Das unbeliebteste Teil an einem Rennwagen ist vermutlich der Rückspiegel. Formel-1-Piloten schauen nicht gern nach hinten, lieber nach vorne, und diese Denkweise greift auch auf die Psyche der Fahrer über. Nico Hülkenberg mit seinen bald 37 Jahren ist das perfekte Beispiel dafür: Eigentlich war er schon in der Rente – jetzt gilt er als der Aufsteiger des Halbjahres. Der damalige Haas-Teamchef Günther Steiner holte ihn 2023 überraschend zurück und der Mann aus Emmerich, einst als größtes Talent nach Michael Schumacher gehandelt, überraschte nun sich selbst und alle anderen. Nach aktuell zwei sechsten Plätzen in Serie hat Hülkenberg maßgeblichen Anteil daran, dass der kleinste Rennstall der Königsklasse den größten Sprung gemacht hat, und gelegentlich sogar den Motoren- und Teilelieferanten Ferrari hinter sich lassen kann.
Vor dem Start in die zweite Hälfte mit dem Großen Preis von Ungarn hat sich Vagabund Hülkenberg, der in seinen 13 Grand-Prix-Jahren für sechs Rennställe an den Start gegangen ist, doch weiter zurückerinnert. Mit ein bisschen Wehmut hat er an die Zeit gedacht, als er bei Red Bull Racing als Nebenmann von Max Verstappen im Gespräch war. Es hat dann aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt, sein damaliger Force-India-Kollege Sergio Perez bekam den Job. Der Mexikaner wurde im Windschatten des Weltmeisters vergangenes Jahr Vize, steht aber nach zuletzt desolaten Leistungen trotz eines frisch verlängerten Zwei-Jahres-Vertrages zur Disposition. Wenn er nicht schleunigst zurück zum Erfolg findet, könnte er schon nach der Sommerpause ausgetauscht werden.

Hamilton-Sieg in der Formel 1:„Ich konnte einfach nicht aufhören zu heulen“
Nach zweieinhalb Jahren gewinnt Lewis Hamilton wieder ein Formel-1-Rennen – ausgerechnet in Silverstone, in seiner letzten Saison im Mercedes. Nach dem Sieg spricht der Brite über seine lange Leidenszeit.
Ein Maßstab, an dem sich Perez messen lassen muss, ist Hülkenberg. Der kam in den beiden jüngsten Rennen auf 16 WM-Punkte, der Mexikaner blieb punktlos. Hülkenberg wäre der ideale Ersatzmann bei Red Bull Racing, nicht nur, weil er Niederländisch kann. Aber das ist nicht mehr möglich, schon früh im Jahr ist Hülkenberg dem Ruf von Teamchef Andreas Seidl in die Schweiz gefolgt, wo er mit seiner Routine dazu beitragen soll, dass aus Sauber das Audi-Werksensemble wird. Haas sei er für immer dankbar, überhaupt eine zweite Chance erhalten zu haben, weshalb er seinem Vorgesetzten Ayao Komatsu bei seiner Kündigung gleich versprochen hat: „Für mich und für uns ändert sich in diesem Jahr nichts, ich werde bis zur letzten Kurve hundert Prozent geben.“
Der Wechsel von Steiner zu Komatsu hat sich positiv ausgewirkt
Mit dieser Einstellung ist er durch sein Comeback-Jahr gekommen, als der Haas-Rennwagen zwar auch schon schnell war, aber leider auch tödlich für die eigenen Reifen. Auf einer Qualifikations-Runde konnte Hülkenberg brillieren, im Rennen ging es dann meist rückwärts. Aber er hat sich durchgebissen. Seinen Trick verriet er dem Fachmagazin GP Racing: „Es gibt nur 20 Jungs weltweit, die das überhaupt machen können. Selbst wenn man glaubt, es ist hart, muss man nur mal einen Schritt zur Seite machen. Dann sieht man: So schlimm ist es eigentlich gar nicht. Es ist eben alles relativ.“ Hülkenberg liegt auf Rang elf der Fahrer-WM, das Team ist Siebter der Konstrukteurswertung. Schon fünfmal ist er nur um einen Platz an weiteren Punkten vorbeigeschrammt. „Wir haben uns selbst überrascht“, gibt er gern zu, „jetzt geht es ans maximieren.“
Das hat auch viel mit einer veränderten Kultur zu tun. Nach der überraschenden Entlassung von Günther Steiner, dem Poltergeist der Boxengasse, kam mit dem bisherigen Technikchef Komatsu ein zurückhaltender, aber ebenso zäher Formel-1-Enthusiast an die Spitze. Ein Kulturschock, aber im positiven Sinne. Wo der Südtiroler markige Sprüche nach außen absetzte, wirkt der höfliche Japaner nach innen. Die bewusste Tiefstapelei zahlt sich aus. Heimlich, schnell und leise hat sich Haas zu einer ernst zu nehmenden Größe im Feld gemausert. Sowohl der Hauptsponsor, ein US-Finanzdienstleister, als auch Lieferant Ferrari haben ihre Verträge gerade langfristig verlängert.
Mit Maranello läuft es besser, seit die Zusammenarbeit der Ingenieure intensiviert wurde. Haas ist ein Patchwork-Rennstall, mit seiner Zentrale in Kannapolis, US-Bundesstaat North Carolina, der Teambasis im mittelenglischen Banbury und einer Filiale in Italien. Künftig könnte noch Köln-Marsdorf mit in die komplizierte Logistik einbezogen werden, wo die Motorsportzentrale von Toyota angesiedelt ist. Offensichtlich sucht der japanischen Autohersteller wieder nach Anschluss zur Formel 1, die Infrastruktur dort ist immer noch erstklassig.
Kevin Magnussen geht – kommt nun Esteban Ocon?
Die einzige Chance des Teams, mit den fünfmal größeren Mannschaften der Konkurrenten mitzuhalten, liegt in einer größeren Effizienz. Teambesitzer Gene Haas, der die Motorsportaktivitäten als Werbekolonne für sein Maschinenbauunternehmen, vor allem aber als renditeträchtige Geldanlage sieht, ist ein Sparkommissar in eigener Sache. Jüngstes Beispiel: Nachdem Hülkenbergs Teamkollege Kevin Magnussen am Donnerstagmorgen in Budapest seinen Abschied zum Saisonende hin angekündigt hatte, schien die Bestätigung seines Nachfolgers nur noch eine Frage von Stunden zu sein. Der Franzose Esteban Ocon war die logische Wahl, die Gespräche schon weit fortgeschritten. Aber Gene Haas zögert aus taktischen Gründen noch mit der Verkündung. Könnte ja sein, dass sich auf dem chaotischen Fahrermarkt in dieser Saison noch mehr tut – und sich Ocons Gehaltsforderungen damit drücken ließen. Mit Nico Hülkenberg hatte der Milliardär, ein gelernter Buchhalter, ja bereits ein ähnliches Schnäppchen gemacht.
Hülkenbergs Ruf als Problemlöser wird beim Neuanfang mit Audi gefragt sein, Sauber ist momentan punktloses Schlusslicht. Bange machen gilt nicht, Hülkenberg behauptet, er sei überhaupt nicht beunruhigt, was 2025 angeht: „Es wird ein schwieriges Jahr für mich, keine Frage. Aber es ist nur das erste von hoffentlich vielen. Da kann sich über den Winter viel ändern.“ Er spricht aus Erfahrung, seiner Erfahrung mit Haas.