Hunderennen:Neun Tage im Trab

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Fünf Mal Weltmeister im Achter-Gespann im Sprint, beim Lekkarod im vergangenen Jahr auf Anhieb Zweiter: Jürgen Stolz. (Foto: Holger John/Viadata/Imago)

Mit zwölf Huskys nimmt der Landsberger Jürgen Stolz am Lekkarod in Frankreich teil, einem der härtesten Hundeschlittenrennen Europas.

Von Nadine Regel

Die Hunde warten jaulend auf ihren Einsatz vor dem Schlitten. Auch am vierten Trainingstag im Langtauferer Tal am Reschensee vor einer Woche sind die Siberian Huskys von Jürgen Stolz hochmotiviert. Am liebsten würden sie sofort losrennen, aber ihre Leinen sind am Boden fixiert. Zuerst gibt es eine Stärkung. Der braune Duplo drückt mit seiner Nase auf die dünne Eisschicht, die sich auf dem Napf über der Brühe mit Lammfett gebildet hat, und durchbricht sie. Dann fischt er mit seiner Zunge in der bräunlichen Suppe nach kleinen Futterbrocken.

Intelligent sind die Huskys, aber auch sanftmütig und kontaktfreudig. Sie akzeptieren eine fremde Person ohne Probleme in ihrer Mitte. Nur Duplo beißt spielerisch in den Schuh der Besucherin. "Der ist noch jung", sagt Jürgen Stolz, der aus München stammt. Seinen Leithund Friday konnte der Schlittenhundführer aus gesundheitlichen Gründen nicht mit nach Südtirol nehmen. Das schmerzt, hängt von ihm doch auch der Erfolg bei einem ganz besonderen Rennen ab, das an diesem Samstag beginnt: dem Lekkarod, bei dem Stolz mit zwölf Hunden angemeldet ist.

Das Langdistanzrennen in Skigebieten östlich von Grenoble in Frankreich ist eines der härtesten Europas. 2021 belegte Stolz bei seinem ersten Start dort auf Anhieb den zweiten Platz. Anders als zum Beispiel das Iditarod in Alaska geht es nicht von einem Start zu einem Ziel. Die Musher, wie die Schlittenhundführer genannt werden, absolvieren mit ihren Hunden insgesamt neun Rundkurse. Am Abend steht dann meist noch ein Ortswechsel an. Die Hunde und Musher legen zwischen 20 und 41 Kilometer am Tag zurück und überwinden zusätzlich bis zu 1420 Höhenmeter. 100 Musher und 1100 Hunde aus zehn Ländern nehmen teil.

Zu dem Sport kam er zufällig: Der Husky seiner damaligen Partnerin büchste ständig aus und war völlig unterbeschäftigt

Fünf Tage verbringt Jürgen Stolz mit seinen zwölf Hunden zum Training in Südtirol. Die erste Runde hat er morgens bei minus zehn Grad absolviert. Die Tiere stört die Kälte nicht. Mit ihrem dicken Fell halten sie weitaus kühlere Temperaturen aus. Stolz hat da schon mehr zu kämpfen. "Zum Ende der Saison stehe ich kurz vor einem Burnout", sagt der Unternehmer. Seine Mitarbeiter halten ihm für seine Leidenschaft den Rücken frei. Das ist Luxus, weil er mit dem Sport kein Geld verdient. Er ist einer der wenigen, der zumindest von einem Futterhersteller gesponsort wird. Von April bis September ist dann Pause, weil es ab 15 Grad zu warm für die Hunde wird.

