1860 in der Arena:Ausbruch aus dem Löwen-Käfig

Zwölf Jahre spielte der TSV 1860 München in der ungeliebten Arena. Ein Rückblick auf leere Tribünen, ein denkwürdiges Duell und Weltprominenz im VIP-Bereich.

Von Christopher Gerards

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Anstoß des 1. FC Nürnberg währen der Eröffnung der Allianz-Arena gegen den TSV 1860 München.

Quelle: Imago/ActionPictures

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Die Löwen und die Arena in Fröttmaning - das ist eine zwölf Jahre währende Geschichte, die von wenigen emotionalen Momenten handelt und von vielen Missverständnissen. Diese Geschichte, sie beginnt im Mai 2005, mit einem Freundschaftsspiel gegen den 1. FC Nürnberg. 1860 ist schon damals kein Erstligist mehr, 2004 ist der Klub aus der Bundesliga abgestiegen. Dennoch sind die Löwen (oder die Arena) noch eine derart große Attraktion, dass 64 000 Zuschauer zum Eröffnungskick kommen. 1860 gewinnt 3:2 gegen den 1. FC Nürnberg, und es ist der Verdienst des linken Mittelfeldspielers Patrick Milchraum, das erste offizielle Tor im neuen Stadion zu schießen.

TSV 1860 München – Dynamo Dresden 1:2

Quelle: Imago/WEREK

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Immerhin erreicht 1860 in seiner ersten Arena-Saison die höchsten Besucherzahlen seit Jahrzehnten: 41 673 Menschen kommen im Schnitt zu den Spielen, und wie lange das alles her ist, zeigt sich auch daran, dass im Kader Menschen stehen wie Torben Hoffmann, Paul Agostino und Harald Cerny. Gegner sind, unter anderem, der 1. FC Saarbrücken (inzwischen ebenfalls Regionalligist), LR Ahlen (als Rot-Weiß Ahlen in der Oberliga), die Sportfreunde Siegen (Oberliga Westfalen), Wacker Burghausen (Regionalliga Bayern), die Kickers Offenbach (Regionalliga Südwest) und Alemannia Aachen (Regionalliga West). Und was soll man sagen? So einen Zuschauer-Schnitt erreichen die Löwen danach nie wieder.

Pressekonferenz zur Übernahme der Anteile an der Allianz Arena von 1860 durch die Bayern

Quelle: Imago/MIS

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Im April 2006 geben Vertreter von 1860 (im Bild v.l.: der damalige Manager Stefan Reuter und der damalige Geschäftsführer Stefan Ziffzer) und des FC Bayern (Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsmitglied Karl Hopfner und Präsident Uli Hoeneß) bekannt: Die Löwen verkaufen ihre Anteile am Stadion an die Bayern. Zuvor waren die FC Bayern München AG und die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA zu je 50 Prozent an der Stadiongesellschaft beteiligt. 11,3 Millionen Euro bekommen die finanziell schwer angeschlagenen 60er, künftig müssen sie als Mieter des FC Bayern in der Arena spielen. Zwar vereinbaren beide Parteien ein Rückkaufsrecht - das lassen sich die Löwen aber später abkaufen. Wie genau alles vor sich ging und, vor allem: ob die Löwen gescheit verhandelt haben, wird die Öffentlichkeit noch ein Jahrzehnt später beschäftigen.

Bayern Munich v 1860 Munich - DFB Cup

Quelle: Bongarts/Getty Images

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Im Februar 2008 treffen Vermieter und Mieter zur Abwechslung mal auf dem Platz aufeinander, im Viertelfinale des DFB-Pokals. Offiziell sind die Löwen als Gäste gekommen, aber immerhin, das Stadion ist voll - das gibt es danach bei Spielen der Sechzger nur selten. 1860 macht ein gutes Spiel, zwingt den FC Bayern in die Verlängerung, erst in der Nachspielzeit der Verlängerung (!) entscheidet Franck Ribéry (l.) das Duell. Die Löwen fallen ansonsten dadurch auf, dass sie zwei Platzverweise bekommen (für Benjamin Schwarz, r. im Bild, und Markus Thorandt) und dass in ihrem Mittelfeld zwei ausgesprochen gute sowie ausgesprochen ähnlich aussehende Fußballer namens Bender spielen.

Hasan Ismaik, TSV 1860 München, Fußball

Quelle: Frank Leonhardt/dpa

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In den Jahren danach pendelt sich 1860 im Mittelmaß der Zweitliga-Tabelle ein. Die Zuschauerzahlen sinken und der Unterhaltungswert des Klubs liegt irgendwo zwischen einem zweistündigen Soziologie-Seminar, einer Bahnfahrt durch die fränkische Provinz und Tweets von Philipp Lahm. Das ändert sich erst, als 2011 ein Mensch namens Hasan Ismaik in der Arena auftaucht. Nach dem 4:0 gegen Energie Cottbus Anfang April lässt er Journalisten wissen, wie sehr er das Stadion mag: "I love it." Ende Mai steigt er beim Klub ein. Danach sagt er nie wieder, dass er das Stadion liebt.

