Süddeutsche Zeitung

Stefan Kießling:"Theater wie bei Aubameyang oder Dembélé geht gar nicht"

144 Tore bei zwei Vereinen: Mit Stefan Kießling verabschiedet sich einer der loyalsten Profis aus der Bundesliga. Ein Gespräch über Wehmut, Schmerzen beim Bücken und Treue in Zeiten von Millionensummen im Fußball.

Interview von Jonas Beckenkamp

SZ: Herr Kießling, stellen wir uns vor, wie es am Samstag laufen könnte: Ihr Abschiedsspiel gegen Hannover, Sie werden eingewechselt, die Fans jubeln ein letztes Mal, Sie packen noch die Champions-League-Qualifikation, der Abpfiff. Das war's. Und dann?

Stefan Kießling: Es wird natürlich sehr emotional. Ich hatte eine schöne, lange Karriere, in der eine enorme Verbundenheit zu meinem Verein und den Fans entstanden ist. Ich rechne mal mit einer Abschiedsrunde der Mannschaft und dann noch mal einer Extrarunde von mir, wenn ich noch Luft habe. Meine Kinder kommen auch mit auf den Platz - ich lasse mich überraschen.

Sind Sie aufgeregt?

Es geht noch. In den letzten Tagen war einiges los: viele Termine, auch beim Training hat sich vieles auf mich konzentriert, da konnte ich gar nicht so recht über das Spiel nachdenken. Aber klar fiebere ich darauf hin und frage mich: Wie läuft das, wenn's zu Ende geht? Hinzukommt, dass wir gewinnen müssen, um die Champions-League-Quali zu schaffen. Gleichzeitig freue ich mich auf die Zeit nach dem aktiven Fußball.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

16 Jahre Profifußball, 144 Bundesligatore, WM-Dritter - wenn man es so betrachtet, eine ziemlich gute Karriere. Welches Gefühl bleibt?

Ein sehr positives. Obwohl ich - abgesehen vom Aufstieg mit dem 1. FC Nürnberg 2004 und der Torjägerkanone 2013 - keine Titel in meiner Liste habe. Andererseits bin ich in Leverkusen zehn Jahre lang bei einem Topklub in Europa Stammspieler gewesen. Ich finde schon, dass das eine großartige Leistung ist und darauf bin ich wahnsinnig stolz.

Der Fußball hat Ihnen leider auch eine lädierte Hüfte beschert, Schmerzen beim Schuhebinden inklusive. Wie sehr hadern Sie mit dem Verschleiß, jetzt wo noch das halbe Leben vor Ihnen liegt?

Ich bin keiner, der darüber lange grübelt. Meine Familie versucht, auf mich zu achten, wenn's darum geht, Kisten zu schleppen. Dann heißt es: "Nee, bleib du sitzen, ich mach das!" Ich kann das aber durchaus noch, so ist es nicht (lacht). Das mit der Hüfte ist besser geworden - nicht unbedingt in puncto Beweglichkeit, sondern eher die Schmerzen. Natürlich habe ich an der Hüfte eine Einschränkung, die bleibt mir erst mal - und das Bücken fällt mir schwer. Ich weiß aber auch, dass durch die wegfallende Belastung des Profisports der Alltag einfacher wird. Ich werde mir jetzt keine künstliche Hüfte verpassen lassen. In zehn Jahren vielleicht.

Verspüren Sie Wehmut?

Letztlich höre ich auf, weil ich es selbst so will. Es war eine aufregende Zeit, aber natürlich spielt die Gesundheit eine Rolle bei der Entscheidung. Wenn du so viele Jahre bei einem Klub warst, ist natürlich auch Abschiedsschmerz dabei, also ja: Es fällt mir gar nicht so leicht.

Andere würden in dem Alter - Sie sind ja erst 34 - noch mal in die Wüste wechseln und ein bisschen das Konto aufstocken. Kießling und Katar - hätte doch was.

Ich bin nicht der Typ, der sich mit so was Geld reinholt für weitere zwei Jahre. Mir geht's gut, der Familie geht's gut, wir haben alles, was wir brauchen und deshalb hab ich mich entschlossen, das Kapitel Profifußball zu beenden. Es geht ja auch darum, mal was anderes zu machen.

Sie haben nur einmal den Verein gewechselt. Warum?

