Europa League:Wechsel auf Inters Logenplätzen

Europa League - Semi Final - Inter Milan v Shakhtar Donetsk

Ist womöglich bereit, Inter wieder zu verkaufen: Steven Zhang.

(Foto: Lars Baron/Reuters)

Mit dem Kapital der chinesischen Zhang-Familie strebt Inter Mailand wieder eine Hauptrolle im Fußball an. Nun steht der Klub im Finale der Europa League, hat aber viel mehr vor.

Von Thomas Hürner

Natürlich wird er am Ort sein, so gebietet es die Etikette. In einem leeren Kölner Stadion zwar und nicht unbedingt zum gloriosesten aller Anlässe, weil man bei der altehrwürdigen Internazionale eigentlich wieder größer denkt. Aber auch ein Europa-League-Finale ist ein Finale, und der Chinese Steven Zhang nun einmal der oberste Repräsentant des italienischen Traditionsklubs, der an diesem Freitag gegen den FC Sevilla den kleineren der beiden europäischen Pokalwettbewerbe ausficht.

Es ist so etwas wie die Vollendung einer Zeitenwende. Auf den italienischen Logenplätzen saßen einst die einflussreichsten Männer des Landes, Großindustrielle, Ölmagnaten oder der Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Jetzt also der Fußballnovize Steven Zhang, 29 Jahre alt, seit Oktober 2018 Präsident von Inter. Der Klub galt einst als kostbares Erbstück, jahrzehntelang lag er unter der liebevollen Obhut der Morattis, einer angesehenen, schwerreichen Familie aus dem Norden. Viel Geld, noch mehr Liebe, den "Nerazzurri" sollte es an nichts fehlen. Schon gar nicht an Erfolg.

Die vergangenen Europa-League-Finals

2010 Atlético Madrid - FC Fulham n.V. 2:1

2011 FC Porto - Sporting Braga 1:0

2012 Atlético Madrid - Athletic Bilbao 3:0

2013 FC Chelsea - Benfica Lissabon 2:1

2014 FC Sevilla - Benfica Lissabon i.E. 4:2 (0:0)

2015 FC Sevilla - D. Dnjepropetrowsk 3:2

2016 FC Sevilla - FC Liverpool 3:1

2017 Manchester Utd. - Ajax Amsterdam 2:0

2018 Atlético Madrid - Olympique Marseille 3:0

2019 FC Chelsea - FC Arsenal 4:1

Doch nach dem Gewinn von Meisterschaft, Pokal und Champions League 2010, dem Triple, dem größten Triumph in der Geschichte Inters, begann der Verfall. Andere waren plötzlich reicher, innovativer, moderner, weshalb Massimo Moratti sein Inter schweren Herzens weitergab. Über Umwege landete der Klub schließlich bei der Familie Zhang, genauer: beim chinesischen Einzelhandelsriesen Suning, einem Unternehmen mit einem Umsatz von 32 Milliarden Euro im Jahr 2019 und der Ambition, diesen in Europa weiter zu steigern.

Suning-Boss Zhang Jindong, der Vater von Inter-Präsident Steven, ist einer der 15 reichsten Menschen Chinas, Delegierter im Nationalen Volkskongress und ein Vertrauter Xi Jinpings. Im März 2019 reiste Jindong mit dem chinesischen Staatschef nach Rom zu Verhandlungen mit der italienischen Politik über die neue Seidenstraße. Suning ist wichtig für die chinesischen Expansionspläne in Europa; und wie erreicht man möglichst viele Europäer effektiver als über den Fußball?

Zhang ist Vorstandsmitglied der Europäischen Klubvereinigung - wie auch Watzke und Agnelli

Der Filius Steven Zhang galt als Überflieger im chinesischen Bildungssystem, mit 15 Jahren wurde er von seinem Vater auf eine Lehrreise durch die westliche Welt geschickt. Steven Zhang ging zunächst an die Mercersburg Academy, eines der führenden Internate in den USA. Nach seinem Abschluss hätte er auch ans Massachusetts Institute of Technology (MIT) gehen können, entschied sich aber für ein Studium an der Wharton School of Pennsylvania. Das Bildungsinstitut übrigens, welches die meisten Milliardäre in den USA hervorgebracht haben soll. Später arbeitete Zhang unter anderem als Kapitalmarktanalyst bei Morgan Stanley. Eine Bilderbuchkarriere, in der Fußball nie vorgesehen war.

Bis Suning 2016 die Mehrheitsanteile an Inter Mailand erwarb. Inzwischen zählt das US-Magazin Fortune Steven Zhang zu den 40 einflussreichsten Chinesen unter 40 Jahren, er ist auch Vorstandsmitglied der mächtigen Europäischen Klubvereinigung (ECA), gemeinsam mit Fußballgranden wie Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke oder Andrea Agnelli, dem Präsidenten von Juventus Turin.

Zhang, damals 25, wurde bei der Übernahme Inters umgehend als Statthalter abgestellt, er sollte zudem die eigenwillige Sprache des Calcio lernen. So traf er sich mehrmals mit dem früheren Inter-Patron Massimo Moratti, er lauschte und lernte, dass solch ein Klub kein Wirtschaftsunternehmen im klassischen Sinne ist, dass er ein turbulentes Eigenleben entwickeln kann, wenn man die Tifosi nicht auf seiner Seite hat. Zhang, schüchtern, ein bisschen bubenhaft, meidet für gewöhnlich die Öffentlichkeit. In der Ära Moratti war eine solche Defensivrolle des Chefs noch undenkbar gewesen. Zhang aber hat die Rolle delegiert, zu den Fans sprechen meist Javier Zanetti, Klublegende und Vizepräsident, oder Giuseppe Marotta, der Sportdirektor.

Zhang genießt trotzdem hohes Ansehen unter den Tifosi, da sind sie opportunistisch. Auch die Morattis haben immer Geld zugeschossen, warum sollte chinesisches Geld verwerflich sein? Zumal in Mailand, einer Stadt, in der "Hu" neuerdings der häufigste Nachname ist und nicht mehr "Rossi". In Mailand schätzen sie, dass Zhang den Geist des Klubs und dessen Identität pflegt. Inter ist immer noch eine launische Diva, aber eben wieder eine mit höchsten Ansprüchen. Es kommen wieder teure Stars nach Mailand, vor der Saison der belgische Stürmer Romelu Lukaku, 75 Millionen Euro kostete er. Sogar von Lionel Messi träumen sie in der Lombardei. Und Trainer Antonio Conte lässt so spielen, wie es die Anhänger sehen wollen, aggressiv, leidenschaftlich und dominant.

"An alle Inter-Fans weltweit", sagte Zhang kürzlich in einer Videobotschaft, ein bisschen angefasst sah er aus, "wir stehen gemeinsam in diesem Finale." Den traditionellen Patriarchen-Pathos hat Zhang also auch schon drauf.

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