Süddeutsche Zeitung

Interview:"Es war an der Zeit, dass sich mal was ändert"

Langstrecklerin Alina Reh über die ausgefallene Leichtathletik-EM von Paris und die Neuerungen, die sie während der Corona-Pause in ihr Training eingebaut hat.

Interview von Saskia Aleythe

Im Grunde würden jetzt die Leichtathletik-Europameisterschaften in Paris anstehen, doch statt um Medaillen zu kämpfen, heißt es für Alina Reh: Urlaub und Grundausbildung bei der Bundeswehr. Reh war 2018 EM-Vierte über 10 000 Meter, ihre Bestzeit liegt bei 31:19,87 Minuten. Die 23-Jährige vom SSV Ulm ist heimatverbunden, hilft bei ihrer Mutter im Supermarkt in Laichingen aus - und hat sich in diesem Jahr an einige Veränderungen gewagt. Im Interview verrät sie, warum die Olympia-Absage ihr ganz gelegen kam.

SZ: Frau Reh, in diesen Tagen hätten die Europameisterschaften in Paris stattgefunden. Denken Sie noch an solche Termine, stehen die noch im Kalender?

Alina Reh: Ja, klar denkt man daran, bei welchem Wettbewerb man jetzt gerade wäre. Ich befinde mich gerade in der Saisonpause, normalerweise hätte jetzt Paris auf dem Plan gestanden. Da guckt man ein bisschen mit einem weinenden Auge hin. Das wäre der zweite Höhepunkt in diesem Jahr nach Olympia gewesen.

2018 wurden Sie in Berlin EM-Vierte über 10 000 Meter, die für Schweden startende Meraf Bahta, die Bronze gewann, hatte in der Vorbereitung auf die EM drei Dopingkontrollen verpasst. 2019 wurde sie dafür rückwirkend für ein Jahr gesperrt, konnte Bronze aber behalten. Fühlen Sie sich um die Medaille betrogen?

Ich war mit Platz vier damals mehr als zufrieden. Ich kann daran nichts ändern, wie das mit der Sperre und der Medaille entschieden wurde. So richtig aufgerieben habe ich mich an der Thematik nie, das hat mich nie belastet. Eine Medaille wäre schön gewesen, aber die hätte ich dann auch gerne im Stadion bekommen und die Stadionrunde in Berlin gedreht bei der Heim-EM. Und nicht Monate später in einem kleineren Rahmen. Da hätte das Feeling total gefehlt. Ich hadere nicht damit.

Vor wenigen Wochen fanden als improvisierter Saisonhöhepunkt die deutschen Meisterschaften statt - wie wichtig war es für Sie, da wieder ein richtiges Renen laufen zu können?

Richtig wichtig, es war für die Motivation nochmal ein Booster. Ich fand es echt cool, dass der deutsche Leichtathletik-Verband und die Stadt Braunschweig das auf die Beine gestellt haben, mit einem riesigen Hygiene-Konzept. Da hätten andere Sportverbände gesagt: Das machen wir nicht.

Sie haben in diesem Jahr einiges umgestellt im Training: André Höhne, der Männer-Bundestrainer für die Langstrecke, leitet Sie nun von Berlin aus an. Wie funktioniert das über die Distanz?

Das geht hauptsächlich über ein Online-System, das extra für uns Läufer entwickelt wurde. Da steht der Trainingsplan drin, und ich kann alles bis ins Detail dokumentieren: wie schnell ich war, wie meine Herzfrequenz war, wie ich mich gefühlt habe. Und dann tauscht man sich natürlich per Telefon oder Sprachnachrichten aus. Aber ich war zuletzt auch viel in Berlin und auch insgesamt acht Wochen im Trainingslager in Kienbaum.

Und dort sind Sie 180 Kilometer pro Woche gelaufen?

In der Spitze schon. Ich trainiere zu Hause aber nicht unbedingt weniger. Ruhetage gibt es nicht, ich trainiere komplett durch. Von Sprints bis zu 25-Kilometer-Dauerläufen, je nach Jahresplanung. Die ganz langen Läufe mache ich einmal pro Woche, in der Wettkampfvorbereitung fallen sie aber weg, weil sie mich sonst zu sehr ermüden.

Sie haben auch etwas Neues in Ihren Trainingsplan integriert: Krafttraining. Merken Sie schon, wie sich das aufs Laufen auswirkt?

