Iker Casillas:Ende, Legende

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Der Torwart Iker Casillas war bei Real Madrid immer ein regionaler Faktor im Ensemble der Galaktischen. Jetzt wechselt der Klubheilige zum FC Porto - in die rührseligen Hymnen mischt sich auch Heuchelei.

Von Javier Cáceres

Nicht jede Vereinsikone wird bei Real Madrid standesgemäß verabschiedet. Selbst der Klub-Legende schlechthin, dem verstorbenen Alfredo Di Stéfano, versetzte Spaniens Rekordmeister in den 60er-Jahren einen besseren Tritt in den Allerwertesten. Di Stéfano, der mit immerhin fünf Siegen im Europapokal der Landesmeister den donnerhallenden Ruf Real Madrids begründet hatte, lag mit Vereinsboss Santiago Bernabéu so überkreuz, dass dieser nur noch bitteren Sarkasmus für seinen einst geliebten Star übrig hatte: "Ich verliere einen Sohn", soll Bernabéu gesagt haben, als Di Stéfano sich aufmachte, zu Espanyol Barcelona zu wechseln - "einen Hurensohn."

Real Madrids Ikone der Gegenwart heißt Iker Casillas, 34, und es dürfte ihn trösten, dass er spätestens an diesem Samstag einen Abschied erster Klasse erhalten wird. Denn ehe er seinen Wechsel zum portugiesischen Vizemeister FC Porto vollzieht, soll ihm immerhin eine offizielle Abschiedszeremonie zuteil werden, auf der Vip-Tribüne des Bernabéu-Stadions, umringt von den insgesamt 18 Trophäen, die er für Real Madrid errang, und den aktuellen Teamkollegen, unter ihnen der deutsche Nationalspieler Toni Kroos.

Der letzte große Pott für "San Iker": Casillas (grünes Trikot) im Kreise seiner prominenten Kollegen nach dem Champions-League-Triumph 2014.

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(Foto: Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

1990 kommt er zur Jugend von den Königlichen, sieben Jahre später holt ihn Jupp Heynckes zu den Profis. Was folgt sind 18 Titel, die er mit Real erringt.

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(Foto: Vincenzo Pinto/AFP)

Auch mit der spanischen Nationalelf ist Casillas erfolgreich. Hier feiert er mit seinen Mannschaftskollegen den Gewinn der Europameisterschaft 2008.

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(Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Zwei Jahre später gewinnt er erneut ein großes Turnier mit Spanien - diesmal ist es die Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika.

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(Foto: Franck Fife/AFP)

2012 gewinnt Spanien noch einmal die EM - zum zweiten Mal in Folge. Das gelang zuvor keinem Team. Auf Klubebene läuft es für Casillas aber nicht mehr rund.

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(Foto: Andres Kudacki/AP)

Als José Mourinho 2010 Real-Trainer wird, entfremdet sich Casillas vom Klub. Der Portugiese setzt ihm Antonio Adán vor die Nase - eine Degradierung.

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(Foto: Marcelo Sayao/dpa)

Nach der für Casillas und Spanien sehr enttäuschenden WM 2014, holt Real-Präsident Perez WM-Star Navas nach Madrid - doch der Spanier bleibt trotzdem.

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(Foto: Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

Als Casillas (l.) kürzlich hört, dass Real um seinen Nationalmannschaftskollegen de Gea (r.) buhlt, schaut er sich erstmals nach einem neuen Verein um.

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(Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Nun sagt er "basta" und lässt sich einen Teil seiner bis 2017 ausstehenden Bezüge auszahlen. Mit 15 Millionen Euro im Gepäck wechselt er zum FC Porto.

Es wird, so viel steht fest, an rührseligen, salbungsvollen Worten nicht fehlen. Casillas ist ja nicht nur der als "San Iker" verklärte Vereinsheilige, der mit Real dreimal die Champions League, fünfmal die Meisterschaft und zweimal den spanischen Königspokal gewann. Er ist auch einer der letzten Hüter der regionalen Folklore - im nach den Regeln der Business-Schools gestylten globalisierten Fußball.

