Süddeutsche Zeitung

Fußball:Infantino schafft die Fifa ab

So geballt ist der Fußball noch nie verraten worden. Es ist eine Frage der Notwehr, Infantino als Präsidenten des Weltverbands loszuwerden. Er ist für das Amt charakterlich so ungeeignet wie keiner vor ihm.

Kommentar von Claudio Catuogno

"Sepp, pass auf", sagte schon vor Jahren der ehemalige Fifa-Präsident João Havelange zu seinem Nachfolger Joseph S. Blatter, "du hast ein Monster kreiert." Ein Monster: Damit war der moderne Fußball gemeint, dieses Lieblingsspiel von derart vielen Menschen, dass die Millionen und Abermillionen inzwischen fast automatisch in die Taschen von Fußballhandelnden und -händlern fließen, von Spielern, Trainern und Funktionären, von Sponsoren und Trikotfirmen, aber auch von windigen Spielerberatern, Matchfixern und Wettbetrügern. Der Fußball wird von seinen Instanzen gern als Beitrag zur Völkerverständigung gepriesen oder als universelle Weltreligion verklärt - und das gar nicht immer zu Unrecht. Doch zugleich balanciert der Fußball längst auf der Kante zur dunklen Seite, er zieht Geschäftemacher und Gesindel und organisiertes Verbrechen an. Und zu seinem größten Unglück nun auch noch Gianni Infantino.

Der Schweizer Infantino, 48, aktueller Präsident des Fußball-Weltverbands Fifa, Sepp Blatters Nachfolger, arbeitet seit Monaten daran, fast alle Rechte und Vermögenswerte der Fifa an ein Investorenkonsortium zu verkaufen - für 25 Milliarden US-Dollar. Er tut das im Geheimen, er täuscht selbst seine Vorstandskollegen über Inhalt und Umfang des geplanten Milliardendeals. Er behauptet, die Fifa müsse bloß zwei neue Turniere erschaffen, um sich die Milliarden zu sichern. Dass sich die Fifa darüber hinaus auch weitgehend selbst abschaffen müsste, dass sie gar über die Weltmeisterschaften die Kontrolle verlöre, sagt Infantino nicht.

Der Weltfußball in den Händen von Finanzinvestoren: Nun klingt das zunächst einmal wie die logische Fortsetzung seiner Monsterwerdung. Nach Kommerz pur. Zwei Indizien legen allerdings den Schluss nahe, dass die Wahrheit noch schlimmer ist - weil es eben nicht in erster Linie ums Geld geht. Erstens mischt bei beiden Investoren Saudi-Arabien im Hintergrund mit. Das deutet darauf hin, dass auch machtpolitische Interessen eine Rolle spielen. Und zweitens ist für Infantino selbst ein attraktiver Posten in der neuen Firma vorgesehen. Will da einer die Kontrolle über das Business an sich reißen für den Fall, dass er 2019 nicht wiedergewählt wird? Es wäre ein Komplott zwischen Risikokapital, Machtpolitik und privater Exit-Strategie. So geballt ist der Fußball noch nie verraten worden.

Sepp Blatter hat dem mahnenden Havelange damals geantwortet: Ja, das Monster lebt, "aber wir kontrollieren es". In Wahrheit wurde es auch in der 18 Jahre währenden Präsidentschaft von Sepp Blatter immer bloß genährt. Blatter ist längst für alle Fußball-Ämter gesperrt, Havelange musste vor seinem Tod als Ehrenpräsident zurücktreten. Beide waren typische Vertreter ihrer Zunft - sie wurden im Ehrenamt zu Multimillionären, und nicht nur sie. Zahnlose Kontrollinstanzen, Geschäfte meist im Kreis der Fußballfamilie: So viele Günstlinge haben für sich etwas abzweigen können im Laufe der Jahre, dass die Wiederwahl der Patriarchen stets schon aus Gründen der Dankbarkeit gesichert war.

Und Infantino? Er war 2016 als Retter angetreten. Er versprach "Transparenz", "Offenheit", "Anstand". Aber natürlich war auch Infantino clever genug, den Delegierten zusätzlich jene Werte zu versprechen, die ihnen ihre Wahlentscheidung traditionell erleichtern: Sach- und Geldwerte. Jeder der 211 Fifa-Mitgliedsverbände sollte fünfmal so viel Zuschüsse kriegen wie unter Blatter.

Kaum im Amt, entmachtete Infantino dann die Ethikkommission, die Blatter zu Fall gebracht hatte. Das operative Hauptamt besetzte er mit seinen Marionetten. Er hat die Fifa komplett auf sich zugeschnitten. Der im Geheimen eingefädelte Milliardendeal stellt allerdings alles andere in den Schatten.

Staatliche Ermittler müssen sich nun einmischen

Infantino ist für das Amt des Weltfußballpräsidenten charakterlich so ungeeignet wie kein Präsident vor ihm. Und das will etwas heißen. Es ist jetzt eine Frage der Notwehr, dass der Fußball ihn loswird. 37 Leute bilden den mächtigen Fifa-Vorstand - ihr Revolutionspotenzial ist jetzt gefragt. Und formal gibt es auch weiterhin Compliance- und Ethik-Beauftragte. Alles Leute, denen natürlich klar ist, dass sie die Aufwandsentschädigungen mit den vielen Nullen am Ende nicht deshalb bekommen, um das Monster zu zähmen. Die aber handeln müssen, weil der Fußball insgesamt Schaden zu nehmen droht.

Und nicht zuletzt müssten die Pläne auch staatliche Ermittler auf den Plan rufen. Wenn ein Fifa-Präsident, der gar nicht operativ tätig werden darf, geheime Deals anbahnt, dann steht auch der Vorwurf der Untreue im Raum. Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) hat Erfahrung mit solchen Figuren, sie führt diverse Verfahren zum Thema Fußballkorruption. Allerdings wurde gerade erst der zuständige Chefermittler suspendiert. Und ein Oberstaatsanwalt aus dem Wallis, Infantinos Heimat, steht unter Druck, weil er teure VIP-Tickets angenommen hat. Das Fußballmonster, es hat offenbar viele Köpfe und viele Arme.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018/schma
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