Dadurch, dass ich noch nie Krafttraining vorher gemacht habe, war für mich alles neu. Ich musste erstmal die Bewegungsabläufe lernen, das war nicht ganz einfach mit der Fernbetreuung im Corona-Lockdown. Aber ich bin stabiler geworden, was den Laufschritt angeht, und dieses Jahr verletzungsfrei durchgekommen.

Trotzdem brachte das Training auch neue Herausforderungen mit sich.

Ja, das Verhältnis zwischen Belastung und Entlastung stimmt noch nicht ganz so. Man muss aufpassen, dass man es mit dem Krafttraining nicht übertreibt und die Einheiten zu den anderen Einheiten passen. Dass man nicht zu müde in den Wettkampf reingeht. Da müssen wir noch ein bisschen rumtüfteln. Wir haben in diesem Jahr viele Erfahrungen gesammelt. Im Wettkampf hat es noch nicht so geklappt wie gewünscht, deswegen ist es für mich gar nicht so schlecht, dass Olympia dieses Jahr nicht stattgefunden hat.

Wie haben Sie das Krafttraining in der Corona-Zeit organisiert?

Ich wohne noch bei meinen Eltern, ich habe einen Kellerraum, in dem wir früher gespielt haben, inzwischen umfunktioniert. Da sind jetzt ein paar Hantelstangen und Gewichte neben den alten Playmobilfiguren und Puppenwagen.

Und macht das Training dort nun genauso viel Spaß wie das Spielen früher?

Laufen macht deutlich mehr Spaß, aber ich mache es nicht ungern. Ich mag neue Herausforderungen, fuchse mich da rein.

Viele Hobbyläufer spüren ab und an ein Motivationsloch, obwohl sie gerne laufen. Haben Sie immer Lust aufs Training?

Nicht immer.

Beruhigend.

Ich habe aber immer Lust auf Bewegung. Ich fahre gerne Fahrrad oder gehe gerne wandern. Manchmal muss ich mich damit auch eher bremsen, wenn vorher ein Training war und dann Regeneration ansteht. Dafür hat man sich halt dem Leistungssport verschrieben.

Wegen des Corona-Lockdowns mussten viele Straßenläufe abgesagt werden. Welche Auswirkungen wird das auf die Laufszene haben?

Einige Straßenläufe werden die Corona-Zeit leider nicht überleben. Die großen sicherlich schon, aber die kleinen werden es nicht mehr stemmen können. Es wird nicht einfach für die Laufbewegung, da fällt auch eine gute Möglichkeit weg, für den Sport zu werben. Ich selber kam ja auch über Bambini- und Schüler-Läufe zur Leichtathletik, habe mit fünf Jahren schon Läufe absolviert. Wenn die wegfallen, gibt es in Zukunft vielleicht noch weniger Nachwuchs.

Sie beginnen im September mit der Grundausbildung bei der Bundeswehr in Hannover. Ist das eine Entscheidung, die mit Corona zu tun hat?

Jein. Ich habe schon lange damit geliebäugelt, in diesem Jahr habe ich mir gedacht: Wenn nicht jetzt, wann dann? Das war ein Übergangsjahr, und wir haben die Situation bestmöglich genutzt. Das passt eigentlich ganz gut. Man weiß nicht, welche Firmen einen nach der Corona-Zeit noch unterstützen können, deswegen ist es auch ein gutes finanzielles Backup.

Vor welchen Herausforderungen bei der Bundeswehr haben Sie den meisten Respekt?

Ich glaube, es wird sehr abenteuerlich. Ich habe vor dem Ton Respekt, der da angeschlagen wird. Aber es sind ja alles Sportler, und es ist eine gute Gelegenheit, sich kennenzulernen. Ich blicke positiv darauf.

Klingt ganz so, als wäre das der passende Schritt in einem aufregenden Jahr.

Auf jeden Fall. Ich war für meine Verhältnisse viel unterwegs, obwohl Corona war, das war ungewohnt für mich. Aber ich glaube, ich bin menschlich gewachsen in den letzten Monaten; es war auch an der Zeit, dass sich mal etwas ändert. Deswegen glaube ich, dass es trotzdem bisher ein gutes Jahr für mich war, auch wenn ich leistungsmäßig gerne woanders stünde. Der Trainerwechsel hatte seine Auswirkungen, und die Zusammensetzung der Einheiten war noch nicht so optimal, aber daraus haben wir jetzt unsere Lehren gezogen. Dann kann es nächstes Jahr flutschen. Hoffentlich bei Olympia.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2020
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