Leichtathletik-EM:Mit "Halli Galli" zur Silbermedaille

Leichtathletik-EM: Pamela Dutkiewicz und Cindy Roleder feiern ihre Medaillen.

Pamela Dutkiewicz und Cindy Roleder feiern ihre Medaillen.

(Foto: AFP)
  • Pamela Dutkiewicz und Cindy Roleder gewinnen Silber und Bronze über 100 Meter Hürden.
  • Nach vielen Rückschlägen ist es ein weiterer Erfolg für Pamela Dutkiewicz.
  • Das starke Mannschaftsergebnis zeigt, dass der deutsche Hürdensprint auf einem guten Weg ist.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Als die Konkurrentinnen Trainingsläufe machten, schlug Pamela Dutkiewicz auf eine Glocke. Die Glocke gehört zum Spiel "Halli Galli", es enthält Karten mit aufgedruckten Bananen, Limetten, Pflaumen und Erdbeeren, und wenn fünf Früchte derselben Sorte aufgedeckt werden, muss die Glocke gedroschen werden. "Ich dachte, ich halte mich damit wenigstens reaktionsmäßig fit", sagte Dutkiewicz nun in Berlin. Sie klingelte so vor sich hin, als sie wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel nicht trainieren konnte, das war Anfang Juni. Und so viel lässt sich nach der Auswertung ihres Finals über 100 Meter Hürden bei der EM in Berlin feststellen: An der Reaktionszeit hat sie auch durch ihren Ausfall nichts eingebüßt.

Wer als Hürdensprinter Medaillen gewinnen will, muss unterschiedliche Dinge meistern, und die ganze Angelegenheit beginnt im Grunde mit dem fünften Früchtchen, in Form des Startschusses. Statt flinken Fingern folgen dann im Idealfall schnelle Beine und eine feine Technik, um das Springen über die Hürden nicht nur problemlos, sondern auch hurtig zu erledigen. Von Dutkiewicz weiß man, dass sie das hervorragend kann: 2017 in London hatte sie sich mit WM-Bronze für eine berauschende Saison nach vielen betrüblichen Jahren belohnt und war danach völlig überwältigt. Und 2018 in Berlin? Da klappte es in 12,72 Sekunden mit Silber, nur die Weißrussin Elwira Herman war schneller. "Drama pur", nannte Dutkiewicz später das Finale.

Für den deutschen Hürdenlauf war dieser Abend in Berlin ein kleines Erweckungserlebnis, es hatten gleich drei deutsche Frauen im Finale gestanden: Dutkiewicz, Cindy Roleder und sogar Ricarda Lobe - die 24-Jährige erlebte ihre Premiere bei einer großen internationalen Meisterschaft, sie wurde Fünfte (13,00 Sekunden). Roleder war 2015 WM-Zweite, hatte 2016 EM-Gold geholt, 2017 folgte ein schwieriges Jahr, der Ischiasnerv war entzündet, sie musste ihre Saison abbrechen und verpasste die WM. "Ich habe einige Wehwechen, auch derzeit, es zwickt und zwackt immer mal", sagte sie, "aber ich habe gespürt: ich bin in Form gewesen." Diese Form hat die 28-Jährige auf den dritten Platz getragen, in 12,77 Sekunden, für sie Saisonbestleistung. "Natürlich wollte ich es den Mädels so schwer wie möglich machen, mir den Titel wegzunehmen", sagte sie, "aber ein dritter Platz, eine Medaille um den Hals, ist immer super."

Das Drama, auf das sich Dutkiewicz bezog, hatte in erster Linie mit dem Wetter zu tun: Ein Gewitter näherte sich dem Olympiastadion, der Regen fiel schon, es stürmte. "Wir hatten am Start Gegenwind, und das ist dann in Rückenwind umgeschlagen", berichtete Roleder. Keine einfachen Bedingungen, am Ende war sie schließlich "viel zu nah dran an den Hürden", aber das reicht bei ihrer Erfahrung dann eben doch noch zu Bronze. Dutkiewicz meisterte die Situation, weil sie stressresistenter geworden ist und die Zeit in Berlin ohnehin genießen konnte. Kurz vor dem Hürdenfinale hatten gerade die Speerwerfer Thomas Röhler und Andreas Hofmann ihren Triumphzug beendet, die Zuschauer im Stadion waren wegen des Doppelerfolges entsprechend aufgeheizt. "Ich habe so was noch nie erlebt und werde es vermutlich auch nicht mehr erleben", sagte Dutkiewicz, "man kommt rein und es wird gejubelt, obwohl man noch nichts gemacht hat." Der Applaus, die Deutschland-Fahnen, die Begeisterung, das alles gab ihr das Gefühl, sie würden behandelt "wie kleine Stars". Ein Status, der ihr seit WM-Bronze vor einem Jahr ja ohnehin anheftet.

Der Weg nach oben war für Dutkiewicz ein langwieriger, obwohl sich ihr Talent schon früh abgezeichnet hatte. 2010, mit 19 Jahren, "habe ich meinen ersten Schlag bekommen", erzählte sie vor dem EM-Start: Dass sie trotz unterbotener Norm nicht mit zur U20-WM durfte, wurmte sie. "Da habe ich gemerkt, wie hart das Business ist", sagte sie, was für die anstehenden Aufgaben vielleicht nicht so schlecht war. Schon in der Jugend musste sie Trainer überstehen, die ihr erzählen wollten, sie sei zu dick. Sie überstand 2012 auch den Unfall der Dortmunder Schwebebahn, die von einem LKW gerammt wurde, mit einem Schleudertrauma; sie überstand die Bänderrisse, die sie sich 2015 in beiden Füßen zugezogen hatte. Und sie hat gelernt, dass sie einen eigenen Weg finden muss, ihre Ziele zu formulieren. "Für mich funktioniert es nicht, wenn ich an der Startlinie denke: Ich will eine Medaille", sagte Dutkiewicz "das Ziel ist immer, schnell zu laufen. Und wenn ich dann im Ziel bin, vergleiche ich mich." Für die Silbermedaille nun war sie "dankbar" und genauso zelebrierte sie dann auch den Erfolg.

"Ich habe einmal kurz die Augen geschlossen, als ich im Ziel stand, um einmal kurz hören: Wie hört es sich an, wie fühlt es sich an?", sagte sie noch, schon in London hatte sie das so gemacht. "Robert Harting hat mir damals gesagt: Genieß das. Die Emotionen kriegst du nicht noch einmal." Und ja, diese EM-Medaille war vom Gefühl etwas anderes. "London war losgelöst und wunderbar", sagte Dutkiewicz, "und hier war es ein Happy End."

Sie ist ja neu in den Fokus gerückt nach der WM-Medaille, aber natürlich waren da auch eigene Erwartungen, die gezeigte Leistung zu bestätigen. "Ich weiß, es kommt nicht noch mal in meiner Karriere eine internationale Medaille auf heimischem Boden", sagte Dutkiewicz, "ich wollte unbedingt noch mal so ein Ding um den Hals hängen haben." Das neue Gefühl kommt zu dem alten aus London, die hat sie nun beide konserviert, sagte sie noch. Und im Leistungssport ist es ja so: Glück in Dosen kann man immer parat haben.

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