Sven-Göran Eriksson bei 1860

Quelle: imago sportfotodienst

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In den kommenden Jahren wird die Arena Anlaufpunkt für weitgereiste Fußball-Prominente: Der Schwede Sven-Göran Eriksson etwa (links oben), einst englischer Nationaltrainer und vom britischen Boulevard mit dem netten Spitznamen "Der geile Sven" versehen, schaut vorbei und wird sogar fast Trainer des Zweitligisten. Auch Clarence Seedorf, Champions-League-Sieger mit Real Madrid und dem AC Mailand, besucht die Arena, um ein Heimspiel der Löwen gegen den 1. FC Heidenheim (Klub aus der drittgrößten Stadt der Region Ostwürttemberg, nie Champions-League-Sieger, d. Red.) zu sehen.

22 02 2014 Fussball 2 Bundesliga 2013 2014 22 Spieltag TSV 1860 München in der Allianz Arena Mün; Leere Ränge bei 1860 in der Arena

Quelle: imago/MIS

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Dieses Foto, das muss man kurz erläutern, wurde während eines Spiels aufgenommen. Also: nicht davor und nicht danach. Im Februar 2014 trifft 1860 auf den SC Paderborn, 13 800 Menschen wollen das sehen. Es ist ein Thema, das die Löwen im Grunde seit dem Einzug begleitet und sich Jahr für Jahr zuspitzt: viele Fans boykottieren die Arena. Die Saison 2013/14 ist, mit durchschnittlich 19312 Zuschauern, historisch schlecht. Mit Planen im Oberrang versuchen die Münchner, die leeren Sitze zu kaschieren. Immerhin, danach steigt die Zahl wieder leicht.

1860 Muenchen v Holstein Kiel - 2. Bundesliga Playoff Second Leg

Quelle: Daniel Kopatsch/Getty Images

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Zu den emotionalsten Spielen in der Arena gehört ausgerechnet eines, das ans Ende einer miserablen Saison fällt. 2015 müssen die Löwen um Christopher Schindler (im Bild) in der Relegation gegen Holstein Kiel antreten. Das Hinspiel endet 0:0. Im Rückspiel gerät 1860 schon nach 16 Minuten in Rückstand - und braucht aufgrund der Auswärtstorregel zwei Treffer zum Weiterkommen. Eine Viertelstunde vor dem Ende steht es weiterhin 0:1. Dann gelingt Daniel Adlung nach 78 Minuten der Ausgleich. Und in der Nachspielzeit schafft Kai Bülow das 2:1. Die Löwen sind gerettet, zumindest vorerst.

TSV 1860 München - VfL Bochum

Quelle: Tobias Hase/dpa

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Doch der sportliche Erfolg bleibt auch danach aus, und Investor Ismaik versenkt über die Jahre etliche Millionen. Als der Jordanier im Februar 2016 zu einem seiner nicht gerade zahlreichen Besuche in die Arena kommt, muss er Proteste ertragen. Viele Fans zeigen beim Heimspiel gegen Bochum Zettel, auf denen eine durchgestrichene Illustration des Gesellschafters zu sehen ist. Außerdem halten sie ein Banner hoch, das Ismaik dazu auffordert, den Klub zu verlassen (nur, dass sie es etwas deftiger ausdrücken). Böse Vorzeichen lassen sich dann endgültig im November 2016 erkennen, als beim Spiel gegen Kaiserslautern eine tote Taube vom Himmel fällt.

TSV 1860 M¸nchen - Jahn Regensburg

Quelle: dpa

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2017 müssen die Löwen wieder in die Relegation, diesmal gegen Jahn Regensburg, und zu diesem Zeitpunkt ahnt kaum jemand, dass es das letzte Spiel in der Arena sein wird. Nach dem wundersamen Klassenerhalt gegen Kiel gilt 1860 eigentlich als so gut wie immun gegen Abstiege. Doch nach einem 1:1 im Hinspiel verlieren die Münchner das Rückspiel mit 0:2. Fans randalieren, werfen Stangen und Sitzschalen aufs Feld. Die Löwen steigen ab, bekommen aber keine Lizenz für die dritte Liga und müssen künftig in der Regionalliga antreten, in Memmingen, Schalding-Heining und Pipinsried. Oder, bei Heimspielen: im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße.

© SZ.de/ska/olkl
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