Führungskrise beim Hamburger SV:Der sonderbare Herr Professor Wüstefeld

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Thomas Wüstefeld gelangte als HSV-Vorstand in elitäre Kreise in der Hansestadt - doch was hat er daraus gemacht? (Foto: Oliver Ruhnke/Imago)

Der höchst umstrittene HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld tritt zurück - und hinterlässt neben zahlreichen Fragen auch eine Menge Chaos beim Traditionsklub.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Thomas Wüstefeld schien sich in dieser Situation nicht ganz wohl zu fühlen. Der damalige Vorstand des Hamburger SV stand Mitte August in den Katakomben des Volksparkstadions, als die HSV-Spieler nach einem 1:2 gegen Darmstadt 98 zurück in die Kabine stapften. Nun ist allgemein bekannt, dass Fußballer nach Niederlagen gerne in Ruhe gelassen werden, aber Wüstefeld war in diesem Moment offenbar klar, dass er jetzt handeln musste. Wie sähe das sonst aus? Lauter HSV-Spieler, die vor der versammelten Medienlandschaft einfach an ihrem Vorgesetzten vorbei schleichen, ohne diesen eines Blickes zu würdigen?

Nein, so ein fatales Bild darf im Fußball keinesfalls erzeugt werden. Wüstefeld ging ein paar Schritte Richtung Kabinentür, seine Hand schien bereit, von anderen Händen abgeklatscht zu werden. Doch den HSV-Spielern war das egal. Sie gingen an dem Mann vorbei, der in seiner Position als Finanzchef deren Gehaltszahlungen verantwortete. Und sie würdigten ihn keines Blickes.

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In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gab der HSV nun bekannt, dass die Akte Wüstefeld ein für alle Mal geschlossen wurde. "Dr. Thomas Wüstefeld tritt zurück", teilte der Traditionsklub gegen 23 Uhr nach einer außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrats mit, und es passt ins Gesamtbild seines Wirkens bei den Hamburgern, dass sogar so etwas Banales wie eine Überschrift einer Pressemitteilung einen merkwürdigen Beigeschmack hat.

Die Personalie Wüstefeld steht exemplarisch für den Niedergang des HSV

"Dr." Thomas Wüstefeld? An seiner akademischen Laufbahn, in der er nach eigenen Angaben auch einen Professorentitel erwarb, gibt es erhebliche Zweifel. So wie Wüstefeld insgesamt bis zuletzt ein einziges Rätsel geblieben ist. "Ein Traumtänzer und Halsabschneider", sagt einer, der mit ihm in der Geschäftsstelle des HSV zusammengearbeitet hat.

Und das ist noch einer der dezenteren Wortbeiträge, die man in den vergangenen Monaten zum Thema Wüstefeld zu hören bekam, nicht nur von Mitarbeitern des HSV, sondern auch von Hamburger Lokalpolitikern, ehemaligen Geschäftspartnern, Verantwortlichen anderer Profiklubs. Fest steht: Wüstefeld, 53, ist eine der sonderbarsten Figuren, die zuletzt im deutschen Profifußball gewirkt haben - und sie erzählt einiges darüber, warum der HSV, der in der Branche als potenzieller Gigant angesehen wird, seit fünf Jahren in der zweiten Liga herumkrebst.

Marcell Jansen (Mitte) und Jonas Boldt (links) müssen sich nun überlegen, wie es ohne Wüstefeld weitergeht beim HSV. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Es ist nicht mal ganz klar, wann die Beziehung zwischen dem HSV und Wüstefeld genau beginnt. Offiziell auf die Bühne trat der Unternehmer im Oktober 2020, als er dem Investor und Milliardär Klaus-Michael Kühne für 14,2 Millionen Euro 5,11 Prozent der Anteile an der HSV Fußball AG abkaufte. Doch die Verästelungen der Vorgeschichte reichen weiter: Der Kontakt zu Kühne kam über den HSV-Präsidenten Marcell Jansen zustande, mit dem Wüstefeld ein freundschaftliches Verhältnis pflegt, seit sich die beiden bei einer Veranstaltung kennenlernten. Wüstefeld präsentierte dort ein PCR-Testgerät, das angebliche Vorzeigeprodukt seines Medizinunternehmens; Jansen war begeistert.

HSV-Präsident Marcell Jansen und Wüstefeld unterhielten auch außerhalb des Fußballs Geschäftsbeziehungen zueinander

Der HSV wurde deshalb nicht nur in der Hochphase der Corona-Krise mit den Geräten ausgestattet. Es kam auch zu weiteren Geschäftsbeziehungen zwischen Wüstefeld und Jansen, die schließlich im Anteilskauf mündeten. Dann ging alles sehr schnell: Wüstefeld wurde quasi über Nacht HSV-Aufsichtsratsschef und rückte wenig später interimsmäßig in den HSV-Vorstand, pro bono, wie die Beteiligten gerne erzählten. In Hamburg wird so ein Posten aber vor allem mit immateriellem Wert bezahlt, denn kaum ein anderer Fußballklub garantiert einen derart rasanten Aufstieg in gesellschaftliche Kreise, die sonst unerreichbar gewesen wären.

