Süddeutsche Zeitung

BVB-Gegner Mailand:Conte gibt alles und verlangt noch mehr

Von Birgit Schönau, Rom

So richtig rund läuft es nicht im Moment für Antonio Conte. Und wer ihn kennt, der weiß, dass das schon für den nächsten Gegner ein Problem werden könnte. Der nächste Gegner von Inter Mailand heißt Borussia Dortmund, beim Champions-League-Spiel am Mittwoch im Giuseppe-Meazza-Stadion. Ein Wettbewerb, in dem Conte noch nie besonders erfolgreich war. Ein einziges Mal hat er den Ohrenpokal gewonnen, 1996. Als Spieler war das, mit Juventus Turin. In seiner Trainerlaufbahn kam er mit Juve über ein Viertelfinale und mit dem FC Chelsea über ein Achtelfinale nicht hinaus. Die Königsklasse ist also eine Obsession für Conte. Und wer Conte kennt, der weiß, dass das für seine Spieler und Gegner ein Problem werden könnte.

Der Mann ist ein Kämpfer, seine Leidenschaft wird von vielen gerühmt, von mindestens genauso vielen gefürchtet. Wann auch immer man Conte erlebt, nach einem Sieg oder nach einer Niederlage, er brodelt innerlich, ein Remis existiert für ihn nicht. Er gibt alles und verlangt noch mehr. Trotzdem oder gerade deswegen schwören die Spieler auf ihn. Keinem anderen italienischen Coach gelingt es, sein Team derart mit sich zu verschweißen. Keine andere Elf spiegelt das Temperament des Trainers so wie eine Squadra von Antonio Conte.

Am Sonntag, in Reggio Emilia, saß er grippekrank auf der Bank und sah prompt ein Spiel wie eine Fieberkurve: 4:3, und zwischen den sieben Toren fiel auch noch ein Fallschirmspringer mit Gesichtsmaske in den Inter-Farben vom Himmel - was Conte vorgekommen sein muss, wie eine Halluzination. Zwar bedeutet der knappe Sieg mit zwei Elfmetertoren immerhin, dass Tabellenplatz zwei gesichert ist und Inter weiterhin dem Ersten, Juventus, mit einem Punkt Abstand auf dem Fuß folgt. Aber der Coach soll gerast haben. Nach dem Schlusspfiff wurde das Publikum Zeuge der Misshandlung einer wehrlosen Plastikflasche. Und aus der Kabine berichteten Ohrenzeugen von nachfolgenden Explosionen. Danach war Conte derart heiser und erschöpft, dass er sich die übliche Spielanalyse vor Journalisten schenkte. Es hatten ja sowieso alle gesehen, dass Sassuolo fast noch den Ausgleich geschafft hätte. Damit es auch seine Mannschaft verinnerlichte, verordnete der Coach tags darauf Nachsitzen mit dem Video der letzten 20 Minuten.

"No more pazza Inter", soll Conte seinem chinesischen Klubpräsidenten Steven Zhang im Juli versprochen haben: Nie wieder Inter-Wahnsinn. Gemeint war das überaus regelmäßige Auf und Ab der letzten Jahrzehnte, mit dem Inter sich verlässlich immer wieder selbst aus dem Fußballhimmel in die unterste Höllenkammer beförderte, Stars einkaufte und verschliss, Trainer und Fans zur Verzweiflung brachte. Unter der Ägide der Chinesen kam dann tatsächlich so etwas wie Solidität ins Spiel, allerdings war auch das schillernd Divenhafte weg. Conte will jetzt beides garantieren, das Unberechenbare und das Solide. Er kann das tatsächlich, bilden diese Komponenten doch die beiden Medaillenseiten seines Temperaments.

Sein Team startete stark in die Saison, als über Wochen unbesiegter Tabellenführer. Aus dem Spitzenspiel gegen Juventus ging Conte allerdings als Verlierer hervor. Es schien, als ob sich sein emotionaler Zustand einmal mehr auf die Spieler übertragen hätte, als ob eine übergroße Nervosität sie ausbremste. Juve war nicht einfach nur ein Arbeitgeber für den Spieler und später für den Trainer Antonio Conte. Juve war sein Zuhause, nachdem er als sehr junger Mann seine sonnendurchglühte Heimat Apulien verlassen hatte, um im nebelgrauen Turin erwachsen zu werden. Mit und bei Juve hatte der Mittelfeldspieler und langjährige Kapitän Conte die Welt entdeckt, vor allem aber das Kämpfen erlernt, das Stehvermögen, die Disziplin. Also das, was er heute Inter einpaukt, der allzu lange allzu kapriziösen Erzrivalin.

In der Offensive sieht man schon die Ergebnisse, mit Romelu Lukaku, dem baumlangen, kraftvollen Belgier, der gegen Sassuolo ein Tor aus dem Spiel und eines vom Elfmeterpunkt erzielte. Ihm zur Seite steht der zierlich-wendige Argentinier Lautaro Martinez, ebenfalls ein Treffer und ein Strafstoßtor. Die beiden verstehen sich bereits blendend. Aber der Ausfall des Dritten in diesem schwungvollen Trio machte sich gegen Sassuolo bemerkbar. Der leichtfüßige Italiener Stefano Sensi muss sich gerade von einer Adduktorenverletzung erholen und dürfte auch gegen Dortmund fehlen.

Die größte Baustelle für Conte jedoch bleibt die Abwehr. Sieben Gegentore in acht Spieltagen sind nicht viel, das Problem ist, dass fünf davon in den letzten beiden fielen. Und mit der 1:2-Niederlage in der Champions League beim FC Barcelona steht Inter gegen Borussia Dortmund ohnehin schon mächtig unter Druck. Zuvor hatte es ein mageres 1:1 gegen Slavia Prag gegeben, es müssen jetzt also unbedingt Punkte her.

Ins Achtelfinale einzuziehen, ist für die ehrgeizigen Mailänder, die als letzter italienischer Klub 2010 die begehrteste europäische Klubtrophäe gewonnen hatten, keineswegs nur ein Minimalziel. Es ist auch das notwendige, emotionale Antriebsmittel für die Jagd auf Juventus, nach deren acht Meistertiteln in Serie. Um bei den Großen mitzuspielen, und dazu gehört sein alter Verein, hat Antonio Conte beim FC Internazionale angeheuert.

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SZ vom 23.10.2019/tbr
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