Inter Mailand:Die eigenen Fans fallen Lukaku in den Rücken

Serie A - Inter Milan v Lecce

Romelu Lukaku feiert seinen Treffer zum 3:0 im ersten Ligaspiel gegen Lecce.

(Foto: Daniele Mascolo/Reuters)
  • Inter Mailand wähnt sich in dieser Saison wieder als ernsthafter Herausforderer von Serienmeister Juventus Turin.
  • Der Klub hat sich prominent verstärkt, etwa mit Romelu Lukaku und Leihspieler Alexis Sánchez. Mauro Icardi, um den es zuletzt viel Unruhe gab, ist derweil zu Paris Saint-Germain gewechselt.
  • Zugang Lukaku erfährt beim Auswärtsspiel bei Cagliari Calcio Rassismus. Die eigenen Fans fallen ihm später in den Rücken.

Von Thomas Hürner

Die Geschichte des italienischen Traditionsklubs Inter Mailand ist auch eine der Skurrilitäten. Sie ist Tragikkomödie und Heldenepos zugleich, eine wilde Aneinanderreihung großer Erfolge und absurder Niederlagen. Dieser Verein sei "zerbrechlich und menschlich", schrieb der italienische Schriftsteller Michele Sera einmal, "manchmal frigide, manchmal eine Hure, episch oder pathetisch." Nach Jahren der zerbrechlichen Menschlichkeit sehnen sich die Mailänder, einer der Gegner von Borussia Dortmund in der Champions League-Gruppenphase, wieder nach dem Glanz vergangener Tage. Und in dieser Saison wähnen sie sich wieder als ernsthafter Herausforderer von Serienmeister Juventus Turin, der Hegemonialmacht im italienischen Fußball.

Dafür sorgen sollen ausgerechnet zwei Männer mit der sogenannten DNA vincente, wie sie in Italien sagen, der Gewinnermentalität vom Erzrivalen aus dem Piemont. Bereits seit Dezember vergangenen Jahres ist Giuseppe Marotta Sportdirektor bei Inter, zuvor hatte er fast ein Jahrzehnt lang in derselben Rolle bei Juventus gearbeitet. Marotta gilt als der Architekt der Turiner Dominanz, die einst mit der Verpflichtung eines Trainers begann, der inzwischen ebenfalls bei Inter engagiert ist: Antonio Conte, als Spieler Kapitän bei den Bianconeri, hat im Sommer den Trainerposten von Luciano Spalletti übernommen und darf die Mannschaft nach seinem Gusto umbauen.

Für den Sturm kam Romelu Lukaku für angeblich 65 Millionen Euro zuzüglich Boni, er ist der bislang teuerste Spieler der Vereinsgeschichte. Conte wollte den bulligen Belgier schon haben, als er mit dem FC Chelsea gerade englischer Meister geworden war, Lukaku wechselte aber zu Manchester United. Allerdings muss sich Lukaku schon bei seinem ersten Auswärtsspiel dem in Italien verbreiteten Rassismus stellen. In der Partie bei Cagliari Calcio wurde er kurz vor der Ausführung eines Elfmeters mit Affenlauten bedacht. Lukaku veröffentlichte einen emotionalen Appell gegen Diskriminierung im Internet - doch dann fielen ihm die eigenen Fans in den Rücken. "Italiener sind keine Rassisten!", schrieb Inters Ultra-Gruppe "L'urlo della Nord" bei Facebook in einem offenen Brief an den "lieben Romelu". Es sei "schade", falls dieser die Rufe "als Rassismus aufgefasst" habe. Die Cagliari-Fans hätten nur ihrer Mannschaft helfen wollen. Er müsse verstehen, dass Rassismus in Italien im Gegensatz zu vielen nordeuropäischen Ländern kein echtes Problem sei. Weiter heißt es: "Wenn du erklärst, dass du in Italien Rassismus bekämpfen willst, befeuerst du nur die Repression der Tifosi, inklusive deiner eigenen. Du trägst dazu bei, ein Problem zu schaffen, das es hier noch nicht gibt."

Ebenfalls von United wurde Angreifer Alexis Sánchez auf Leihbasis verpflichtet, bereits seit längerem stand der Wechsel von Verteidiger Diego Godín fest. Der langjährige Kapitän von Atlético Madrid kam ablösefrei und soll mit seiner Erfahrung ein integraler Bestandteil in Contes Dreierkette werden, die durch den Slowenen Milan Skriniar und den Holländer Stefan De Vrij komplettiert wird - für viele ist das die individuell stärkste Abwehrreihe der Serie A. Ansonsten sieht der Plan von Conte und Marotta vor, den Verein Internazionale wieder etwas italienischer zu machen. In Stefano Sensi und Nicolo Barella wurden zwei Mittelfeldspieler der Squadra Azzurra geholt, der eigentlich schon abgeschriebene Flügelspieler Antonio Candreva darf sich unter Conte wieder Hoffnungen auf einen Stammplatz machen. Auf der rechten Außenbahn konkurriert Candreva mit Valentino Lazaro, für den Inter angeblich 22 Millionen Euro an Hertha BSC Berlin gezahlt hat.