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Kommentar von Thomas Hürner

Der HSV, so krisenumwittert der Klub in der jüngeren Vergangenheit gewesen sein mag, ist eine Eintrittskarte ins hanseatische Establishment. Als Verantwortlicher erhält man auf einmal Zugang in den Hamburger Senat und zu den wichtigsten Kaufleuten und Unternehmen, man wird zur Person des öffentlichen Lebens. Die Strukturen des HSV ziehen seit Dekaden Leute an, die sich einen Statusgewinn versprechen. Auch Wüstefeld stand auf einmal im Rampenlicht. Und es schien ihm zu gefallen.

Mit Fußball hatte er sein Leben lang nichts zu tun, auch sonst ist wenig über ihn bekannt. Von sich selbst sagt Wüstefeld, dass er seit Kindestagen HSV-Fan sei, aber ganz früher habe er auch mal in Schalke-04-Bettwäsche geschlafen. Auch davon abgesehen steckt seine Biografie voller Ungereimtheiten, die in den vergangenen Monaten insbesondere durch Recherchen des Hamburger Abendblatts aufkamen.

Es ging los mit Berichten über Millionenklagen gegen Wüstefelds Firmen, Strafanzeigen wegen Betrugs und Untreue, angebliche Verkäufe von nicht zugelassenen Medizinprodukten. Es ging weiter mit den Zweifeln an seinen akademischen Titeln, deren Herkunft Wüstefeld nie plausibel erklären konnte. Auch in gängigen Datenbanken sind laut Abendblatt keine Hinweise dazu zu finden.

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Der Unternehmer war ein Jahr lang einer der verlässlichsten Schlagzeilenproduzenten, die der HSV je hatte. Und er hat es geschafft, sich in dieser Zeit mit allen anzulegen, die bei den Hamburgern sonst etwas zu sagen haben: Mit dem Sportvorstand Jonas Boldt, dem er über Wochen das eigentlich zugesagte Transferbudget vorenthielt, mit dem das Profiteam im Sommer verstärkt werden sollte. Mit dem Investor Kühne, dem er vorwarf, HSV-Anteile über Wert an ihn verkauft zu haben.

Wüstefeld wollte Boldt und Kühne mutmaßlich aus dem Verein drängen, um mehr Einfluss zu gewinnen und weitere, billigere Anteilskäufe beim HSV zu tätigen. Erreicht hat er das exakte Gegenteil: Boldt ist interimsmäßig zum Leiter des gesamten operativen Geschäfts ernannt worden. Und Kühne steht weiter mit seiner 120-Millionen-Euro-Finanzspritze in den Startlöchern, die zur wirtschaftlichen Gesundung des Traditionsklubs beitragen soll.

Wüstefeld fabulierte von einem 200-Millionen-Projekt für den Hamburger Volkspark

Bei Wüstefeld, der alle Vorwürfe bestreitet, war nie ganz klar, welche Rolle er gerade spielt. Das ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen: Mal gab er den Mahner, der den finanziell maroden Verein dem Untergang geweiht sieht, nur um kurz darauf von einem 200-Millionen-Euro-Projekt zu fabulieren, mit dem der Hamburger Volkspark zu einem hochmodernen Event-Areal ausgebaut werden sollte. In der Realität hat es Wüstefeld nicht geschafft, einen Bürgen für einen Kredit in Höhe einer zweistelligen Millionensumme aufzutreiben, der die Sanierung des Stadions für die EM 2024 gewährleisten soll. "Die EM ist nicht in Gefahr", hatte Wüstefeld immer wieder versichert. Mittlerweile scheint das nicht mehr so sicher zu sein.

Dass Wüstefeld überhaupt so lange im Amt bleiben konnte, liegt an seiner guten Beziehung zum HSV-Präsidenten Jansen, der seit Januar auch dem Aufsichtsrat vorsitzt. Der frühere Nationalspieler spannte einen stabilen Schutzschirm über Wüstefeld, an dem alle Anschuldigungen abprallten, und er sah auch keinen Interessenkonflikt darin, dass die beiden abseits des Fußballs miteinander Geschäfte machten. Im Klub und unter den Anhängern gibt es schon länger Stimmen, die Jansens Rücktritt fordern. Der Schaden ist aber bereits angerichtet: Die Telekom möchte ihr Engagement als Großsponsor beim HSV beenden, angeblich, weil man beim Konzern einen Imageverlust wegen der Personalie Wüstefeld befürchtet.

Wüstefeld dürfte nun erst einmal von der Bildfläche verschwinden. Dass sich der Unternehmer an diesem Freitagabend, wenn der Tabellenführer HSV zum Zweitliga-Spitzenspiel bei Hannover 96 antritt, wenigstens noch beim Profiteam verabschieden darf, ist ebenfalls kaum denkbar. Hamburgs Coach Tim Walter hat Wüstefeld zu Saisonbeginn wutschnaubend aus der Kabine verbannt, weil dieser auf einmal die Ticketkosten für Familienmitglieder vom Gehalt abzog. Vorher angekündigt hatte Wüstefeld dieses Manöver nicht.

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