Stolz trägt einen eisblauen Overall, dick gefütterte Stiefel und eine graue Mütze. Sein Gesicht ist von der Kälte rotbraun gefärbt, seine hellen Augen stechen markant daraus hervor. Der 54-Jährige, der mit seinen 21 Hunden auf einem Hof bei Landsberg am Lech wohnt, ist fünfmaliger Weltmeister im Achtergespann im Sprint. Zu dem Sport ist er vor 30 Jahren eher zufällig gekommen. Der Husky seiner damaligen Partnerin büchste ständig aus und war völlig unterbeschäftigt. Stolz begann mit dem Schlittentraining. Der Sport gefiel ihm so gut, dass er bis heute dabei geblieben ist. Die internationalen Wettkämpfe in den Sprintdistanzen hat Stolz dieses Jahr schon absolviert. Zwei erste Ränge und ein dritter Platz, so lautet seine Bilanz. Was ihn an dem Sport fasziniert? Erfolge erzielen und Natur erleben, "aber das Wichtigste ist, dass es meinen Hunden gut geht".

Das Hundewohl ist ein großes Thema in diesem Sport, der ausschließlich auf der Leistungsfähigkeit der Hunde basiert. Jürgen Stolz war lange Zeit Tierschutzbeauftragter bei Wettbewerben, aber er hatte irgendwann keine Lust mehr, sich bei anderen unbeliebt zu machen. Heute konzentriert er sich auf das Wohl seiner eigenen Hunde. Es kann schon mal vorkommen, dass ein Husky einen schlechten Tag hat und beim Training zu erschöpft ist, um weiterzugehen. Am Schlitten hat Stolz für diesen Zweck einen Sack, in dem bis zu zwei Hunde Platz finden. Dort können sie sich erholen. Beim Lekkarod durchlaufen die Hunde vorab Gesundheitschecks, es gibt Dopingkontrollen und auch Untersuchungen mit Ultraschall.

Der Leitrüde fehlt - das Rennen wird dadurch eine noch größere Herausforderung

"In Huskys steckt noch viel Wolf drin", sagt Stolz, während er mit einer langstieligen Schaufel Hundekot vom gefrorenen Schnee aufnimmt. Das merkt Stolz zum Beispiel jeden Morgen etwa um fünf Uhr, wenn seine Hunde ein Heulkonzert anstimmen. Sie sehen erstaunlich unterschiedlich aus, einige ähneln tatsächlich Wölfen. Lola hingegen ist gerade einmal 40 Zentimeter hoch, hat weißes Fell mit rötlichen Flecken, kleine spitze Ohren und Energie für die ganze Gruppe. Erik, der Opa, ist elf Jahre alt. Sprints schafft der schwarze Rüde mit der typischen weißen Gesichtszeichnung nicht mehr so gut. Die Spitzengeschwindigkeiten bis zu 35 Stundenkilometer im Galopp sind ihm zu viel. Das Lekkarod legen die Hunde im Trab zurück, um ihre Energie auf die neun Tage zu verteilen. Da hält er mit.

Stolz legt den Hunden ihr Geschirr an und spannt sie vor den Schlitten. Lola läuft vorne, Erik hinten, Duplo in der Mitte. Der leichte Schlitten nimmt schnell an Fahrt auf. Stolz steht auf den schmalen Kufen, die Leinen in der Hand. Duplo schaut öfters zurück. "Ich habe ihn das erste Mal auf dieser Position", sagt Stolz mit lauter Stimme. Bisher sei er hinten gerannt, jetzt ist er etwas verwirrt; alles Gewöhnung. Die Hunde lieben es, zu rennen. Zwingen kann man sie dazu ohnehin nicht.

Nach der Trainingsrunde mit 17 Kilometern und 600 Höhenmetern versorgt Stolz seine Hunde erneut. Sie bekommen Brühe und Kauknochen. Danach bringt er sie in ihre mit Stroh ausgelegten Boxen, sie blicken mit gespitzten Ohren durch die Gitterstäbe. Ob Jürgen Stolz das Lekkarod diesmal gewinnen kann? Zumindest wird er ohne seinen Leitrüden klarkommen müssen. Friday, das hat sich mittlerweile entschieden, hat sich nicht schnell genug erholt. Seine Box wird auch beim Spektakel zu Füßen des Mont Blanc leer bleiben.

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