Das ist leicht zu beantworten: Ich war ein prägender Fußballer bei Bayer Leverkusen und habe immer gespielt, warum hätte ich gehen sollen? Ich war glücklich, das Rheinland ist schön, mir ist eine gewisse Sicherheit wichtig und die hatte ich hier. Dadurch ergab sich das mit der Vereinstreue und der Identifikation mit dem Standort von selbst.

So was ist heutzutage eine Seltenheit. Jonas Hector fällt einem als besonders treue Seele ein - gleichzeitig erzwingen immer mehr Fußballer wie Aubameyang oder Dembélé ihre Wechsel mit riesigem Theater.

Diese Sperenzchen kann ich nicht verstehen. Ich find's okay, wenn ein Spieler mal was anderes ausprobieren will, wenn er Lust auf eine Erfahrung im Ausland hat. Das ist keinem vorzuwerfen. Es kommt aber auf die Art und Weise an, wie sowas über die Bühne geht. Bei den genannten Beispielen finde ich: Das geht gar nicht, so kann man sich nicht verhalten. Bei Jonas Hector ist es eben anders. Er hat seine Präferenzen und sagt: Der 1. FC Köln ist mein Verein, hier bin ich Nationalspieler geworden, ich geh mit diesem Klub in die zweite Liga und versuche, wieder aufzusteigen. Das gefällt mir.

Ihren eigenen Aufstieg in der Nationalelf bremste nach nur sechs Länderspielen der Bundestrainer, weil er fand, Sie würden nicht in sein System passen. Hat die Zeit den sogenannten "Stoßstürmer" Stefan Kießling überholt?

Ich weiß, es gab das große Thema, dass der Stoßstürmer ausstirbt. Dass die "falsche Neun" die Zukunft ist. Ich bin aber der Meinung, dass es immer einen großen Angreifer vorne drin braucht. Außerdem stehe ich mit meinem Spiel auch für die Arbeit nach hinten, daran habe ich viel gearbeitet. Genauso wie übrigens am Abschluss, an der Ballannahme und der Ballverarbeitung. So schlecht kann ich das alles ja nicht gemacht haben, sonst hätte ich ja nicht immer gespielt!

Sie gelten als integrer Typ, als Spieler mit Haltung. Dann kam die Sache mit dem Phantomtor in Hoffenheim und plötzlich wünschte Ihnen ein CDU-Lokalpolitiker gebrochene Beine - wie erging es Ihnen damals?

Eine sehr schwierige Zeit für mich persönlich, aber auch für meine Familie. Wir haben viele Drohungen bekommen, hatten Polizeischutz. Das sind Dinge, die kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann definitiv nichts dafür, dass da ein Loch im Netz war (Kießlings Kopfball ging am Tor vorbei, der Ball flog aber durch einen Riss ins Gehäuse; Anm. d. Red.). Ich hätte mir gewünscht, dass wir auf dem Feld länger gewartet hätten, bis der Schiedsrichter den Treffer gibt. Es wusste ja keiner Bescheid, wie der Ball plötzlich im Tor gelandet war - ich habe das auch so kommuniziert, das bestätigte hinterher sogar eine Lippenleserin! Ich war dann trotzdem der Buhmann. Dieser Politiker - verzeihen Sie - der hat nichts in der Birne, wenn er so reagiert. Auch Ralf Rangnick ist mich ja hart angegangen. Daran hatte ich schon eine Zeitlang zu knabbern.

Dafür läuft Ihre Zukunftsplanung gut. Sie haben einen Abschluss in Sportmanagement gemacht und dürften sanfter landen als viele Fußballer, die nicht so recht wissen, was sie nach dem Profitum tun sollen.

Ich versuche, die neuen Dinge genauso zu machen, wie ich es bisher auf dem Platz tat. Da findet sich bestimmt der richtige Weg und eine passende Aufgabe. Ich möchte im Verein bleiben, das ist klar. Es gibt noch ein paar Gespräche, um das zu konkretisieren: Ich werde reinschnuppern - irgendwas in der Nähe der Mannschaft, wo ich vielleicht Rudi Völler und Jonas Boldt (Sportdirektor und Manager; Anm. d. Red.) helfen kann, fände ich spannend. Wer ganz abrupt als Profi aufhört, hat es schwerer. Und wenn du nach dem Ende als Aktiver lange aus dem Business raus bist, ist's hart, wieder reinzukommen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3973816
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/jbe/ebc/dd
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.