Ingolstadt:26 Flanken, 18 Torschüsse

FC Ingolstadt 04 - Hertha BSC

Mann des Spiels: Dem Berliner Mitchell Weiser (vorne, im Zweikampf mit Ingolstadts Alfredo Morales) gelingt das einzige Tor.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Beim 0:1 gegen Hertha wird Ingolstadt zum Verhängnis, dass es unplanmäßig das Spiel gestalten muss.

Von Philipp Schneider, Ingolstadt

Von der Seite drangen gerade die freundlichen Worte des Kollegen Pal Dardai an seine Ohren, als Ralph Hasenhüttl laut auflachen musste. Auslöser seiner Erheiterung in diesem durchaus überraschenden Moment war allerdings nicht so sehr der Inhalt der Rede des Trainers von Hertha BSC Berlin. Hasenhüttl, das stellte er im Anschluss an die Pressekonferenz am späten Samstagabend klar, hatte lediglich soeben mit einiger Fassungslosigkeit die Zahlen auf dem Statistikbogen zur Kenntnis genommen.

In der beliebten Rubrik "Torschüsse" las sich dort in der Spalte der Hertha die Zahl fünf. In jener des FC Ingolstadt dagegen eine "18". "Ich hab' gesehen: 18 zu fünf Torschüsse", stellte Ingolstadts Trainer also fest: "Und das in der Bundesliga!" Dabei blickte Hasenhüttl so erwartungsfroh in die Runde, als sei nun im kleinen Kreise seiner Zuhörer mit einer spontanen La Ola zu rechnen. Dieser Wert, argumentierte Hasenhüttl sinngemäß, verrate schließlich eine ganze Menge über die wahren Kräfteverhältnisse in dieser Partie. Blöderweise hatte sie der FCI gerade 0:1 verloren.

Den Berlinern genügt ein vernünftiger Ballvortrag

Diese kleine Episode wiederum verriet einiges darüber, wie sich die Protagonisten beim Überraschungsaufsteiger inzwischen einschätzen: als Außenseiter, der von seinen Gegnern neuerdings vollkommen unplanmäßig ernst genommen wird. Und der gezwungen wird, das Spiel zu gestalten, was er eigentlich nie vorgehabt hatte. "Das war ein Arbeitssieg, ich bin sehr zufrieden", sagte Trainer Dardai, und das durfte man ihm so glauben.

Am Samstag hat eine recht irdisch veranlagte Berliner Mannschaft aufgezeigt, mit welch profanen Mitteln sich der zuletzt bundesweit bewunderte Ingolstädter Sprint- und Hechelfußball überlisten lässt: indem man die Mannschaft einfach spielen lässt. Es ist ja so: Den gegnerischen Aufbau mit Pressing und Gegenpressing zu unterbinden, indem sich permanent zwei Spieler im operativen Kommandoverbund auf den Ballführenden stürzen, dieses Spiel verlangt andere Fähigkeiten, als wenn plötzlich eine Partie kreativ gestaltet werden muss. Und wer 18 Mal aufs Tor schießt und doch nie trifft, mangelt es dem nicht doch irgendwie an Torgefahr?

"Ich weiß nicht, ob das gewollt war vom Gegner", befand Hasenhüttl, angesprochen auf die auffällig defensive strategische Orientierung der Berliner: "Ich glaube schon, dass wir das eine Spur weit erzwungen haben durch unsere Art anzulaufen. Wir waren sicherlich sehr dominant." Und Ingolstadts Spielgestalter Pascal Groß war aufgefallen, dass "oft ein Fuß dazwischen kommt, wenn eine Mannschaft so tief verteidigt und einer wie Kalou 15 Meter in der eigenen Hälfte steht".

Dass nun ausgerechnet die Hertha mit einer eigentlich von Ingolstadt bekannten Effektivität drei Punkte einfuhr und sich sogar als Tabellenfünfter in der Spitzengruppe der Bundesliga festsetzte, das war umso erstaunlicher, als sie ohne den rotgesperrten Stürmer Vedad Ibisevic antreten musste. In Ingolstadt genügte ihr so der erste halbwegs vernünftige Ballvortrag nach elf Minuten: Eine Flanke von Marvin Plattenhardt köpfelte Ingolstadts Benjamin Hübner vor die Füße von Mitchell Weiser; der aufgerückte Außenverteidiger traf dann per Direktabnahme von der Strafraumgrenze. Und abgefälscht war der Schuss auch noch.

Muss sich also der FCI nun nach seiner zweiten Niederlage in Serie sorgen, dass die Liga nach zehn ziemlich erstaunlichen Spieltagen sein System dechiffriert hat? Das wolle er so nicht sehen, befand Kapitän Marvin Matip, lediglich der Respekt sei gewachsen: "Berlin hat uns den Ball gegeben und das Spiel überlassen. In der Regel wird das bestraft - je öfter man aufs Tor schießt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass mal einer reingeht."

Nun ist Hasenhüttl sicher kein fantasieloser Trainer, der an einem bestehenden System grundlos festhalten würde. Einen kleinen Eingriff in das strategische Gefüge unternahm er schon im Spiel gegen die Hertha: Erstmals in dieser Saison ließ er im Mittelfeld eine Raute wirken; Pascal Groß rückte weiter nach vorne, von seinen Defensivaufgaben wurde er weitgehend befreit. Mit dem Ergebnis, dass Groß zumindest in der zweiten Halbzeit spielte wie die ganze Mannschaft: schön offensiv, aber erschreckend ungefährlich.

Hasenhüttl bleibt zumindest die Erkenntnis, dass es nicht viele Mannschaften geben wird, die nach Ingolstadt reisen, um den Ball dort von fremden Füßen kreiseln zu lassen. Auch diese Wahrheit war verborgen im Statistikzettel. "26 Flanken?", fragte er: "Ich glaube nicht, dass wir auf Schalke wieder 26 Flanken haben werden."

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