"Ich bin kein Galáctico. Ich bin aus Móstoles", entfuhr es Casillas vor Jahren, als der aktuelle Vereinspräsident Florentino Pérez längst die grellsten Sterne des Fußball-Sonnensystems zusammengekauft hatte, um Weltmarktführer zu werden. Mit Namen wie Figo, Beckham, Ronaldo, Zidane oder zuletzt Cristiano Ronaldo und Bale sollte und soll Real möglichst auch auf dem Felde, zumindest aber in der Schlacht um Weltmarktanteile und Umsatzzahlen die Branche beherrschen. Casillas hatte stolz auf seine Herkunft und seinen Werdegang verwiesen. Auf Móstoles, das Trabantenstädtchen Madrids, auf unzählige Fahrten in der stickigen U-Bahn, die auch nicht aufhörten, als er mit 16 - auf Geheiß des damaligen Trainers Jupp Heynckes - zu den Profis stieß und allmählich zum letzten heimisch gewachsenen Mythos dieses mythenreichen Klubs wurde.

Ebenfalls steht fest, dass sich all die Lobhudelei zum Abschied auch mit Heuchelei vermengen wird. Denn dass Casillas nun nach Porto aufbricht, hat mit einem diabolischen Zerwürfnis zu tun. Bis zuletzt hat Casillas unter jenem Keil gelitten, den der frühere Trainer José Mourinho (2010 bis 2013) zwischen den Torwart und die radikalsten Madridistas trieb. Mourinho unterstellte seinerzeit, dass seine Trainerarbeit von Casillas durch Durchstechereien an die Presse sowie Appeasement-Politik gegenüber dem Erzfeind FC Barcelona hintertrieben werde. Klubchef Pérez solidarisierte sich mit Mourinho - und ließ daher mindestens geschehen, dass Casillas ein zermürbendes Mobbing aushalten musste.

Ende 2012 erklärte Mourinho einen gewissen Antonio Adán (heute Betis Sevilla) für besser und setzte Casillas auf die Bank. Anfang 2013 erlitt Casillas einen Handbruch und bekam Diego López vor die Nase gesetzt, der aber in der Saison 2013/14 nicht in der Champions League spielen durfte und somit zuschauen musste, wie Casillas den zehnten Henkeltopf in der Klubgeschichte von Real Madrid stemmen durfte. López ging zum AC Mailand, Ruhe hatte Casillas damit aber nicht.

Nach der für ihn und Spanien so enttäuschenden WM 2014 (Aus in der Vorrunde) holte Florentino Pérez den Keeper Costa Ricas, Keylor Navas, nach Madrid. Casillas blieb, schluckte den nie versiegenden Groll der Real-Fans herunter - und suchte erst eine Alternative für sich, als die Medien vermeldeten, dass Real Madrid sich mit seinem designierten Nationalmannschafts-Nachfolger David De Gea, 24, von Manchester United einig sei.

Nun sagt Casillas nicht nur "basta". Er lässt sich - ähnlich wie eine andere Real-Legende, Raúl, 2010 bei seinem Wechsel zu Schalke 04 - den größeren Teil seiner ausstehenden Bezüge auszahlen, geschätzt 25 Millionen Euro brutto. Auf ein paar Millionen wird Casillas angeblich verzichten, die Summe aus dem Gehalt des FC Porto und der Abfindung reicht an die kolportierte Zahl nicht ganz heran. Immerhin erwartet ihn Portos Cheftrainer Julen Lopetegui, ein früherer Nationalmannschaftskollege von Casillas, mit offenen Armen - und mit der Aussicht auf Spielpraxis. An der EM 2016 will Casillas noch teilnehmen.

Real sortiert derweil das Personaltableau. Sollte De Gea tatsächlich in Madrid anheuern, gilt als wahrscheinlich, dass Navas geht - möglicherweise im Gegenzug zu Manchester United. Sicher ist jenseits davon, dass der englische Klub gerne Reals Innenverteidiger Sergio Ramos verpflichten würden, der als ein weiteres Opfer der noch immer Wirkkräfte entfaltenden Mourinho-Pérez-Phase gilt - und als abwanderungswillig. Ramos ist zwar, anders als Casillas, kein Eigengewächs. Doch auch ihm dürfte eine schmachtende Titelseite zuteil werden wie jene, die das Sportblatt Marca nun Iker Casillas widmete. Er war dort mit Kybele zu sehen, der Göttin, der Real Madrid traditionell die Titel offeriert - und legte der alten Dame melancholische Worte in den Mund: "Ich werde dich vermissen."

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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