HSV in der Krise:Umbau Nord

Das Duo Frank Arnesen und Thorsten Fink war angetreten, um dem Hamburger SV eine neue Zukunft zu bescheren - acht Spieltage vor Saisonschluss spielt der HSV jedoch um seine Existenz in der ersten Liga. Vor dem Spiel in Wolfsburg wagt Trainer Fink eine ungewöhnlichen Schritt: Er tauscht die halbe Mannschaft aus.

Jörg Marwedel, Hamburg

Ein paar kleine Kostproben aus der Neuauflage des im Norden populären Songs "Hamburg, meine Perle": "Wenn du aus Dresden kommst, verstehen wir kein Wort von deinem Lied./Wenn du aus Aachen kommst, bist du nur im Duden Erster./Kommst du aus Ingolstadt, weiß ich nicht mal, wo das liegt./Wenn ich weit, weit weg bin, ob in Cottbus oder Paderborn.../Oh Hamburg, meine Perle, du wunderschöne Stadt, die zweite Liga ist mein Leben."

Hamburger SV - Training Session

Thorsten Fink (r.) und Frank Arnesen beim Training in Hamburg: Zunehmend kritische Fragen

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Natürlich ist diese textliche Fortschreibung nicht vom Sänger Lotto King Karl, der die Urfassung vor jedem Heimspiel als HSV-Hymne im Stadion anstimmt. Der Sender Radio Hamburg hat sich diese Version ausgedacht und am Dienstag erstmals abgespielt - und damit in Hamburg ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Morning-Show-Moderator Horst Hoof wird im Internet übel beschimpft, hat sogar Personenschutz bekommen. Lotto King Karl hat einen Anwalt eingeschaltet.

Es ist zwar auch eine äußerst fragwürdige Zeile über Aue enthalten, der Grund für die humorlosen Reaktionen auf die Satire aber liegt in der Zweitliga-Pointe: Die HSV-Fans leiden sehr unter der Vorstellung, dass ihr Verein, der "Dino" der Liga, der in allen 49 Bundesliga-Spielzeiten dabei war, bald tatsächlich nach Ingolstadt oder Paderborn muss. Vor der Auswärtspartie am Freitag in Wolfsburg sind es nach zuletzt drei Niederlagen hintereinander nur noch zwei Punkte zum Relegationsplatz.

Es wurde viel "gesabbelt" nach dem 1:3 gegen den SC Freiburg am Wochenende, wie Trainer Thorsten Fink es nannte. Der Vorstandsvorsitzende Carl Edgar Jarchow räumte öffentlich ein, man stelle gerade einen Zweitliga-Etat auf, der am 1. April bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) eingehen muss.

Beim Aufsichtsrat haben Fink und Sportchef Frank Arnesen die derzeitige Lage erklärt und es trotz des derzeit "verlorenen Fadens" (Kapitän Heiko Westermann) geschafft, den Vorsitzenden mit einer "schonungslosen Analyse" zu überzeugen, wie Ernst Otto Rieckhoff sagte: Nach diesem Gespräch "ist mir klar, dass wir die Klasse halten", meinte der Oberkontrolleur.

Es gab viele Einzelgespräche und auch eine bis Mitternacht dauernde Tagung mit dem Mannschaftsrat, in dem Fink seine neueste Idee vorstellte: eine Wette, mit der er die vielen Gegentore nach Standards (derzeit sind es 20) eindämmen möchte. Bei jedem weiteren Tor nach einem Eckball oder einem Freistoß müssen die Profis einen bestimmten Betrag zahlen, zum Beispiel für einen Mannschaftsabend.

Warum laufen die HSV-Profis so wenig?

Der Coach gibt ebenfalls etwas, wenn sein Team selbst einen Standard-Treffer erzielt. Laut Heiko Westermann kam dieser Einfall gut an, auf diese Weise würden "die Sinne geschärft", sagte er. Erstmals wurden am Donnerstag zudem die Fans beim Training ausgesperrt, damit niemand - auch kein Wolfsburger Beobachter - weiß, wie man das offensichtliche Problem mit den Standardsituationen beheben will.

Doch zunehmend müssen sich Fink und Arnesen kritischen Fragen stellen. Warum etwa hat Nationaltorwart René Adler noch immer nicht, wie angekündigt, unterschrieben? Gibt es vielleicht doch gesundheitliche Probleme, obwohl die von Arnesen vehement dementiert werden?

Warum läuft das HSV-Team am zweitwenigsten in der Liga (10,5 Kilometer pro Spiel), während etwa die Konkurrenten Nürnberg, Kaiserslautern und Freiburg bis zu neun Kilometern mehr laufen? Finks Antwort lässt ahnen, dass er sich noch immer an den Besten und weniger mit Dresden oder Paderborn beschäftigt. Der FC Barcelona, so sein Beispiel, habe auch nicht die besten Laufwege. Es komme darauf an, "die richtigen Laufwege zu wählen".

Als Thorsten Fink als Trainer noch ein Anfänger war, hat er einen Zitateschatz zusammengestellt, ähnlich wie Otto Rehhagel, nur mit weniger Goethe und Schiller. Inzwischen greife er darauf immer weniger zurück, sagt er, vor dem Spiel in Wolfsburg aber hat er mal wieder ein Zitat ausgegraben, einen Satz der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach: "Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun." Bedeutet: In Wolfsburg sollen die HSV-Profis endlich zeigen, dass sie den Ernst der Situation kapiert haben und ihr vermeintliches Können endlich wieder abrufen.

Fink will die Partie mit allerlei neuem Personal angehen: die Verletzten Dennis Aogo und Marcell Jansen kehren ebenso ins Team zurück wie der gegen Freiburg gesperrte Westermann, denn man brauche Erfahrung. Dazu kommen Mittelfeldmann Tomas Rincon und Marcus Berg, den Fink als "Torjäger" bezeichnet, obwohl er in dieser Saison kein einziges Mal getroffen hat. Werden auch diese Umbesetzungen erfolglos sein, rückt das Desaster näher. Und damit weitere Fragen nach dem Duo Arnesen/Fink. Das war mal angetreten, um dem HSV eine neue Zukunft zu bauen.

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