Es war ein würdiger Abschluss, den sie da feierten. Ein Feuerwerk am Brandenburger Tor beendete die Special Olympics in Berlin im Sommer 2023. Neun Tage lang hatten Tausende Athletinnen und Athleten aus aller Welt bewegende Geschichten geliefert. Das weltweit größte Sportspektakel für Athleten mit geistiger und mehrfacher Behinderung sollte damals eine Initialzündung sein: um den Schwung in die Vereine an die Basis zu tragen.
Zwei Jahre nach den bunten Berliner Spielen steht Michaela Ammer auf einem Kunstrasenplatz im Münchner Stadtteil Fürstenried. Sie leitet und trainiert hier die Fußball-Inklusionsmannschaften des FC Español, schon seit 2017: „Wir brauchen dringend neue Leute. Früher war es viel einfacher, jemanden zu finden“, sagt sie. Die Hoffnungen auf mehr Engagement und mehr Teilhabe, die sich mit den Special Olympics verbanden, haben sich hier im Westen der bayerischen Landeshauptstadt nicht erfüllt. Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Norm.
Dafür genügt ein Blick in den jüngsten Sportentwicklungsbericht des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB): Die ohnehin schon niedrigen Zahlen sind noch weiter eingebrochen. Vielerorts fehlt nach wie vor auf gravierende Weise das Engagement im Para- und Inklusionssport. Nur 23 Prozent aller Vereine in Deutschland geben an, sich für Menschen mit Behinderungen zu engagieren. 2022 waren es zumindest noch 25 Prozent. Obendrein brach die Zahl der Übungsleiterlizenzen zwischen 2020 und 2024 massiv ein – von 45 000 auf 38 000. Vereine suchen händeringend nach Personal.
Der Behindertensport reiht sich damit ein in ein alarmierendes Gesamtbild des deutschen Breitensports: Es mangelt an Trainern. Und zwar so sehr, dass sich mittlerweile jeder sechste Verein in seiner Existenz bedroht sieht, weil sich schlichtweg niemand finden lässt, der die Turngruppe, das Handballtraining oder den Reha-Sport übernehmen möchte.
Die Mitgliedszahlen steigen – die Zahl der Trainer aber geht zurück
Michaela Ammer kennt diese Zusammenhänge und Problemfelder. Sie hat sich der Inklusion verschrieben, engagiert sich beim FC Español ehrenamtlich für den Aufbau neuer inklusiver Gruppen und organisiert Turniere. Eine Trainerlizenz hat sie nicht. Zusammen mit ihrem Sohn und einem weiteren Trainer ist sie im Verein für etwa 60 Kinder verantwortlich, die Fußball spielen möchten. Viele von ihnen mit Handicap. Unterstützung erhält sie dabei immer weniger: „Es will einfach keiner mehr machen. Und erst recht nicht, wenn es dafür kaum oder kein Geld gibt“, sagt sie.
Kurios in diesem Kontext: Während immer mehr Trainerstellen unbesetzt bleiben, schießen die Beitrittszahlen der Vereine seit Jahren in die Höhe. Der DOSB meldete im Oktober 2024 mehr als 28 Millionen Mitgliedschaften – so viele wie nie zuvor. Auch der Deutsche Behindertensportbund (DBS) verzeichnete zuletzt wieder einen leichten, wenn auch deutlich schwächeren Mitgliederzuwachs. Dem Mitgliederboom der Vereine steht der Rückgang der Übungsleiterzahlen gegenüber, genau das wird dem Behindertensport zum Verhängnis.
„Viele Vereine sind aufgrund fehlender Ehrenamtlicher mit ihrem alltäglichen Betrieb voll ausgelastet“, bestätigt Kevin Müller, Sprecher des DBS. „Da fallen dann solche in aller Regel wünschenswerten Aufgaben wie Inklusion und Behindertensport hinten runter.“ Das Angebot schrumpft. Dabei sind Para- und Inklusionssport auch politisch relevant: Artikel 30 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert eine „gleichberechtigte Teilnahme an Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten“ für Menschen mit Behinderung. Bereits 2009 hatte Deutschland die Konvention ratifiziert.
Keine Zeit fürs Traineramt – oder eher eine Hemmschwelle?
Schwierig zu klären ist, woher der Mangel an Trainern kommt. Aus den Zahlen des Sportentwicklungsberichts leitet der Deutsche Behindertensportbund (DBS) ab, dass es vielen Übungsleitern vorwiegend schwerfalle, ihr Ehrenamt zeitlich mit Beruf und Familie zu vereinbaren. Gisela Kriegl (CSU), Inklusionsbeauftragte des Bezirks Oberbayern, hingegen überzeugt das Zeitargument nicht. „Das sind die üblichen Ausreden, das glaube ich nicht“, sagt sie. In ihrem Heimatverein, dem SC DJK Emmerting, wollen sie schon seit Jahren Behindertensport anbieten – nur finden sie keine Trainer.
Kriegl sieht weitere Gründe für den Trainermangel: „Ich glaube, dass es bei vielen auch eine gewisse Hemmschwelle in Sachen Arbeit mit Behinderten gibt, die man überwinden muss. Es herrschen ganz andere Anforderungen.“ Man müsse Menschen mit geistiger Behinderung im Training anders behandeln, lernen, sie zu verstehen. Dafür braucht es Zeit, Muße und im Fall einer Trainer-Lizenzausbildung für Behindertensport auch Geld.
Geld, das die kleinen Vereine oft nicht haben. Beim FC Español (knapp 150 Mitglieder) konnte etwa eine Inklusions-Trainerin nur gehalten werden, weil die Eltern der Kinder sich bereiterklärten, für die Übungsleiterpauschale aus eigener Tasche zu zahlen. „Das Vereinsbudget hätte einen Verbleib auf keinen Fall hergegeben“, erzählt Michaela Ammer.
Es gibt zunehmend mehr Förderprogramme für Vereine
Die Übungsleiterpauschale ist aktuell bis zu 250 Euro monatlich steuerfrei. Daneben kommen weitere Kosten auf die Vereine zu – etwa für den barrierefreien Ausbau des Vereinsgeländes, damit Behindertensport überhaupt erst angeboten werden kann. Eine reine Erhöhung der Pauschalen für Trainer und Übungsleiter im Behindertensport kann helfen, ist aber nicht des Rätsels Lösung.
Die Lage ist schlecht, aber auch nicht aussichtslos, denn es gibt zunehmend mehr Förderprogramme für Vereine, die Behindertensport in ihr Portfolio aufnehmen wollen. Aus den Geldtöpfen können Sportgeräte, Honorare für Trainer und Ausbildungsgebühren finanziert werden. Der DBS ließ Ende Juli verlauten, das Projekt „Teilhabe VEREINfacht“ zu verlängern, nachdem mehr als 400 Förderanträge für Sportangebote im inklusiven Breitensport und Kinder-Rehasport genehmigt worden waren. Finanziert wird das Ganze vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Die Unterstützer hoffen, dass so ein flächendeckendes Angebot entsteht, das Menschen mit Behinderung Teilhabe am Sport ermöglicht. Und das auch abseits von Ballungszentren, Großstädten oder Veranstaltungen wie den Special Olympics, die alle vier Jahre stattfinden – das nächste Mal 2027 in Santiago de Chile. Denn das war doch die Intention des Berliner Events vor zwei Jahren: dass Inklusion auch ohne Feuerwerk funktioniert.