Der Saisonstart ist Inter schon mal gelungen, auf einen 4:0 Heimsieg zum Auftakt gegen Lecce folgte ein 2:1 Erfolg bei Cagliari Calcio. "Ich bin dafür geschaffen, eine Richtung vorzugeben, eine Methode zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen", sagte Conte im Sommer in einem längeren Interview in der italienischen Ausgabe des Männermagazins GQ. Tatsächlich war die Mannschaft kaum wiederzuerkennen im Vergleich zu den vielen lethargischen Auftritten, die es noch unter seinem Vorgänger Spalletti gab. Conte ist ein Verfechter soldatischer Disziplin, von seinen Spielern verlangt er absolute Hingabe und die Bereitschaft, sich dem Kollektiv unterzuordnen. Eine Maßgabe, die der Italiener am Spielfeldrand vorlebt: Conte schreit, er feuert an, er schimpft und ist ständig in Bewegung. Die Gazzetta dello Sport will errechnet haben, dass er im ersten Saisonspiel acht Kilometer zurückgelegt hat. In seiner Coachingzone. "Wer keinen Willen hat, der spielt bei mir nicht", sagte Conte kürzlich, "selbst wenn er das letzte Mal der Beste auf dem Rasen war."

Die Posse um Icardi

Das heißt auch: Wer nicht den Vorstellungen des Trainers entspricht, wird gnadenlos aussortiert. Angreifer Ivan Perisic wurde kostengünstig an den FC Bayern verliehen, weil er nicht ins System passt und in einen internen Zwist mit Stürmer Mauro Icardi, 26, verwickelt gewesen sein soll. Bereits zum Amtsantritt hat Conte deutlich gemacht, dass auch der Argentinier in seinen Planungen keine Rolle spielt. Icardi musste separat trainieren, er durfte nicht an der Vorbereitungsreise nach Asien teilnehmen, seine angestammte Rückennummer 9 wurde ihm entrissen und an Neuzugang Lukaku vergeben. Conte hat Icardi von Anfang an isoliert, weil er in ihm eine Bedrohung für das Klima in der Mannschaft sah. Sportdirektor Marotta hat ihn daraufhin in halb Europa angeboten, zur eigenen Verwunderung aber lange keinen Abnehmer gefunden. Seit Montag ist klar: Icardi wechselt zu Paris St. Germain, die beiden Vereine haben sich auf ein Leihgeschäft geeinigt, im nächsten Sommer kann er für angeblich 70 Millionen Euro per Kaufoption fest verpflichtet werden.

Dem Transfer ging eine Posse voraus, die selbst für einen Klub bemerkenswert ist, den sie in Italien "Pazza Inter" ("verrücktes Inter") nennen: Icardi war in den vergangenen Jahren der treffsicherste Stürmer der Serie A, zweimal wurde er Torschützenkönig und einmal zum Spieler des Jahres gewählt. Mit 22 Jahren machten sie ihn bei Inter zum bislang jüngsten Kapitän in der Geschichte des Klubs. Icardi hätte womöglich das Zeug gehabt, eine Ikone bei den Mailändern zu werden, inzwischen ist er eine persona non grata.

Seine Ehefrau und Beraterin Wanda Nara forderte im Januar - ein alljährliches Ritual, seit Icardi im Jahr 2013 zu Inter wechselte - eine satte Gehaltserhöhung, die Sportdirektor Marotta in dieser Höhe diesmal nicht gewähren wollte. Wanda Nara, die einen Job in der italienischen TV-Sendung Tiki Taka hat, beklagte sich öffentlich über mangelnde Wertschätzung, sie äußerte sich auch abschätzig über einige seiner Mitspieler. Wohl auf ihre Weisung hin boykottierte Icardi eine Partie in der Europa League gegen Rapid Wien, weshalb ihm vonseiten des Klubs die Kapitänsbinde entzogen wurde. Icardi täuschte daraufhin ein Knieverletzung vor und blieb einen Monat lang vom Training fern. Von den Ärzten des Klubs wurde er nach einer Untersuchung für vollständig fit erklärt. "Er hat uns blamiert", sagte Spalletti damals. Vom Trainer wurde Icardi trotzdem irgendwann begnadigt, man brauchte seine Tore, die Qualifikation für die Champions League war in Gefahr geraten.

Obwohl Icardi bereits vor Monaten mitgeteilt worden war, dass er keine Zukunft bei Inter hat, weigerte er sich, die Entscheidung zu akzeptieren. Frau und Beraterin Wanda Nara verkündete wöchentlich, dass Icardi bleiben wolle, der Stürmer selbst entsandte über die sozialen Netzwerke immer wieder recht eindeutige Botschaften. Zuletzt hatte er sogar Inter auf 1,5 Millionen Euro Schadensersatz wegen der Ausbootung verklagt. Alles nur aus Liebe zum Klub, wie sein Anwalt Giuseppe Di Carlo versicherte: "Icardi will ein Teil von Inters Plänen sein."

Am letzten Transfertag hat Icardi dann doch noch eingewilligt, das Angebot von PSG anzunehmen, ansonsten hätte er wohl ein Jahr auf der Tribüne verbringen müssen. Ein Transfer, der natürlich nicht ohne die Inter-typische Skurrilität auskam: Icardi hat kurz vor der Abreise nach Paris seinen Vertrag mit den Nerazzurri um ein Jahr verlängert, mitsamt der geforderten Gehaltserhöhung auf sieben Millionen Euro netto. Als Absicherung für den Fall, dass Paris ihn im nächsten Sommer nicht fest verpflichtet. Dass Icardi unter Trainer Conte je ein Spiel bestreiten wird, darf trotzdem getrost ausgeschlossen werden.

Zur SZ-Startseite

Zirkus um Neymar
:Eine Transfer-Telenovela erzeugt Flurschaden

Die Wechsel-Posse um den Brasilianer Neymar endet mit dessen Verbleib in Paris. Es ist also alles wie vorher - aber viele Menschen sind nun entweder sauer oder beleidigt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: