem FC Bayern, dass sie den sportlichen mit dem wirtschaftlichen Erfolg verbunden haben. Leider gibt es zu viele Vereine, die sich den Erfolg mit Schulden erschleichen und erkaufen - das stört mich. Man muss den Sport mit den Finanzen in Relation setzen, um eine Leistung zu beurteilen.

"Die Münchner wissen, dass ich manchmal stur bin"

SZ: In Wolfsburg mussten Sie keine Schulden machen - konnten aber trotzdem viel Geld ausgeben.

Magath: Sehen Sie! Dieses Denken ist ja aus den Köpfen gar nicht mehr rauszukriegen: Dass dem Erfolg in gewisser Weise ein kleiner Makel anhaftet, weil ich Geld in Hülle und Fülle ausgeben und kaufen konnte, was und wen ich wollte.

SZ: Sie polemisieren. Aber wahr ist: Das Geld, das Sie ausgegeben haben, hätte der VfL mit dem Verkauf von Dzeko wieder reinholen können.

Magath: Und er wäre immer noch Meister - und hätte noch ein paar andere, die er verkaufen kann.

SZ: Als Trainer sieht Sie das Publikum auf einer Höhe wie nie zuvor. Empfinden Sie das auch so?

Magath: Ich bin zumindest akzeptierter, komischerweise. Dabei habe ich - bis auf die Station in Bremen - alle meine Vereine vorwärtsgebracht. Und meine größte Leistung als Trainer, das empfinde ich nach wie vor, besteht darin, dass ich damals Eintracht Frankfurt unter chaotischen Bedingungen in der Liga gehalten habe. So etwas würde ich heute gar nicht mehr machen - damals musste ich es, weil ich keine anderen Möglichkeiten bekam.

SZ: In Schalke fällt Ihr alter Ruf auf Sie zurück: Die Fans heißen Sie als Trainer willkommen, der die Spieler leiden lässt. Das ist die Strafe, die sie sich als Rache für viele Enttäuschungen wünschen. Tun Sie den Leuten den Gefallen?

Magath: Das ist leider wieder so ein Punkt, wo die Realitäten verschoben werden. Ich habe immer so gearbeitet, egal wie die Ziele aussahen und ob die Mannschaft im Jahr zuvor gut oder schlecht war. Die Grundlage meiner Tätigkeit war immer schon der Glaube, dass sich durch Arbeit viel erreichen lässt. Genau deshalb bin ich ja auch überzeugt, dass ich nach Schalke passe. Weil die Fans sich danach gesehnt haben, dass einer kommt und arbeitet.

SZ: Hier wollten die Fans sogar mit der Schaufel anrücken, um am Vereinsgelände einen Trainingshügel - einen zweiten Mount Magath - aufzuschütten.

Magath: Das ist nicht nötig. Ich komme zurecht mit dem, was die Überreste des Parkstadions bieten. Seine wunderbaren Treppen zum Beispiel. Vielleicht auch die Kohlenhalden in der Nachbarschaft, mal sehen.

SZ: In Ihrem Kader scheint der Ruf Ihrer Autorität vorauseilend zu wirken. Gerald Asamoah etwa ist um einige Kilo schmaler als in der Vorsaison.

Magath: Selbstverständlich hilft der Titelgewinn mir bei meiner Arbeit, denn vorher wurde dieselbe Arbeit noch kritisiert. Meine Position ist stark, es wird schwer für die Spieler, Ausreden zu finden. Was Gerald Asamoah angeht: Über sein früheres Gewicht weiß ich nichts, ich weiß nur, dass er nach den ersten Trainingstagen Probleme hatte und dann einen richtigen Schub bekommen hat. Momentan macht er den Eindruck, dass er seinen Platz in der Anfangsformation finden wird. Er sucht seine Chance, das kann man nicht von allen Spielern sagen.

SZ: Wann haben Sie das letzte Mal von den Chefs Ihres alten Arbeitgebers Bayern München gehört?

Magath: Das ist lange her. Seit der Begegnung in Wolfsburg (am 4. April, Anm. d. Red.) habe ich mit niemandem aus der Münchner Schaltzentrale gesprochen.

SZ: Aber wenn die Bayern noch mal versuchen sollten, die Freigabe für Schalkes Torwart Manuel Neuer zu erreichen, dann müssten sie sich an den Manager Magath wenden, richtig?

Magath: Richtig. Aber es hat sich niemand gemeldet.

SZ: Ihr Nein hat Bestand?

Magath: Ich glaube, das wissen die Münchner. Sie wissen, dass ich manchmal stur bin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: