Hamburger SV:Versuchte Hexerei beim HSV

Der neue HSV-Trainer Christian Titz spricht während einer Pressekonferenz zu seiner Vorstellung.

Der neue HSV-Trainer Christian Titz will die Mannschaft offensiver spielen lassen.

(Foto: dpa)
  • Anders als seine Vorgänger will der neue HSV-Trainer Christian Titz der akut gefährdeten Mannschaft eine offensive Spielidee vermitteln.
  • Zuletzt wenig beachtete Spieler wie Bobby Wood, Lewis Holtby und Dennis Diekmeier werden wieder größere Bedeutung bekommen.
  • Thomas von Heesen wird Titz als Berater zur Seite gestellt. Er beobachtet im Training, welche Spieler er für "bereit und prädestiniert" hält.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Als Christian Titz am Dienstag zum ersten Mal als Profi-Trainer des Hamburger SV den Platz betrat, haben einige Fans Beifall geklatscht: "Herr Titz, Sie werden es schaffen", sagte einer. Die treuesten Anhänger des einzigen Vereins, der bisher in allen 55 Spielzeiten der Bundesliga dabei war, wollen noch immer nicht glauben, dass am 12. Mai im Heimspiel gegen Mönchengladbach dieses einzigartige Kapitel enden könnte. Und wenn man hört, wie der bisherige U 23-Coach Titz vor der Partie gegen Hertha BSC über seine Aufgabe redet, dann ahnt man, dass er trotz sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz noch auf ein weiteres "Wunder" hofft.

Denn es würde wohl Hexerei gleichen, wenn der Fußballbuch-Autor Titz dieser Mannschaft binnen vier Tagen eine völlig neue, offensive, ballbesitzorientierte Spielweise beibrächte - also das Gegenteil dessen, was seine Vorgänger Markus Gisdol und Bernd Hollerbach den HSV-Profis eingetrichtert hatten. Aber genau das hat er vor: "Der Verein", sagte der 46-Jährige bei seiner Vorstellung, "hat sich entschieden, dass ich meine Spielidee, mit der ich vor drei Jahren im Nachwuchs angetreten bin, jetzt auch bei den Profis installiere."

Von Heesen guckt sich jede Übungseinheit an

33 Spieler hat Titz an den ersten Trainingstagen vorspielen lassen, auch sechs aus der bisher von ihm geleiteten zweiten Mannschaft, die in der Regionalliga Nord Tabellenführer ist. Diese Spieler hätten seine Philosophie schon verinnerlicht, sagte er. Am Donnerstag hat der gebürtige Mannheimer das Casting dann reduziert und vier der Nachwuchskräfte zunächst wieder zu ihrem Team zurück geschickt. Sicher ist nur, dass die bei Hollerbach wenig angesehenen Bobby Wood, Lewis Holtby und Dennis Diekmeier wieder größere Bedeutung bekommen. Titz deutete an, er werde "mit einem Mix aus jungen und erfahrenen Spielern" ins Hertha-Spiel gehen. Man müsse "andere Typen reinbringen, auch für die Kommunikation in der Kabine".

Der von Sportdirektor Bernhard Peters geförderte Titz hat noch einen Begleiter zur Seite gestellt bekommen, der an größere HSV-Zeiten erinnert: Thomas von Heesen, 56. Der nach Uwe Seeler mit 99 Treffern beste Bundesliga-Torschütze der Klubgeschichte wurde bis Saisonende eingestellt als Berater des Vorstands und Trainerteams, quasi als Coach des Coaches.

Von Heesen guckt sich jede Übungseinheit an, meist vom Balkon des Leistungszentrums "Campus" aus. In Loge 37 des Volksparkstadions, in dem viele schöne Bilder aus glorreichen Zeiten hängen (auch von ihm), hat von Heesen seine Aufgabe erläutert. Er teile Titz ausführlich mit, was er beobachte, etwa, welche Spieler im Training "bereit und prädestiniert" für den letzten Rettungsversuch wirken.

Gegen Berlin soll von Heesen auf der Bank sitzen

Von Heesen redet auch mit den Profis. Etwa mit Bobby Wood, dem einstigen Hoffnungsträger, der in dieser Saison nur ein Tor erzielt hat. Der als Einzelgänger abgestempelte Amerikaner habe "sehr locker, interessiert und offen" gewirkt, befand von Heesen. Das sei besonders wichtig, denn es belaste die Profis besonders, erst 18 Tore in 26 Spielen erzielt zu haben. Die Rettung könne nur gelingen, "wenn man in der Box aggressiv zu Werke geht", sagt der frühere Offensiv-Spezialist. Die Art, wie der neue Coach die Profis anpacke, sei förderlich, findet von Heesen, der gegen Berlin mit auf der Bank sitzen soll: "Ich habe nicht das Gefühl, dass einer dabei ist, der schon aufgegeben hat und denkt, das hier sei alles Käse."

Von Heesens überraschende Verpflichtung als Ratgeber zeigt aber auch, wie beklagenswert die Lage beim einstigen Europacup-Sieger nach der Entlassung von Vorstandschef Heribert Bruchhagen, Sportchef Jens Todt und Hollerbach ist. Der frühere HSV-Kapitän, der nach der Gründung der AG stellvertretender Aufsichtsrat war, zog sich 2015 nach nur sieben Monaten zurück.

Später tauchte er im Enthüllungsbuch "Football Leaks" auf. Er habe 2015 mit dem damaligen HSV-Boss Dietmar Beiersdorfer versucht, Spieleranteile für 12,5 Millionen Euro an die Investmentgruppe "Doyen Sports" zu verkaufen - zwei Monate, bevor der Weltverband Fifa eine "third-party-ownership" verbot (Geschäfte, in denen eine dritte Partei an Transfers partizipiert). "Wir sind auf Anfrage von Doyen nach London geflogen und hatten einen Termin. Didi hat das Gespräch geführt", sagte von Heesen dazu nun dem Abendblatt. Er selbst habe aber keinen Handlungsauftrag der HSV AG besessen, und es hätte sich "am Ende des Tages herausgestellt, dass das Geschäftsmodell überhaupt nicht in Frage kommt".

Eine weitere Beschäftigung beim HSV nach der Saison sei "hypothetisch", sagt er. Anders als vom kommissarischen Klubchef Frank Wettstein angekündigt, führt er auch keine Gespräche mit Spielerberatern. Für die vom Aufsichtsrat unter dem neuen Chef Bernd Hoffmann geplante Restaurierung der Klubführung sei er kein Thema, heißt es. Gleichwohl geht von Heesen "mit großer Emotionalität" ins Hertha-Spiel. Ebenso wie die Fans, die mobil machen wollen: 50 000 Zuschauer werden erwartet, ein Spalier für den Teambus ist geplant. Und der Supporters Club ließ verlauten: "Lasst uns alle zusammenstehen und alles tun, diesen dringend benötigten Sieg gegen die alte Dame aus Berlin zu holen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: