Schweizer Justiz und Fifa-Präsident:Ein paar auffällige Gefälligkeiten zu viel

FIFA-Präsident Gianni Infantino

Beste Juristenkontakte: Gianni Infantino, seit Februar 2016 Präsident des Fußball-Weltverbands Fifa.

(Foto: dpa)

Die Absetzung des Schweizer Bundesanwalts Michael Lauber steht bevor - aber was ist mit der Hauptfigur der bizarren Affäre: Fifa-Präsident Gianni Infantino? Politiker fordern nun Einblick in ein vielsagendes Dossier.

Von Thomas Kistner

Am Mittwoch geht die Justizaffäre um den Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber, 54, und seine Geheimtreffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino, 50, auf die Zielgerade. In Bern tagt die Gerichtskommission des Parlaments, Anträge zur Amtsenthebung des Chefanklägers liegen auf dem Tisch. Die Causa Lauber geht zu Ende. Doch zugleich tut sich ein neuer juristischer Hotspot auf: Er nährt den Verdacht, dass nicht nur in Laubers Bundesanwaltschaft (BA) diskret zum Wohle des Fußball-Patrons Infantino gewirkt wurde. Sondern auch andernorts in der Schweizer Justiz.

In den Fokus rückt der Jurist Damian Graf, der im Wallis als Sonderermittler eine Disziplinaruntersuchung führte. Sie richtete sich gegen den Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold - auch dort ging es letztlich um das Wirken von: Infantino. Jedenfalls, bis der Sonderermittler Graf sie im April 2019 mit einer denkwürdigen Verfügung eingestellt hatte.

Der Kantonsjurist Arnold, ein Schulfreund von Infantino, hatte dem Fifa-Boss die Tür aufgestoßen zum obersten Ermittler: zu Lauber. Infantino wiederum überschüttete Arnold auf Fifa-Kosten mit Geschenken: Einladungen zu Kongressen und Top-Events. Als der Weltverband Arnold auch noch einen mit 75 000 Franken jährlich dotierten Nebenjob zuschanzen wollte, platzte das nur, weil im Herbst 2018 aufflog, dass Arnold seinen Fifa-Freund bei Lauber eingeführt und dort sogar massiv auf eine Vorzugsbehandlung für seinen Kumpel gedrängt hatte.

Eine solche erschien für Infantino damals dringend geboten. Denn die BA hatte, nur sechs Wochen nach seiner Inthronisierung, seinen alten Arbeitsplatz in der Europa-Union Uefa durchsucht und ein Verfahren wegen eines anrüchigen TV-Rechte-Vertrags eröffnet, den Infantino als Uefa-Direktor unterzeichnet hatte. Durch die BA-Ermittlung stand Infantinos Fifa-Karriere schon wieder auf der Kippe. Aber dankenswerterweise führte Laubers BA das Verfahren gegen "Unbekannt" - obwohl Infantino den Vertrag signiert hatte, an dem korrupte Rechtehändler dann gut verdienten. Rinaldo Arnold reichte aber auch das nicht. Er preschte bei der BA vor und verlangte zusätzlich noch eine öffentliche Erklärung für den Fifa-Boss. Auf dessen Betreiben hin? Aber nein, so verstand es Sondermittler Graf, all das geschah nicht auf Infantinos Wunsch, sondern nur aus Arnolds "eigener Inititative". So hält es Graf in seinem Report fest, für den er Arnolds Mailverkehr ausgewertet hatte. Diese eher realitätsfern anmutende Einschätzung ist bedeutend für Grafs Verfahrenseinstellung. Sie beruht darauf, dass die Gefälligkeits-Orgie zwischen Arnold und Infantino ganz privat gewesen sei. Daher habe Arnold keine Korruption als Kantonsjurist begangen.

Aber jetzt liegt ein Sachverhalt vor, der dem ganzen Verfahren eine Wende gibt.

Für Infantino ging es um alles

Zum Verständnis: Was als Provinzfall eines Kantonsbeamten daherkam, besaß globale Sprengkraft. Wäre gegen Arnold im Wallis ein Korruptionsverfahren angestrengt worden, hätte das die Karriere jenes Mannes beendet, der ihn so üppig beschenkt hatte, vorbei am Fifa-Verhaltenskodex: Infantino. Jede Strafermittlung löst eine Fifa-Ethikuntersuchung aus, plus 90-Tage-Sperre - ziemlich genau das hatte Infantinos Vorgänger Sepp Blatter aus dem Amt gefegt. Und im Juni 2019 stand der Fifa-Wahlkongress an. Es ging also um alles.

War das Justizgeschacher der Amigos wirklich nur eine private Gunstbezeugung? Stieß Arnold bei der BA aus "eigener Inititative" vor? Und wurde bei den sukzessive aufgeflogenen Geheimtreffen im Kreise Lauber/Infantino/Arnold (an denen Arnold übrigens vorschriftswidrig teilnahm) wirklich nie über Infantinos Problem mit der BA geredet: das TV-Rechte-Verfahren?

