Süddeutsche Zeitung

Mailand-Derby in der Serie A:Selbst Zlatan applaudiert

Lesezeit: 3 min

Das Sturmduo Martinez und Lukaku fegt beim 3:0 im Stadtderby über Milan hinweg und bringt Inter der Meisterschaft näher. Doch ausgerechnet jetzt steht der Traditionsklub offenbar wieder zum Verkauf.

Von Thomas Hürner

Ein Bonmot des Schriftstellers Tomasi de Lampedusa besagt, dass sich in Italien alles ändert, nur damit alles beim Alten bleibt. Das klingt kryptisch, entbehrt aber nicht einer gewissen Logik, in der Politik wie auch im Calcio. Im Grunde ist das südlich der Alpen ja fast dasselbe, Politik und Fußball: ein manchmal irres, zynisches Schauspiel, in dem höchstens die Protagonisten wechseln, aber niemals die Dramaturgie.

Entsprechend verlief auch das ehrwürdige Derby della Madonnina, benannt nach der Madonnenstatue hoch oben auf dem Mailänder Dom. Inter triumphierte am Sonntag mit 3:0 über die Stadtrivalin Milan, doch so eine Stadtmeisterschaft wird auch auf anderen Ebenen ausgetragen: Bereits Stunden vor dem Anpfiff zogen die Anhänger beider Klubs in Heerscharen vor dem San Siro auf, mit Fahnen, Pyro und Wucht in den Kehlen - kollektive Ekstase vor verriegelten Türen, Speichelflug inklusive, auch das ist in diesen Zeiten ein ganz normales Derby in Italien.

Milan hatte offiziell Heimrecht genossen, vor 80 000 leeren Plätzen konnte von einem Heimvorteil aber nicht die Rede sein. Zu trist war das Ambiente, zu gewaltig die Dominanz des Gegners. "Übermacht Inter", titelte die Gazzetta dello Sport, unter den schwarz-blauen Lettern ein Bild von "Lu La" in Scharfschützenpose.

"Lu La", das ist das Akronym für die Angreifer Romelu Lukaku und Lautaro Martinez, die hervorstechendsten Solisten in der geölten Balleroberungsmaschinerie von Inter. Zwischen den beiden kracht es schon mal, sie können ihren Ehrgeiz und so manche Eitelkeit nicht immer kanalisieren. Vollblutstürmer eben, Hitzköpfe. Im Grunde verstehen sie sich aber blendend, im Derby gab es den nächsten Beweis für diese symbiotische Fußballerbeziehung. Schon nach fünf Minuten flankte der baumlange Lukaku punktgenau auf Martinez, der per Kopf zum 1:0 traf.

Inter, wo einst die Defensivtaktik des Catenaccio kultiviert wurde, überließ dem Rivalen in der Folge den Ball und besann sich aufs Verteidigen und Kontern. Ein Spielstil, der auf den ersten Blick simpel erscheinen mag, in dieser akribischen Aufführung aber ein Gesamtkunstwerk ist. Alle Linien sind feinsäuberlich aufeinander abgestimmt, an guten Tagen ist die Mannschaft von Trainer Antonio Conte ein bestens orchestriertes Kollektiv. Und wenn der Gegner doch mal eine Lücke in der Deckung findet, dann gilt es, auch noch Samir Handanovic zu bezwingen, den seit Jahren wohl besten Torhüter der Serie A. "Batmanovic" rufen ihn die Tifosi, weil er wie ein dunkler Ritter zur Rettung eilt, wenn Gefahr in Verzug ist.

Kurz nach der Halbzeit vereitelte der Slowene mit drei Großtaten den Ausgleich, sogar Milans Starstürmer Zlatan Ibrahimovic zog daraufhin anerkennend die Augenbrauen hoch. Nach dem zweiten Treffer von Martinez war es dann ausgerechnet Ibrahimovics persönlicher Rivale Lukaku, der wie eine Walze durch die Milan-Defensive pflügte und den Ball zum 3:0-Endstand ins Netz wuchtete - ein Treffer wie ein Sondergruß an den Schweden, mit dem Lukaku früher gemeinsam bei Manchester United spielte.

Freunde sind sie in dieser Zeit nicht geworden, Ibrahimovic soll über die hölzernen Füße seines Kollegen gespottet haben. Vor drei Wochen, als Milan den Stadtrivalen aus dem Pokal warf, standen sich die beiden Kolosse noch Stirn an Stirn gegenüber, über die Außenmikrophone waren allerlei unsittliche Worte zu vernehmen. Am Sonntag klatschte Ibrahimovic nun Beifall für die Darbietung Lukakus, mehr Anerkennung geht nicht.

Andererseits: Die beiden Alphatiere dürften sich ja zumindest in ihrer Mission verbunden fühlen, eine Beendigung der Turiner Dauerregentschaft wird in der Lombardei als historische Verpflichtung wahrgenommen. Nach einer Dekade der Demütigung, in der Juventus neun Meistertitel in Serie einsammelte, ging es in der 225. Auflage des Mailänder Derbys auch um die künftige Vormachtstellung im Calcio. Inter steht jetzt mit vier Punkten Vorsprung vor Milan an der Tabellenspitze, die in dieser Saison strauchelnde Juve ist bereits merklich abgeschlagen. In Italien verläuft Dominanz gewöhnlich in Zyklen, die Nerazzurri haben sich für eine Wachablösung in Stellung gebracht.

Geschichte wiederholt sich, darauf hoffen zumindest die Tifosi von Inter. Allerdings schauen sie derzeit auch nicht ohne Sorge in die Zukunft. Der Traditionsklub steht offenbar wieder zum Verkauf. Vor acht Jahren hatte der frühere Klubpatron Massimo Moratti sein Inter in die Hände eines Indonesiers gegeben, der den Klub wiederum an den chinesischen Einzelhandelsriesen Suning weiterverkaufte. Jetzt ist ein britischer Hedgefonds heiß auf ein Investment beim 18-maligen Meister; bei Milan haben amerikanische Spekulanten nach einer ähnlichen Eigentümerchronik bereits die Kontrolle übernommen.

Der Suning-Boss Zhang Jindong sagte jüngst im chinesischen Fernsehen, dass sich das Unternehmen künftig auf sein "Kerngeschäft" konzentrieren wolle, was auch immer das für Inter heißen mag. Aber irgendwie wird es schon weitergehen, am Ende bleibt in Italien ja alles beim Alten.

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