HSV-Torwart Heuer Fernandes:Der Manuel Neuer von Hamburg

HSV-Torwart Heuer Fernandes: Mann des Pokalspiels: HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes.

Mann des Pokalspiels: HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes.

(Foto: Joern Pollex/Getty Images)

Ein Jahr saß Daniel Heuer Fernandes auf der Bank, jetzt merken die Hanseaten, was sie an ihrem Torwart haben. Auf dem Platz ist er der erste Vorwärtsdenker - und im Pokal hält er mal eben drei Elfmeter und führt den HSV ins Halbfinale.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Damit hatte der Bundestrainer Hansi Flick bestimmt nicht gerechnet. Bei Manuel Neuer zwickten die Adduktoren, seinem Ersatzmann Marc-André ter Stegen wurde nach dessen Einsatz gegen Rumänien etwas Erholung gewährt, und so ergab sich an diesem Septembertag eine ungewöhnliche Personallage im DFB-Team: Die Torwartnation Deutschland hatte auf einmal ein massives Torwartproblem.

Was also tun? Ein seriöser Trainingsbetrieb musste sichergestellt werden, da waren sich alle Beteiligten einig. Aber deswegen gleich den nächsten Torwart nach Hamburg einfliegen lassen? Zumal nur für einen Tag? Das wäre auch aus ökologischer Sicht nicht wirklich vertretbar gewesen, mögliche "Fridays for Future"-Proteste dazu wollte man dem ohnehin krisenumwitterten DFB auch lieber sparen. Die Lösung des Problems hielt sich zum Glück in Fußweite des deutschen Kurztrainingslagers auf: Daniel Heuer Fernandes, der erstklassige Torwart des Zweitligisten Hamburger SV.

"Das, was er darstellt, das stellt unsere Mannschaft dar", lobt HSV-Coach Tim Walter

Der Deutsch-Portugiese wurde kurzerhand für einen Tag ausgeliehen, was sich für alle Parteien als tolle Sache erwies: Heuer Fernandes freute sich hinterher über diese "einmalige Chance", der Bundestrainer Flick soll geradezu begeistert von den Fähigkeiten des Torwarts gewesen sein, und die Social-Media-Abteilung des Traditionsklubs durfte ein erbauliches Wortspiel an die leidgeprüften HSV-Fans richten. "Kein Neuer, sondern Heuer!", stand über einem Beitrag geschrieben, der auf allen Kanälen versendet wurde.

HSV-Torwart Heuer Fernandes: Großer Jubel: Die Hamburger stehen im Pokal-Halbfinale.

Großer Jubel: Die Hamburger stehen im Pokal-Halbfinale.

(Foto: Cathrin Müller/Reuters)

Heuer Fernandes, 29, gehört seit geraumer Zeit zu den angesehensten HSV-Profis, unter den Anhängern wie auch im Kreis der Mannschaft, doch mit dem Mittwochabend hat er noch einmal einen gewaltigen Sprung nach oben auf der Beliebtheitsskala gemacht. In einem wilden und aufregenden DFB-Pokal-Viertelfinale gegen den Ligakonkurrenten Karlsruher SC, in dem es nach 90 Minuten 2:2 stand, hielt der Torwart im Elfmeterschießen drei Schüsse und sicherte dem HSV das Weiterkommen.

Abgesehen von diesem Auftritt im Schlussakt der Partie gab es aber noch einige weitere Argumente dafür, dass sich Heuer Fernandes im dritten Pokalspiel in Serie einen Man-of-the-Match-Award sichern konnte. Knapp zusammengefasst, in einem Social-Media-tauglichen Wortspiel: Heuer erinnert ein bisschen an Neuer.

Der HSV-Trainer Tim Walter lobte nach dem Erfolg gegen den KSC nahezu alle erdenklichen Eigenschaften des Torhüters, seine Charakterstärke, seinen Siegeswillen, seine Frohnatur. Insbesondere schätzt und fördert der Offensivlehrer aber eine Begabung, die Heuer Fernandes zu einem seltenen Exemplar im deutschen Profifußball macht. "Er findet immer eine spielerische Lösung", sagte Walter, der darin auch eine gewisse Symbolik erkennen konnte: "Das, was er darstellt, das stellt unsere Mannschaft dar."

In Walters System gibt es elf Spielmacher, die am besten immer den Ball haben sollen, und dann sollen sie passen, passen, passen. Das heißt: Heuer Fernandes muss nicht nur das obligatorische Tagwerk eines Torwarts verrichten, was ihm vortrefflich gelingt mit seinen Reflexen und seiner Orientierungsstärke im Strafraum. Als letzter Mann ist er auch der erste Vorwärtsdenker, und als solcher laufen bei ihm alle Stränge zusammen: Heuer Fernandes leitet Angriffe ein und fängt sie hinten ab, er ist zu einem Akteur mutiert, der wie Nationaltorwart Neuer an mehreren Orten gleichzeitig erscheint und seine Richtlinienkompetenz im Aufbauspiel anwendet.

In der vergangenen Saison setzte man Heuer Fernandes noch Sven Ulreich vor die Nase

In Hamburg sind sich daher auch die Verantwortlichen einig: "Ferro", sagte zum Beispiel der HSV-Sportvorstand Jonas Boldt, "macht eine überragende Saison." Trotz des permanenten Vorwärtsdrangs unter Trainer Walter stellt der HSV die beste Defensive der zweiten Liga, der Torwart hat einen gewichtigen Anteil an dieser Entwicklung. Womit jedoch die Frage bleibt: Warum hatten sie sich beim HSV zuletzt eigenhändig dieser Expertise beraubt?

In der vergangenen Saison war Heuer Fernandes von den HSV-Funktionären einfach der vom FC Bayern verpflichtete Torwart Sven Ulreich vor die Nase gesetzt worden, als Bestandteil der sogenannten Säulenspieler, die den Klub allesamt schon wieder verlassen haben. Mit Ulreichs Ankunft, heißt es, wurde auch der Konkurrenzkampf im Hamburger Tor für beendet erklärt. Zufrieden war damit am Ende niemand: Ulreich erwies sich nicht als stabilisierender Faktor, die Hamburger verpassten den anvisierten Aufstieg, und Heuer Fernandes, seit 2019 beim HSV, musste eine komplette Spielzeit auf der Ersatzbank verbringen.

Von den vier Halbfinalisten sind die Hamburger nun das einzige Team, das den DFB-Pokal in seinem Klubmuseum ausstellen darf, in vierfacher Ausführung sogar. "Wir sind gespannt, was kommt", sagte Heuer Fernandes mit Blick auf die Auslosung. Eigentlich kann diese für ihn ja nur gut ausgehen, denn eine der Losfeen ist: Bundestrainer Hansi Flick.

Zur SZ-Startseite

RB Leipzig im DFB-Pokal
:Der ungeliebte Favorit

RB Leipzig könnte im DFB-Pokal seinen ersten Titel der Vereinsgeschichte gewinnen. Die Aussichten sind gut - auch Böllerschüsse nachts vor dem Auswärtshotel können Trainer Tedesco nicht schrecken.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: