Süddeutsche Zeitung

HSV vor dem letzten Spieltag:"Nach Sandhausen fahre ich nicht"

Willi Schulz war einst Vorstopper beim Hamburger SV, in der schlimmsten Saison des Vereins leidet er nun auf der Tribüne. Der 75-Jährige plädiert für mehr Sport-Kompetenz in den Gremien - und dafür, den einstigen Manager Beiersdorfer aus St. Petersburg zurückzuholen.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der erste Satz, den Willi Schulz, 75, sagt, ist: "Ich liebe den Fußball." Das ist überraschend, weil er im Prinzip ein nüchterner Mensch ist. Einer, der als Innenverteidiger (damals Vorstopper oder Libero) die Stürmer stets seine spitzen Knochen hat spüren lassen und eher Drei-Meter-Pässe spielte als einen Fehler zu riskieren. Zum Hamburger SV muss diese Liebe ebenfalls groß sein.

Selbst in dieser schlimmsten HSV-Saison der Geschichte hat er fast alle Spiele gesehen. Zweimal war er sogar auswärts dabei - in den Logen seiner ehemaligen Gegenspieler Bernd Gersdorff in Braunschweig und Dieter Burdenski in Bremen. Das waren (von den Niederlagen der Hamburger abgesehen) schöne Zusammenkünfte, erinnert sich Schulz, der sich bei der WM 1966 in England den glorreichen Namen "World-Cup-Willi" erkämpfte.

Man kann sich trotzdem kaum vorstellen, dass der einstige Abwehrkämpe, der seit bald 50 Jahren neben dem legendären HSV-Sportplatz Ochsenzoll wohnt, am späten Samstagnachmittag nach dem Spiel bei Mainz 05 ein paar Tränen vergießen wird, sollte sein Klub tatsächlich erstmals abgestiegen sein in seiner 127-jährigen Historie. Dabei wäre das auch für Schulz "sehr schmerzhaft und furchtbar", wie er sagt. Er widerspricht auch denen, die behaupten, das wäre die Quittung für jahrelange Misswirtschaft. Würde der HSV nicht mehr in der ersten Bundesliga mitspielen, wäre das für ihn "wie der Hafen ohne Wasser". Eines aber hat er trotz der Liebe schon angekündigt: "Nach Sandhausen fahre ich nicht." Sandhausen ist zweite Liga.

Der 66-malige Nationalspieler Willi Schulz (drei WM-Teilnahmen) hat auch als Funktionär ein paar bessere Jahre beim HSV mitgemacht. 2004 bis 2009 hat er die Aufschwung-Jahre unter Sportchef Dietmar Beiersdorfer im Aufsichtsrat begleitet. Er war damals der einzige ehemalige Fußballer in dem Kontrollgremium, heute sitzt dort kein Ex-Profi mehr. Für Schulz ist das einer der Gründe, weshalb es mit dem HSV seit langem abwärts geht.

"Mehr Fußball-Kompetenz geht nicht"

Manche peinliche und teure Entscheidung, da ist er ganz sicher, wäre nicht passiert, wenn dort mehr sportliche Kompetenz beisammensitzen würde. Denn in dem einstigen Zwölfer-Rat, das ist seine Erfahrung, muss man "erst um die Mehrheit kämpfen, um etwas zu bewegen". Und das ist fast unmöglich, wenn dort der eine oder andere seine ganz eigene Politik macht.

Auch Willi Schulz zählt zu jenen Leuten, die den früheren Rivalen FC Bayern noch immer als Vorbild sehen. Das hat er auch Ernst-Otto Rieckhoff, dem Initiator des Ausgliederungsmodells "HSVPlus", mit auf den Weg gegeben. Schon der frühere Meistertrainer Max Merkel, so erzählt es Schulz, sei beeindruckt gewesen, weil auf der Bayern-Geschäftsstelle "fast in jedem Zimmer ein Fußballer saß".

Insofern sei es schon der richtige Weg, wenn "HSVPlus" viele frühere Profis wie Thomas von Heesen, Peter Nogly, Ditmar Jakobs, Holger Hieronymus und - im Hintergrund - Horst Hrubesch im Boot habe. "Mehr Fußball-Kompetenz geht nicht. Ich wünsche den Herren viel Glück beim Umbruch."

Dass die HSV-Führung seit Jahren versagt hat, würde Willi Schulz nie öffentlich sagen. Gleichwohl denkt er, der HSV komme nicht drum herum, sich dem Zeitgeist des Fußballgeschäfts anzupassen. Es könne doch nicht sein, dass die Mitglieder jemanden in den Aufsichtsrat wählen, weil der unter seinem Jackett ein HSV-Trikot trägt. Andererseits sei es "ein frommer Wunsch und menschlich schwer umzusetzen", wenn man erwarte, der derzeitige Vorstand würde einsehen, er sei überfordert und trete deshalb zurück.

Gleichwohl sei es wichtig, dass neben der Kompetenz auch das Herz dabei ist, sagt der alte Mitspieler von Uwe Seeler. Ein Trainer, dessen Familie 600 Kilometer entfernt wohne und der bei jeder Gelegenheit nach Hause fährt, sei nicht der Richtige. Das traf besonders auf Coach Nummer zwei in dieser Saison zu, den Niederländer Bert van Marwijk. Ein Trainer werde "von den Spielern scharf beäugt", die nähmen sofort zur Kenntnis, wenn einer sich nicht total einbringe. "Das", sagt Willi Schulz, "ist nicht leistungsfördernd."

Auch deshalb wäre er sehr dafür, dass der HSV Dietmar Beiersdorfer von Zenit St. Petersburg zurückholen würde, egal, ob als Sportchef oder als Vorstandsvorsitzender. "Der hat Herz und Kompetenz", sagt Schulz. Und er sei fleißig. Nur wenn man fleißig sei, gelingen einem Transfers wie einst mit dem jungen van der Vaart, mit Boulahrouz, de Jong, Kompany, Olic oder van Buyten. Alle machten später Karriere, nur meist bei anderen Klubs.

Die Zeit drängt, denn Ähnliches droht dem HSV auch jetzt wieder. Hakan Calhanoglu, 20, der Freistoß- und Weitschuss-Experte mit den elf Saisontoren, hat zugegeben, dass sich der FC Bayern für ihn interessiert ("Das macht mich schon stolz").

Viel wäre also für einen wie Beiersdorfer schon jetzt zu tun; um ihn allerdings zur Rückkehr zu bewegen, bräuchte der HSV nicht nur ein gutes Konzept, sondern auch Finanzkraft. "Jeder, der Geld geben will, ist willkommen", sagt Schulz, egal wer. Da spricht der Kaufmann, der beschreibt, wie groß die Not des HSV wirklich ist.

Am Samstag wird er sich das Spiel in Mainz daheim im TV anschauen. "Glück auf", sagt Willi Schulz vor der entscheidenden Partie. Denn der Hanseat ist ja in Wirklichkeit ein Westfale aus dem Kohlenpott.

Hamburg? Nürnberg? Braunschweig? Zwei steigen direkt ab, einer kommt in die Relegation. Was Eintracht-Idol Bernd Gersdorff und Club-Legende Thomas Brunner berichten, lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung vom 10./11. Mai 2014, sowie in der digitalen Ausgabe auf dem iPad oder Windows 8.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2014/fued
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