HSV verpflichtet Argentiniens Kapitän:Der bunte Vogel fliegt gern links

Lesezeit: 3 min

Juan Pablo Sorin gilt als kulturbeflissener Rebell und Weltenbummler. Nun will der Kapitän der argentinischen Nationalmannschaft beim Hamburger SV sesshaft werden.

Jörg Marwedel

Die Formalitäten kennt Juan Pablo Sorin, 30, schon aus dem Effeff. Ankunft am Flughafen, weiter zum obligatorischen medizinischen Check beim Vereinsarzt, dann mit einem Klubvertreter zur Ausländerbehörde wegen der Arbeitserlaubnis und schließlich zur Unterzeichnung eines Vertrages beim neuen Arbeitgeber.

Jubelt künftig für den HSV: Juan Pablo Sorin, Kapitän Argentiniens. (Foto: Foto: AP)

Juan Pablo Sorin hat solche Prozeduren schon oft hinter sich gebracht, denn er hat in den zwölf Jahren seiner Profikarriere bereits für acht Profiklubs Fußball gespielt. In seinem Heimatland Argentinien für die Argentina Juniors und River Plate Buenos Aires, in Brasilien für Corinthians Sao Paulo, in Frankreich für Paris St.Germain, in Italien bei Rekordmeister Juventus Turin und Lazio Rom, in Spanien beim FC Barcelona und zuletzt beim FC Villarreal.

Er hat auf Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Italienisch und Englisch über die Leidenschaft für den Fußball und sein Heimatland erzählt, denn er redet gern, gut und ein bisschen pathetisch. Und bald wird er dies, da darf man ziemlich sicher sein, auch auf Deutsch tun. Die gestrigen Formalitäten brachte Sorin nämlich in Hamburg hinter sich. Und am Ende hatte er einen Kontrakt unterschrieben, der ihn bis 2009 an den Hamburger SV bindet.

HSV-Trainer Doll: "Ein Weltklasse-Spieler"

Das ist eine lange Zeit für einen Weltenbummler, so lang, wie er es in der Fremde noch nirgendwo am Stück ausgehalten hat. Beim HSV ist man dennoch glücklich über den Coup, einen der buntesten Vögel des Weltfußballs eingefangen zu haben. Knapp drei Millionen Euro Ablöse, ein ähnlich hohes Jahresgehalt und ein ebenfalls siebenstelliges Handgeld haben den Spieler mit dem wallenden Langhaar und seinen alten Arbeitgeber FC Villarreal überzeugt, nachdem er sich dort mit Trainer Manuel Pellegrini überworfen hatte und zuletzt nicht mehr im Kader stand.

Und vielleicht war es auch ein bisschen der begeisterungsfähige Hamburger Coach Thomas Doll, der mit dem neuen Star bereits auf Italienisch ein paar taktische und strategische Fragen erörtert hat und nun schwärmt: "Ein Weltklasse-Spieler. Einer mit ganz großer internationaler Erfahrung, der auch in der Champions League spielen möchte."

Tatsächlich bekommt die Bundesliga in Sorin nicht nur einen Spieler, der "die ganze linke Seite beackert" (Doll), schnell, ballsicher und trotz seiner geringen Körpergröße von 1,72 Meter recht kopfballstark ist. Auch die 76 Länderspiele, die Sorin für die Mannschaft des zweimaligen Weltmeisters Argentinien (1978 und 1986) absolvierte, sagen noch längst nicht alles über den Mann, der bisher sogar Kapitän der Nationalauswahl war.

Die Bundesliga gewinnt auch eine schillernde, zuweilen sperrige Persönlichkeit hinzu.

Der "linke Rebell" macht Anti-Kriegs-Radio

Der Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie - der Vater ist Architekt, Mutter Sozialhelferin - leistet sich gern einen Anflug von Bohéme. Weit sprengt er jedenfalls den Rahmen des gewöhnlichen Fußballers. Angeblich verfasst er zuweilen Gedichte.

In Buenos Aires moderierte der linke Rebell eine Radiosendung namens Tubo de ensayos, Reagenzglas, in der über Politik und Kultur gesprochen und gegen Kriege gewettert wurde. Und mit seiner Ehefrau Sol Caceres gab er den Sammelband "Grandes Chicos" heraus, in dem Musiker, Schriftsteller und andere Prominente ihre Jugenderinnerungen schildern - den Erlös aus den Buchverkäufen erhält ein Krankenhaus in der nordargentinischen Pampa.

Natürlich hat sich Sorin, wie Mitarbeiter des HSV kolportieren, auch längst nach den Vorzügen des Hamburger Kulturlebens erkundigt. Und seinen künftigen Arbeitsplatz, die AOL-Arena, kannte er schon, bevor er am Mittwoch über Hamburg einschwebte. Im Juni spielte er dort während der WM mit Argentinien gegen die Elfenbeinküste und war, wie es heißt, begeistert von der Atmosphäre.

Ob Sorin, der mit seinen 30 Jahren deutlich vom bisherigen Suchschema der Hamburger - junge Ausnahmespieler mit noch steigendem Marktwert - abweicht, die hohen sportlichen Erwartungen erfüllen kann, bleibt abzuwarten, denn seine Leistungskurve zeigte zuletzt deutlich nach unten. In Villarreal überzeugte der robuste Defensiv-Allrounder vergangene Saison selten.

Die Nationalmannschaft ist Vergangenheit

Böse Zungen sagten ihm nach, er habe sich zuweilen verletzt gemeldet, um sich für die argentinische Nationalmannschaft zu schonen, und auch versucht, seinen Landsmann Juan Riquelme dazu anzustacheln. Natürlich alles aus Patriotismus, den Sorin oft und gern demonstriert hat, indem er öffentlich das hellblau-weiß gestreifte Trikot des Albaceleste genannten Nationalteams küsste.

Doch womöglich ist es auch damit bald vorbei. Nach ebenfalls mäßigen Auftritten Sorins bei der Weltmeisterschaft hat der neue Auswahltrainer Alfio Basile vor seinem ersten Länderspiel am Sonntag in London gegen Brasilien auf die Nominierung des Kapitäns verzichtet.

Für den HSV allerdings muss das keine schlechte Nachricht sein. Juan Pablo Sorin hätte dann deutlich mehr Ressourcen für seinen neuen Arbeitgeber. Und vielleicht sogar ein bisschen Platz für den Hamburger SV in seinem großen, patriotischen Herzen.

© SZ vom 31.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: