HSV - TSG 1899 Hoffenheim:Ein leerer Stiefel zum Nikolaus

Ein torloses Unentschieden im verregneten Volkspark - ja, Fußball kann trostlos sein. Aber zumindest gingen nach dem Spiel HSV gegen Hoffenheim die Meinungen auseinander.

I. Hellmuth, Hamburg

Sie standen keinen Meter voneinander entfernt - und doch konnten ihre Meinungen nicht weiter auseinander liegen: Marcell Jansen, 24, der so gerne lächelt, und Piotr Trochowski, 25, der so gerne ernst schaut. "Nein, enttäuscht müssen wir nach diesem Spiel nicht sein, haben doch super dagegen gehalten", trällerte der Rheinländer Jansen frohgemut, Trochowski sagte, leise aber deutlich: "Ein Punkt ist natürlich zu wenig, wenn man so viele hat liegen lassen wie wir in den vergangenen Wochen". Seine Stirn hatte er dabei in ziemlich große Sorgenfalten gelegt.

HSV - TSG 1899 Hoffenheim: Der Hoffenheimer Josip Simunic (l) im Zweikampf mit dem Hamburger Robert Tesche.

Der Hoffenheimer Josip Simunic (l) im Zweikampf mit dem Hamburger Robert Tesche.

(Foto: Foto: dpa)

Es wird ja stets viel geredet nach Fußballspielen, stundenlang werden da Interviews geführt, und nicht immer kommt viel Verwertbares dabei herum - was zum einen an den Fragen liegt, zum anderen an den Antworten. Wenn beides schlecht läuft, verschießen die Spieler ihre Worthülsen, die Reporter lesen sie bereitwillig auf. Auch das ist ein Teil des Spiels.

Doch selten lagen die Meinungen über ein Bundesligaspiel wohl so weit auseinander wie gestern nach der Partie Hamburger SV gegen TSG 1899 Hoffenheim - immerhin ja zwei Mannschaften, die es sich in dieser Saison erarbeitet haben, dass man ihr Aufeinandertreffen mit Spannung erwartete. Und die dann enttäuschten, auf ganzer Linie. Welche Geschichten würden sie wohl nach dem Abpfiff erzählen?

Die interessantesten waren die aus dem Bereich Trikottausch. "Meins ist von Marvin Compper", erzählte Jansen und kam ins Plaudern, "mit dem habe ich in Mönchengladbach in der Jugend gespielt und dann in der Nationalmannschaft, wir sind gute Freunde." Jérôme Boateng fasste sich kürzer. "Ich habe mit Isaac Vorsah getauscht." Warum? "Das weiß ich auch nicht so genau, gab eigentlich keinen Grund." Ah ja.

Boatengs anschließendes Schulterzucken war die Geste des Spiels. Sie sagte alles aus über das, was man 90 Minuten lang auf dem Rasen des Volksparkstadions gesehen hatte, weil niemand wusste, was dieses 0:0 bedeuten sollte - dieser eine Punkt, der keinem so richtig hilft, nach einem Spiel, von dem sich beide Gegner mehr versprochen hatten. Sicher, ein zehrendes Match hatten die Hamburger noch in den Knochen, das 3:0 am Mittwoch gegen halbrapide Wiener hatte Kraft gekostet auf diesem Boden. Gebessert hatten sich die Verhältnisse seitdem nicht, und konsequent regnete es während des gesamten Spiels weiter.

Die ganze Wucht des Wollens

Das ist in Hamburg nichts Ungewöhnliches, nur mit einer anderen Vorhersage schien man hier so gar nicht gerechnet haben - dass sich die Hoffenheimer Ballstibitzer an diesem Tag schlichtweg weigerten ein Spiel anzunehmen, das ihnen der HSV zumindest anfangs der Partie freimütig anbot. "Wir wollten sehr kompakt stehen, das war unsere Absicht", räumte Sejad Salihovic nach dem Spiel ein. Schön, dass er 'stehen' sagte. Das traf die Sache zumindest im Kern.

Nur die Hamburger liefen - zumindest sie. Der Sieg in der Europaleague hatte die Geister beflügelt, also verschob man, verlagerte, kombinierte; fast alles lief über links, wo sich Dennis Aogo und Marcell Jansen den Ball heiter zupassten und auch der Stürmer Marcus Berg ständig auftauchte. Der erstmals auf der Position des Außenverteidigers eingesetzte Isaac Vorsah hatte seine Mühe. Nach einer Viertelstunde versuchte auch Piotr Trochowski sein Glück über links, bedient von Berg zog er aus 16 Metern direkt aufs Tor ab - mit 110 Kilometern pro Stunde. Die ganze Wucht des Wollens lag in diesem Schuss.

Aber Hildebrandt parierte, es war die beste Szene der ersten Hälfte, an der HSV-Trainer Bruno Labbadia nichts auszusetzen hatte. "Wir sind top in das Spiel reingegangen, waren sehr konzentriert, haben die Bälle gewonnen und vor allem: haben Fußball gespielt", sagte er, was ein interessanter Satz ist: Er wirft die Frage auf, was anstatt dessen in der zweiten Hälfte gespielt wurde. Da hatten sich die beiden Mittelfelder dann komplett ineinander verhakt. Die Fans beider Mannschaften quittierten es mit Pfiffen. Ein leerer Stiefel zum Nikolaus - nein, das ist kein schönes Gefühl.

Es ist die vielleicht unschöne Erkenntnis eines unschönen Spiels, dass dem HSV zurzeit die Spieler fehlen, um so defensiv eingestellte Mannschaften wie Hoffenheim aufzubrechen. "Wir haben jetzt etliche Mannschaften hier gehabt, die in der Tabelle ganz vorne stehen, sich bei uns aber hinten reinstellen", sagte HSV-Trainer Bruno Labbadia. "Und ich möchte mal die Bundesligamannschaft sehen, die zehn Ausfälle so kompensieren kann wie wir." Mittelfeldstratege Zé Roberto und Stümer Paolo Guerrero fehlen bis zur Rückrunde; Eljero Elia und Mladen Petric wurden gestern zwar eingewechselt, brauchen aber noch Zeit. Zehn verletzte Stammkräfte saßen vorigen Mittwoch auf der Bank, gestern waren es immerhin noch acht. Guy Demel fand dafür ein schönes deutsches Wort: "Totaler Personalnotfall!", stöhnte er in die Mikrofone.

Siebenmal hintereinander hat der HSV in der Liga nicht gewonnen; und noch immer fehlt ein Gefühl für das eigentliche Potenzial dieser Mannschaft - was sie eigentlich kann, wenn sie denn könnte, wie sie wollte. "Ich kann der Mannschaft keinen Vorwurf machen, nicht heute", sagte Labbadia und richtete den Blick auf die vergangenen Wochen. In denen man nicht gepunktet hatte, gegen Gegner wie Bochum oder Mönchengladbach, oder den Sieg kurz vor Schluss noch verschenkte, wie gegen Schalke 04. "In diesen Spielen waren wir die bessere Mannschaft", sagte Guy Demel, "ich denke nicht, dass man sagen kann, dass uns die Qualität fehlt. Wir stehen zurecht oben mit drin."

Als er das sagte, saßen die Hoffenheimer bereits in ihrem Bus, der Zeugwart drängelte, man hatte es eilig. Auch die Pressekonferenz war schon vorbei, auf der Trainer Ralf Rangnick wundersame Worte gesprochen hatte: "Ich glaube, wir haben heute ab er 30. Minute ein richtig gutes Auswärtsspiel gemacht." Oder: "Was die Bereiche Laufbereitschaft und Aggressivität angeht, war das so, wie ich mir das vorgestellt habe." Und so blieb es bis zum Schluss das Spiel der gegensätzlichen Meinungen. "Soll ich ehrlich sein?", fragte Hoffenheims Manager Jan Schindelmeiser nach dem Spiel. Die Mixed Zone war leer, nicht einmal leere Worthülsen lagen mehr herum. "Das war kein gutes Spiel, von beiden Mannschaften nicht." Er legte sich den Schal um den Hals, er lächelte dabei. Der Bus hupte zur Abfahrt. "Aber das ist halt manchmal so." Welch wahre Worte.

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