Hamburger SV:"Stellschrauben" statt Umsturz

Lesezeit: 2 Min.

Nur der HSV? Stefan Kuntz bei seiner Vorstellung am Donnerstag in Hamburg. (Foto: Marcel von Fehrn/dpa)

Der neue HSV-Sportchef Stefan Kuntz soll das Werk seines Vorgängers Jonas Boldt fortführen - nur etwas erfolgreicher. Und er fällt eine erste Entscheidung, was den Trainer betrifft.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Die Tür ging auf, und der neue Sportchef steuerte zielsicher den für ihn vorgesehenen Stuhl auf dem Pressepodium an. Das war eine Nachricht für sich, denn der Weg dorthin dürfte sich für Stefan Kuntz derart unübersichtlich angefühlt haben, wie man das sonst aus Kafka-Romanen kennt. Zum einen, weil die Uefa das Kommando im Hamburger Volksparkstadion übernommen hat, wodurch dessen Eigentümer, der HSV, derzeit zu einer Art Besucher auf eigenem Territorium degradiert wird. Bis zum Ende der Europameisterschaft wird das Hausrecht an den europäischen Kontinentalverband abgetreten - und dessen Security-Personal erledigte seine Arbeit am Donnerstag derart rigoros, dass es sicher viel Vitamin B brauchte, um Kuntz in den Hamburger Pressesaal zu schleusen.

Zum anderen hat Kuntz eine Art Reise nach Jerusalem absolvieren müssen, bei der es als Hauptpreis um jenen Stuhl ging, der nun für den deutschen Europameister von 1996 reserviert war. Etliche Herrschaften hatten mit Kuntz' Sitznachbarn an diesem Tag, dem HSV-Aufsichtsratschef Michael Papenfuß, über den Job gesprochen - darunter prominente Namen wie Jörg Schmadtke, Hasan Salihamidzic, Felix Magath sowie kurioserweise der bisherige Sportchef Jonas Boldt, der sein Büro in der Hamburger Geschäftsstelle partout nicht hatte räumen wollen. Von diesem wilden Kandidaten-Bingo wusste jeder in der Branche, nur eines war lange nebulös geblieben: Wer wird's? Und warum?

Das Wort "Aufstieg" wurde bei der Veranstaltung elegant umschifft

So gesehen war Kuntz eine überraschende Lösung, denn er hat die vergangenen Jahre vor allem als Nationalcoach der deutschen U21 und der Türkei verbracht und war lange raus aus dem operativen Management im Vereinsfußball. Kuntz präsentierte sich bei seiner Vorstellung am Donnerstag in bester Laune, scherzte, feuerte mit Anekdoten um sich. Es wurde aber schnell klar: Ausgewählt wurde er vor allem, weil er für Reförmchen und nicht für Reformen steht; von ihm ist ein "Weiter so" zu erwarten, das im besten Fall halt ein bisschen erfolgreicher ausfällt als unter seinem Vorgänger Boldt. Einer Radikalkur wird der Traditionsklub nicht unterzogen. Und das, obwohl der HSV nun ein ganzes Weilchen unter seinen theoretisch riesengroßen Möglichkeiten durchtaucht.

Kuntz jedenfalls nutzte zahlreiche Keywords, die in Hamburg länger schon zum guten Ton zählen: Er lobte "die beeindruckende Kontinuität" beim seit 2018 zweitklassigen Traditionsklub, dass es dort zuletzt im "positiven Sinne" ruhig gewesen sei, und auch der Vorarbeit des am Dienstag geschassten Boldt kann er offenkundig einiges abgewinnen. Das Wort "Aufstieg" brachte der neue Hamburger Sportchef nicht über die Lippen. Papenfuß sprach auf Nachfrage immerhin vom "mittelfristigen Aufstieg" als Unternehmensziel, dafür werde ein Zeitrahmen von zwei Jahren angesetzt.

SZ PlusStefan Kuntz beim Hamburger SV
:Eine Sportchef-Suche auf HSV-Art

HSV-Manager Jonas Boldt erwägt, Stefan Kuntz als Trainer zu verpflichten, stattdessen wird er selbst durch ihn ersetzt. Der Aufsichtsrat des Zweitligisten lässt andere prominente Kandidaten durchfallen - und bestätigt mal wieder miese Klischees.

Von Thomas Hürner

Kuntz und Baumgart haben sich mehrere Stunden ausgetauscht

Nach absoluter Dringlichkeit klang das alles nicht, obwohl zarte Ungeduld ja letztlich der Grund war, den Sportchef Boldt vor die Tür zu setzen: Fünf Mal war der Zwei-Meter-Manager an der anvisierten Rückkehr in die Erstklassigkeit gescheitert; trotz wirtschaftlicher Voraussetzungen, von denen die in die Zwischenzeit aufgestiegenen Bielefelds, Fürths und Kiels mitunter nur träumen können. Boldts letzte Hauruck-Maßnahme hatte im Februar darin bestanden, den Trainer Tim Walter durch Steffen Baumgart auszutauschen, doch der Effekt blieb aus. Kuntz bestätigte Baumgart für die neue Saison im Amt, die beiden hätten sich "mehrere Stunden" ausgetauscht und eine Analyse über den Misserfolg in der Vorsaison betrieben. Nun solle der Coach eine Saisonvorbereitung, eine faire "Chance" sowie einen überarbeiten Kader erhalten, der besser zu dessen Fußball passe.

Es gehe um "Stellschrauben", sagte der HSV-Aufsichtsrat Papenfuß. Einen Generalschlüssel kann er Kuntz vorläufig ohnehin nicht aushändigen. Die Hamburger Geschäftsstelle bleibt erst mal von der Uefa okkupiert - und Kuntz somit wohl ohne Büro, in dem er den langersehnten Aufstieg des HSV organisieren kann.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungHamburger SV
:Der HSV institutionalisiert die Artistik des Scheiterns

Kommentar von Thomas Hürner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: