Ilkay Gündogan:Ein Xavi für Deutschland

Manchester City FC v VfL Borussia Moenchengladbach - UEFA Champions League

"Gündogan or nothing" hat Pep Guardiola zwar nicht gesagt. Aber er wollte den Dortmunder unbedingt haben.

(Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Ilkay Gündogan ist ein Weltstar im Konjunktiv. Nun kehrt er nach langer Zeit fit ins Nationalteam zurück. In Manchester ist er bereits Pep Guardiolas Lieblingsspieler.

Von Christof Kneer

So ein Weltuntergang kann eine praktische Sache sein, jedenfalls für die, die nicht untergehen. Als die Sintflut kürzlich über Manchester hernieder ging, riss sie unter anderem das Champions-League-Spiel gegen Mönchengladbach mit sich fort, aber am nächsten Morgen hatte es sich die Apokalypse zum allgemeinen Erstaunen anders überlegt. Obwohl es sich nachweislich um England handelte, regnete es nicht mehr, aber es wäre wohl zu kitschig, wenn man behaupten würde, dass für Ilkay Gündogan am Morgen danach sogar die Sonne schien. Andererseits: Wenn's doch stimmt . . .

Am Morgen nach der Sintflut erfuhr Ilkay Gündogan, dass er beim Nachholtermin am Abend in der Startelf von Manchester City stehen würde. Der Spanier David Silva, der vor der Sintflut für erste Elf eingeplant war, hatte sich im Training kurzfristig verletzt, und Trainer Pep Guardiola beschloss, dass er es wagen würde. Ja, er würde Gündogan bringen, einen neuen, knapp 30 Millionen Euro teuren Spieler, der eine schwere Knieverletzung mit nach Manchester gebracht und viereinhalb Monate pausiert hatte.

Gündogan spielte 81 Minuten lang, sogar gut, und aus Gründen der Menschlichkeit sollte man verhindern, dass der FC-Bayern-Profi Thiago die Bilder dieses Abends zu Gesicht bekommt. Was soll der Arme denken, wenn er die Bilder der Auswechslung in der 81. Minute sieht? Wenn er sieht, wie Guardiola und Gündogan sich abklatschen und in die Augen sehen, wie das nur ein Trainer und sein Lieblingsspieler tun können? "Thiago oder nix" - Peps Forderung aus FC-Bayern-Zeiten trug eine romantische Radikalität in sich, aber wenn nicht alles täuscht, hat Thiago inzwischen einen handfesten Grund zur Eifersucht. Der Grund heißt Ilkay Gündogan.

Gündogan or nothing? Das hat Pep Guardiola nicht gesagt, als er bei Manchester City anfing. Wobei: Weiß man's?

Es gibt ein Zitat, das Guardiola zugeschrieben wird, er hat es nicht öffentlich gesagt, aber unterschiedliche Begleiter sind recht sicher, es gehört zu haben. Er kenne ein Mittelfeld-Duo, das einmal ähnlich spielprägend werden könne wie das große Barca-Duo Xavi/Iniesta, soll Pep gesagt und dabei an Gündogan (= Xavi) und Thiago (= Iniesta) gedacht haben.

Gesichert ist, dass Guardiola es versucht hat. In seiner Münchner Zeit hat er seine Vorliebe für den Spieler Gündogan offenbar klar hinterlegt, aber beim FC Bayern habe es über den Spieler "unterschiedliche Auffassungen" gegeben, heißt es. Gündogan wurde nie ein Münchner. Pep-Spieler ist er jetzt trotzdem.

Ein Wechsel nach Barcelona scheiterte

Gündogan, 25, ist schon viele Jahre dabei, und trotzdem kommt er einem noch viel neuer vor als zum Beispiel der kaum ältere Toni Kroos. Joachim Löw hat Gündogan nach knapp einjähriger Absenz im Nationalteam wie einen lieb gewonnenen alten Bekannten in Empfang genommen, aber ein Blick auf Gündogans technische Daten zeigt die spektakuläre Unwucht zwischen der gefühlten und der tatsächlichen Zugehörigkeit zur DFB-Elf. Kroos wird in der WM-Qualifikation gegen Tschechien (Samstag) und Nordirland (Dienstag) seine Länderspiele 73 und 74 bestreiten. Bei Gündogan steht bisher die Zahl 16: Dieser hoch begabte Pepianer hat nur fünf Länderspiele mehr als Sebastian Rudy. Allerdings hat Löw am Freitag angedeutet, dass trotz der langen Verletzungspause der nächste DFB-Einsatz unmittelbar bevorsteht; schon am Dienstag gegen die Nordiren könnte Gündogan erstmals wieder in der Startelf stehen.

Löw hat in seiner selbstverständlich knapp bemessenen Freizeit gerade eine Analyse erstellt, der sich, grob zusammengefasst, entnehmen lässt, dass seine Elf ganz oft den Ball hat, dass sie mit diesem Ball aber viel zu wenige Tore schießt. Die zuständige Wissenschaft hat das bisher mit der Abwesenheit von Stürmern erklärt, aber vielleicht fehlte auch Gündogan. An guten, gesunden Tagen trifft er mit seinem Passfuß genau in die Lücke, er spielt steiler als Kroos, schärfer als Özil und sowieso feiner als Khedira.

Gündogan ist: ein Weltstar im Konjunktiv. Wenn er nicht die WM 2014 und die EM 2016 verletzt verpasst hätte . . . Wenn er nach seiner Rückenverletzung vom Juli 2014 nicht zehn Monate auf Tournee gegangen wäre, allerdings eine Tournee ohne Sound-Check und Publikum, sondern von Arztpraxis zu Arztpraxis . . . Wenn er doch früher jenen Arzt in London gefunden hätten, der nach zehn Monaten endlich die Diagnose "Nervenwurzelreizsyndrom" stellte und ihn zur OP nach München überwies . . . Und wenn er sich im Mai 2016 im Dortmunder Mannschaftstraining nicht noch mal verletzt hätte, beim Warmmachen am Basketballkorb, als er sich die Kniescheibe verrenkte . . .

"Wenn man so lange raus war wie ich", hat Gündogan diese Woche gesagt, "stellt man sich irgendwann die Frage, ob man noch mal auf ein so hohes Niveau kommt."

Als eine Knieblessur den Transfer zu City zu verhindern drohte, rief Pep persönlich an

Eine "hohe psychische Belastung" seien vor allem die Monate während der Rückenverletzung gewesen, sagt Onkel Ilhan, der seinen Neffen berät. Dennoch haben die Gündogans zum eigenen Erstaunen feststellen dürfen, wie hoch der Marktwert des prominentesten Familienmitglieds trotz dessen Verletzungsbiografie immer noch ist. Im Sommer 2015 war Gündogan schon mit dem FC Barcelona einig, ehe die Wirren um die Transfersperre der Katalanen einen Wechsel verhinderten; und als Berater und Spieler fürchteten, dass die Knieverletzung den ebenfalls bereits verabredeten Transfer zu ManCity durchkreuzen könnte, klingelte am Tag danach das Telefon des Spielers: "Pep selbst war dran", sagt Onkel Ilhan, "er hat gefragt: Junge, alles gut, und dann hat er zu Ilkay gesagt, dass er ihn trotz der Verletzung unbedingt haben möchte."

Ilhan Gündogan sagt, sein Neffe sei "ein Trainerspieler, er weiß genau, dass ein Trainer das A und O für einen Spieler ist, daran orientiert er seine Entscheidung". In den Bekanntmachungen des Sommers hätte also stehen müssen, dass Ilkay Gündogan nicht zu ManCity, sondern zu Guardiola gewechselt ist, und vielleicht wird man irgendwann ergänzen müssen, dass bei ManCity nicht mehr Gündogan, sondern der neue Xavi spielt.

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