Tim Walter beim Hamburger SV:Der letzte freie Radikale

VfB Stuttgart - Holstein Kiel Deutschland, Stuttgart, 20.10.2019, Fussball, 2. Bundesliga, Saison 2019/2020, 10. Spielta

Schwierige Mission: Tim Walter soll den Hamburger SV endlich wieder in die Bundesliga führen.

(Foto: Sportfoto Rudel/imago images)

Trainer Tim Walter soll den HSV zurück in die Bundesliga führen. Mit seiner Verpflichtung wird die Offensivlehre des Vereins auf die Spitze getrieben.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Es schadet nie, wenn der Segen von ganz oben erteilt wird. Und ganz oben thront beim Hamburger SV: Horst Hrubesch. Zwar nicht in der offiziellen Hierarchie des Klubs, aber in einer Funktion als weiser Stammesältester, der im Fußball alles schon gesehen hat und deswegen stets Rat weiß. Hrubesch, 70, soll als Nachwuchsdirektor die langen Linien beim HSV zeichnen, was ihn jedoch nicht davon abgehalten hatte, kürzlich noch als Nothelfer im Profiteam einzuspringen.

Auch unter ihm misslang die ersehnte Rückkehr in die erste Liga bekanntlich, viel Zeit war ihm ja nicht vergönnt gewesen, aber immerhin konnte Hrubesch zuletzt die ein oder andere Botschaft an die Klubverantwortlichen platzieren. Frei zusammengefasst: So, liebe Freunde, wird das nie was mit dem Aufstieg. Und wenn ihr ein paar Tipps bei der Trainersuche braucht - mein Büro ist in der Geschäftsstelle am Volkspark, zweiter Stock, den Gang runter und dann die dritte Tür links!

Es ist also davon auszugehen, dass auch Hrubesch konsultiert wurde, ehe die Wahl auf jenen Mann fiel, der den gefallenen Traditionsklub im vierten Anlauf aus der Zweitklassigkeit leiten soll: Tim Walter, 45, bekannt vor allem durch Trainerengagements beim VfB Stuttgart und Holstein Kiel.

Walter will gerne die HSV-Legende Hrubesch konsultieren

Am Dienstagnachmittag saß Walter, der einen Zweijahresvertrag unterschrieben hat, mit schwarzen Kapuzenpulli bei der Pressekonferenz, die aus gegebenem Anlass anberaumt worden war. Und schon jetzt steht fest, dass der neue HSV-Coach ebenfalls gerne Rücksprache mit Hrubesch halten würde. "Es wäre fahrlässig, sich mit dem Horst nicht zu unterhalten", sagte Walter, was ihm auch außerhalb der Klubzentrale große Sympathiepunkte eingebracht haben dürfte.

Hrubesch war in den Achtzigerjahren ein großer HSV-Stürmer, als Trainer war er später ein großer Befürworter von anspruchsvollem Angriffsfußball. Ihm ist es deshalb nicht fremd, das Spiel von vorne her zu denken, aber mit der Verpflichtung des neuen HSV-Coaches wird die Offensivlehre nun auf die Spitze getrieben: Walter gilt nämlich als reiner Vorwärtsdenker, seine Spieler sollen am besten immer den Ball haben, und dann sollen sie passen, passen, passen. Alles ist auf totale Dominanz ausgerichtet, alle Abläufe folgen einem klaren Plan. Und wenn beim HSV in den vergangenen Jahren eines vermisst wurde, dann war es genau das: ein Plan.

Walter steht aber nicht nur für einen klaren Spielstil, sondern auch für tiefe innere Überzeugung - und besonders überzeugt war Walter bislang von sich selbst. Sein Selbstbewusstsein streifte in der Vergangenheit schon mal die Grenze zur Arroganz, so empfanden das zumindest frühere Kontrahenten, Wegbegleiter und Beobachter. Auch deswegen hat es nach gängiger Interpretation nicht so richtig beim VfB Stuttgart funktioniert, sein bislang letzter Klub, wo Walter von Juli bis Dezember 2019 angestellt war.

Beim VfB Stuttgart ist Walter mit seinem Konzept gescheitert

Sein damaliger Auftrag war quasi derselbe wie jetzt beim HSV. Walter sollte einem verkrusteten Traditionsklub eine Philosophie überstülpen, junge Spieler entwickeln, und, nicht zu vergessen: den Aufstieg in die erste Liga bewerkstelligen. Nach einem fulminanten Start wurde ihm das beim VfB aber nicht mehr zugetraut. Die Zweitliga-Kollegen schienen seinen Fußball entschlüsselt zu haben, bis zuletzt war Walter aber keinen Millimeter von seiner Idee abgewichen. "Mir eilt ja ein Ruf voraus", sagte er bei seiner Vorstellung, und ja, es sei schon "richtig, dass ich gerne den Ball habe". Die freie Zeit habe er aber genutzt, um diverse Dinge zu überdenken, die damals hinderlich gewesen seien. "Sich verbessern" sei das Ansinnen gewesen, sagte Walter, "aber ohne sich dabei zu verbiegen."

Zuvor hatte er erfolgreich in der zweiten Liga bei Holstein Kiel gearbeitet, doch mindestens genauso relevant für die HSV-Verantwortlichen um Sportvorstand Jonas Boldt war, dass Walter auch auf reichhaltige Expertise als Nachwuchscoach zurückblicken kann. Walter trainierte die U 19 des Karlsruher SC, später wurde er Meister mit der U 17 des FC Bayern und stieg zur U 23 auf. Als er München verließ, sparte er nicht mit Kritik am Klub und monierte etwa, dass dem Rekordmeister ein schlüssiges Konzept für die eigene Jugendarbeit fehle.

"Spieler fordern und fördern", so beschrieb Walter am Dienstag seine größte Stärke als Trainer. Auch das dürfte ganz im Sinne von Nachwuchsdirektor Hrubesch sein, der den HSV am liebsten zu einem ambitionierten Ausbildungsverein umgestalten möchte und sich an der Spitze des Profiteams nach jemandem sehnt, der diesen Weg mitträgt. Alles andere, das steht fest, war beim HSV zuletzt ja kolossal schiefgegangen.

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