Doch, es wurde. Das belegt nun ein Dokument, das Graf offenbar zu wenig beachtete und das seine Einordnung ("alles privat") massiv erschüttert. Aus den Tiefen der Football Leaks (Spiegel, Tages-Anzeiger und andere Medien) ist eine brisante Mail Infantinos aufgetaucht: Am 12. April 2016 schrieb der Fifa-Boss dem Kumpel Arnold, in Bezug auf die BA-Ermittlung wegen des von ihm signierten Uefa-Vertrags: "Ich werde versuchen, es der Bundesanwaltschaft zu erklären, da es ja auch in meinem Interesse ist, dass alles so schnell wie möglich geklärt wird, dass klar gesagt wird, dass ich damit nichts zu tun habe." Und wie sollte das geklärt werden? Arnolds Mail zum Thema klärt auf: "Wichtig ist nun die Sitzung in zwei Wochen" - das bereits zweite Geheimtreffen mit Lauber. Wie wichtig dieses war, lässt sich an dem Umstand ablesen, dass sich Infantino sogar den Privatjet des Emirs von Katar borgte, um pünktlich beim Lauber-Treff zu sein.

Worüber sprachen Infantino und Lauber bei ihren Geheimdates?

Die Mail ist das, was Strafrechtler als "smoking gun" bezeichnen: ein Beweis. Infantino teilt seinem Justiz-Amigo mit, dass er mit der BA in eigener Sache reden werde. Arnold bestärkt ihn und war also keineswegs nur "aus eigener Initiative" bei der BA vorgeprescht. Die zwei Amigos besprachen kein privates, sondern das berufliche Überlebensproblem des Fifa-Bosses, dessen Lösung sie konkret in Hinblick auf ein Date mit Lauber konzipierten.

Damian Graf will wiederholte Anfragen der SZ, ob ihm die Mail schon bei seinen Ermittlungen vorlag, weder bejahen noch verneinen, er verweist aber auf seine Einstellungsverfügung: In der heißt es, ihm hätten sämtliche Privat- und Geschäftsmails von Arnold vorgelegen. Also auch diese.

Die Mail liefert überdies eine Antwort auf die Frage, welche Justiz und Sportwelt seit 2018 umtreibt: Worüber sprachen Infantino und Lauber bei ihren Geheimdates? Zumindest auch über Infantinos Justizprobleme! Dass die Fifa diesen Schluss als "irreführend und böswillig" bezeichnet, ist geschenkt. Fragen wirft aber auch da das Verhalten des Sonderermittlers auf: Wieso reichte Graf die brisante Mail nicht an das BA-Aufsichtsgremium AB-BA weiter, als dieses unter großer medialer Anteilnahme die Hintergründe der Geheimtreffen zu durchleuchten begann? Ein Schlüssel zur Affäre ruhte in Grafs Dossier - der sich aber nicht dazu äußern will, und auch nicht zu der Frage, ob diese Mail, entsprechend gewürdigt, seine Verfahrenseinstellung gegen Arnold untergraben hätte.

Strafrechtler verweisen nun auf Artikel 302 der Schweizer Strafprozessordnung, der die Anzeigepflicht regelt: Demnach müssen Strafbehörden "alle Straftaten, die sie bei ihrer amtlichen Tätigkeit festgestellt haben (...), der zuständigen Behörde" anzeigen, sofern sie nicht selber zuständig sind. Für Markus Mohler, Strafrechtsexperte und ehemaliger Polizeikommandant von Basel, zeigt die Mail, dass Infantino wiederholt Gespräche mit Lauber veranlasst habe, was den Verdacht begründe, "dass er Delikte wie Anstiftung zu Amtsmissbrauch, Amtsgeheimnisverletzung und Begünstigung begangen haben könnte". Wie unsauber die Treffen waren, bezeuge ja bereits die Suspendierung Laubers durch das Bundesgericht. All das müsse auch dem Juristen Infantino klar gewesen sein - zumal die von ihm angestifteten Treffen so geheim waren, dass eines im Juni 2017 gar von allen Beteiligten vergessen werden musste. Auf der Hand liege zudem "der Verdacht der Begünstigung": weil die Ermittlung zu Infantinos Uefa-TV-Vertrag diskret eingestellt wurde. Mohler sagte dies der SZ und der Aargauer Zeitung. Am Dienstag lag bei der zuständigen Kantonsjustiz in Bern eine Strafanzeige gegen Infantino vor, gestützt auf diese Expertise.

Nicht nur in Bern, auch im Wallis kippt die Stimmung

Laubers Amtsenthebung steht bevor. Aber auch für Infantino rücken die Einschläge näher. Zumindest der Verdacht der Anstiftung der BA erscheint nach der Aktenlage erheblich - was zurückführt zum schweigsamen Sonderermittler Graf.

Oder hatte der die brisante Mail gar nicht? Dann wäre es irreführend, bei dieser Frage auf sein Dokument zu verweisen, demzufolge ihm alle Mails vorlagen. Doch auch dann müsste Grafs Arnold-Verfahren nun wiedereröffnet werden: Weil es jetzt ja starke Belege gibt, dass die wechselseitigen Gefälligkeiten von Arnold und Infantino eben keineswegs privater Natur waren.

Nicht nur in Bern, auch im Wallis kippt die Stimmung. Der sozialdemokratische Abgeordnete Gilbert Truffer sagt der Aargauer Zeitung, Arnold habe zu Infantinos Geschenken "gelogen, das ist aktenkundig"; jetzt behindere er erneut Ermittlungen, mit Hilfe einer Amnesie zum Treff mit Lauber und Infantino 2017. "Ein solcher Oberstaatsanwalt ist nicht tragbar. Ich werde den Fall im Kantonsparlament erneut thematisieren und Arnolds Absetzung verlangen." Oder besser: Einblick in das Graf-Dossier.

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