Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen:"Das muss harte Konsequenzen haben"

Darf Russland bei Olympia starten? Darüber entscheidet heute das IOC. Die Chefin der deutschen Anti-Doping-Agentur fordert im Interview am Morgen "ein deutliches Zeichen".

Von Johannes Aumüller

Darf Russland an den Olympischen Spielen in Pyeongchang teilnehmen oder nicht? Über diese Frage entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) an diesem Dienstag. Grundlage dafür ist der Bericht einer Kommission unter Leitung des Schweizer Ex-Politikers Samuel Schmid. Diese war eingesetzt worden, nachdem der kanadische Anwalt Richard McLaren im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) 2016 einen umfangreichen Bericht vorgelegt hatte über das Doping- und Manipulationssystem in Russland, von dem in den vergangenen Jahren mehr als 1000 Athleten profitiert haben sollen. Ein Gespräch mit Andrea Gotzmann, der Chefin der deutschen Anti-Doping-Agentur, über diese Entscheidung.

SZ: Frau Gotzmann, am Dienstag entscheidet das IOC über die Folgen für Russland in der Doping-Affäre. Was erhoffen Sie, und was erwarten Sie?

Wir haben, wie viele Anti-Doping-Agenturen anderer Länder, den Ausschluss für die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang gefordert, und das ist weiterhin unsere Haltung. Wir sehen das aufgrund des vorliegenden Wissens als gerechtfertigt an. Die Tatsachen, die der Sonderermittler Richard McLaren in seinem Report dargelegt hat und die von Kronzeugen gestützt werden ...

... er dokumentierte ein staatlich orchestriertes Doping- und Vertuschungssystem, an dem unter Anleitung des Sportministeriums auch der Geheimdienst, die russische Anti-Doping-Agentur und das Moskauer Kontrolllabor beteiligt waren ...

... diese Tatsachen bestätigen sich ja mehr und mehr. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hat nun zudem noch Informationen aus dem Dokumentationssystem des russischen Labors in Moskau, eine Datenbank mit Informationen zu allen analysierten Proben. Dazu kommen verschiedene Einzelentscheidungen für lebenslange Sperren für Olympische Spiele. Hier wird klar, dass das Regelwerk und die Chancen der ehrlichen Athleten über Jahre hinweg mit Füßen getreten worden sind. Das muss harte Konsequenzen haben. Wir erwarten vom IOC Klarheit.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Jetzt gibt es Doping im Sport in vielen Ländern, auch in Deutschland. Was ist das Außergewöhnliche am russischen Fall?

Das Außergewöhnliche ist die Systematik, mit der es betrieben wurde und wie durch Missachtung aller Regeln alles dafür getan wurde, dass russische Athleten mehr Medaillen gewinnen konnten. Ich würde aber gerne noch einen anderen Aspekt anführen.

Welchen?

Mich macht sehr betroffen, dass die Offiziellen, die die Verantwortung im russischen Sport tragen, ihre Athleten selbst so schändlich im Stich gelassen haben. Sie nehmen ja in Kauf, dass schwerste gesundheitliche Schäden auftreten. Im deutschen Sportsystem haben wir das durch die Aufklärungsarbeit des Dopingopfer-Hilfevereins gesehen, wie schädlich Doping ist. Im russischen Fall ist das bisher noch nicht thematisiert worden. Da wurde die Verantwortung, die wir alle für Sportlerinnen und Sportler haben, nicht übernommen.

Russland hat unglaublichen Einfluss im organisierten Sport. In vielen Fachverbänden zeigt sich das, auch im IOC hat nur die Schweiz mehr Mitglieder als Russland. Ist das nicht ein klarer Interessenkonflikt, wenn das IOC diese Entscheidung trifft?

Wir fordern seitens der Vereinigung der nationalen Anti-Doping-Organisationen seit langer Zeit, dass diese Interessenkonflikte im Sport aufgelöst werden, sei es innerhalb der Wada, sei es beim IOC.

Das heißt, aus Ihrer Sicht darf das IOC eine solche Entscheidung gar nicht treffen, sondern müsste es eine neutralere Instanz tun, etwa eine reformierte Wada?

Das IOC muss diese Entscheidung treffen, weil es der Ausrichter der Olympischen Spiele ist. Aber es muss regelgerechte und konsequente Entscheidungen treffen, die nicht einzelne Leute in den Fachverbänden beeinflussen können. Dafür haben wir ein Regelwerk. Und das war ja auch das, was wir vor den Spielen in Rio moniert haben, als das IOC die Entscheidung und die Verantwortung über das Startrecht für russische Athleten an die Fachverbände abschob.

Was steht aus Sicht des internationalen Anti-Doping-Kampfes mit der Entscheidung am Dienstag auf dem Spiel?

Es geht um das Regelwerk, das für alle gilt, also den Welt-Anti-Doping-Code. Es ist ganz wichtig, ein deutliches Zeichen zu setzen für die Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in die Anti-Doping-Arbeit hat massiv gelitten. Das merken wir auch jeden Tag, wenn wir mit Athleten sprechen. Es gibt inzwischen 111 positive Nachmessungen der Spiele 2012. 61 Medaillen von Peking und London sind aberkannt worden. Das heißt, 61 Mal sind Athleten um ihren Lohn gebracht worden, und das ist etwas, was mich zutiefst beunruhigt und traurig macht, dass Chancen hier so manipuliert wurden.

Könnten Sie mit der Lösung leben, dass Russland, also das dortige Nationale Olympische Komitee, ausgeschlossen wird, und es in Pyeongchang entsprechend keine russischen Flaggen und keine russische Hymne gibt. Aber dass die russischen Athleten unter neutraler Flagge starten dürften?

Wir müssen die Entscheidung am Dienstag abwarten, und auch, wie das Ganze begründet wird. Aber es muss ein deutliches Zeichen sein. Nach wie vor steht fest, dass Russland derzeit kein funktionierendes Anti-Doping-System hat. Gern unterstützen wir die Bemühungen, dass Russland wieder compliant wird. Aber das Ziel ist noch längst nicht erreicht.

Also falls das IOC Russland am Dienstag nicht von den Winterspielen in Pyeongchang ausschließt, dann ...

... bin ich zutiefst enttäuscht und sprachlos.

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