Süddeutsche Zeitung

Champions League:"Inter ist nur Romelu Lukaku"

Den Mailändern fehlt beim 2:2 gegen Borussia Mönchengladbach erneut Esprit. Zum Glück von Antonio Conte funktioniert sein Stürmer wieder einmal. Aber ist das genug?

Von Oliver Meiler, Rom

Auch eine sehr umsichtige Personalpolitik unterliegt den Fährnissen des Unwägbaren, gerade im Sport. Als Arturo Vidal nach seinem Rauswurf bei Barça im Sommer zu Inter Mailand gestoßen war, wäre niemand auf die Idee gekommen, den Chilenen für einen Lückenbüßer zu halten, für einen, den man einfach noch so dazu nahm. Vidal, mittlerweile 33, war der Wunschspieler von Trainer Antonio Conte, der sich in ihm spiegelt. Er wollte ihn um jeden Preis. Als Spieler war Conte einer wie Vidal, ein furchtlose Feldwebel im Mittelfeld, hart mit allen und mit sich selbst, immer "sul pezzo", wie die Italiener sagen - voll da. Geholt hat man ihn für Nächte wie jene am Mittwoch, erstes Gruppenspiel in der Champions League, gegen Borussia Mönchengladbach.

Nun, die Premiere misslang gründlich. Mehr noch: Wäre Vidal nicht gewesen, hätte Inter wahrscheinlich gewonnen. Oder zumindest weniger gezittert, was sich ja wie ein Widersinn in sich anhört - zittern wegen Vidal, das sollen nur die Gegner. Seine zwei erstaunlich amateurhaften Fehler führten zu den beiden Gladbacher Toren. Das Foul an Marcus Thuram im Strafraum war von eher ungelenker, sicher aber unnötiger Sorte. Und als sich Jonas Hofmann in seinem Rücken zum Tor aufmachte, hob Vidal nur den Arm, als ließe sich das mit dem Videobeweis schon noch geradebiegen. Ließ es sich nicht.

Note 4 von 10 für den Corriere dello Sport, die tiefste von allen Spielbeteiligten. "Was ging ihm nur durch den Kopf?", fragt die römische Zeitung. Der Ausgleich zum 2:2 gelang Inter erst in der 90. Minute, was Gladbach zumindest eine moralische Trophäe einträgt, zumal in italienischen Bewertungskategorien: "Marco Rose holt das Maximum mit wenig Aufwand", schreibt die Gazzetta dello Sport, und das ist hier ein Kompliment, unbedingt. Ein Punkt im "San Siro", ohne brilliert zu haben, und beinahe wären es drei geworden.

Das "San Siro", das muss auch einmal gesagt sein, echot in diesen zuschauerlosen beziehungsweise zuschauerarmen Zeiten vielleicht so bombastisch wie kein anderes Stadion in Europa. Der Kasten, der bald einer neuen und modernen Arena Platz machen soll, ist ja auch vollbesetzt ein formidabler Klangkörper. Leer aber, mit tausend verlorenen Zuschauern, wird jeder Tritt gegen den Ball zum Beat, mit sattem Bass. Man hörte aber auch wieder, wie besessen der chronisch unzufriedene Conte seine Spieler von der Seitenlinie führt, bis zur Heiserkeit: keine Sekunde ohne An- und Unterweisung, als wäre das ein Trainingsplatz in Appiano Gentile. Man wünscht sich die Zeiten zurück, da die Regie der Trainer unterging im Getöse und Gejohle. Sie nimmt dem Spektakel das Wundersame, der Kunst die Hoffnung auf Improvisation.

Ein Team unglücklich wie ein Coach, schreibt der Corriere della Sera

Gebracht haben Contes Rufe wieder nichts. Nach Real Madrids frühabendlicher Niederlage gegen Schachtjor Donezk hätte es da eine fast einmalige Chance gegeben, das Schicksal in der Gruppe B in die eigene Richtung zu lenken. Ein bisschen wenigstens, als Startkapital. Doch dafür sind die Mailänder trotz vieler großer Namen einfach noch nicht Mannschaft genug. "Inter hat kein Spiel", schreibt Mario Sconcerti im Mailänder Corriere della Sera. Schülerhaft sei das Team, unglücklich wie sein Coach, vorhersehbar in seinen Reflexen, egal, wer die Gestaltung im Zentrum übernimmt. Diesmal war es der Däne Christian Eriksen gewesen, der im vergangenen Winter von Tottenham Hotspur zu Inter gewechselt war, hoffnungsfroh, begierig um eine neue Herausforderung. Doch Conte mag ihn nicht, er stellt ihn kaum auf, er hält ihn wohl für einen "Ballerino", einen Tänzer und Schönspieler.

"Inter ist nur Romelu Lukaku", schreibt Sconcerti weiter. "Die Spiele verkommen immer mehr zu einem Messen zwischen ihm allein und den Gegnern." Die Turiner Zeitung La Stampa titelt: "San Lukaku." Heiliger Lukaku. Der Belgier hat wieder beide Tore erzielt, es sind nun schon sechs Treffer in fünf Spielen seit Saisonbeginn. Aber weil Inter auch unerhört viele Gegentore kassiert, zehn schon, sind die generösen Beiträge von "Big Rom", wie sie ihn nennen, vom "Heilsbringer", nicht immer genug.

Das liegt auch an Corona. Kurz vor Spielbeginn war auch Achraf Hakimi positiv getestet worden, der wohl beste Zugang, und fiel aus. Er ist schon der siebte Spieler im Kader von Inter, den die Seuche befallen hat. Von allen italienischen Serie-A-Vereinen hat es nur den FC Genua noch stärker getroffen. Inters gesamte Innenverteidigung fiel jetzt einige Wochen lang aus, die Startaufstellung gegen Gladbach war eine Verlegenheitsabwehr. Und nun droht ein weiterer Herd, alle sind zur Sicherheit in Quarantäne geschickt worden, bis es Klarheit gibt. Hakimi hatte nämlich vor seinem positiven Test mehrere Tage mit seinen Kameraden im Trainingszentrum des Vereins verbracht. Er aß mit ihnen, trainierte mit ihnen, duschte mit ihnen. Gut möglich also, dass sich auch andere Spieler angesteckt haben, womöglich manche schon vor dem Spiel gegen Gladbach, und sich der Ansteckung nun nachträglich gewahr werden. Was wäre dann?

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